Lara
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Lara

Lara
„Lara“ // Deutschland-Start: 7. November 2019 (Kino)

Eigentlich wäre der Tag ein Grund zum Feiern gewesen für Lara Jenkins (Corinna Harfouch). Man wird schließlich nur einmal im Leben sechzig. Die Feierlaune hält sich jedoch ziemlich in Grenzen, schon frühmorgens gibt es Grund zum Ärger, als die Polizei vor der Tür steht. Was sie jedoch wirklich beschäftigt, das ist ihr Sohn Viktor (Tom Schilling). Dem hat sie einst das Klavierspielen beigebracht. Heute steht er tatsächlich auf der Bühne und präsentiert sein selbst komponiertes Stück. Kontakt haben sie jedoch kaum noch, das Verhältnis ist äußerst schwierig geworden. Höchste Zeit, das zu ändern. Ganz so einfach wie von Lara erhofft, ist diese Annäherung jedoch nicht …

Wer einmal erfolgreich war, möchte das in den meisten Fällen auch im Anschluss noch sein. Im Filmbereich heißt das normalerweise, möglichst schnell etwas Neues nachschieben, so lange die Erinnerungen an den Hit noch frisch sind. Jan-Ole Gerster tat das nicht. Knapp 400.000 Zuschauer lockte die Tragikomödie Oh Boy um einen jungen Mann, der ziellos durch Berlin streift, seinerzeit in die Kinos. Das ist beachtlich, gerade für einen Debütfilm. Zudem räumte das Werk gleich sechs Mal beim Deutschen Filmpreis ab, wurde unter anderem als bester Spielfilm des Jahres ausgezeichnet. Und doch folgte danach erst einmal nichts, satte sieben Jahre musste das Publikum warten, bis mit Lara ein zweiter Spielfilm folgte.

Ähnlich und doch ganz anders
Gemeinsamkeiten gibt es zwischen beiden Filmen einige. In beiden Fällen spielt Tom Schilling eine tragende Rolle. In beiden Fällen vermischt der Film das Tragische mit dem Komischen. In beiden Fällen besteht die Handlung in erster Linie darin, dass die Hauptfigur durch die Stadt streift und dabei den unterschiedlichsten Menschen begegnet. Wer seinerzeit das Debüt zu schätzen wusste, der wird sich deshalb bei Lara gleich wie zu Hause fühlen. Doch trotz der diversen Ähnlichkeiten: Um eine reine Kopie handelt es sich dabei nicht, dafür sind die Umstände der Odyssee zu verschieden, die Hauptfigur ist es auch.

Das ist auch irgendwo naheliegend. Statt eines jungen Mannes, der seinen eigenen Weg durch die Welt sucht und sich fragt, was er mit seiner Zukunft anfangen soll, steht hier eine 60-jährige Frau im Mittelpunkt. Da ist der Blick zwangsweise tendenziell eher zurück gerichtet, wenn Lara über ihr Leben nachgrübelt und über all das, was zuvor schief gelaufen ist. Und das ist eine Menge, Lara ist bei all der Komik ein deutlicherer bitterer Film geworden. Anzeichen dafür sind schon früh zu finden. Wie viel bei der Titelfigur im Argen liegt, das wird jedoch erst nach einer Weile deutlich. Je mehr Zeit wir mit Lara verbringen, umso offensichtlicher werden die Wunden, die sie anderen zugefügt hat. Umso offensichtlicher aber auch ihre eigenen Wunden.

Auf der Suche nach Antworten
Der Beitrag vom Filmfest München 2019 lässt sich dabei nicht so leicht in die Karten schauen. Gerster packt nicht alles in Wort, was zuvor vorgefallen ist, einiges muss man sich erst erschließen. Dass Lara dabei ein eher gemächliches Tempo an den Tag liegt, wird nicht zu einem Nachteil, ebenso wenig die Ziellosigkeit. Vielmehr fesselt der Film eben dadurch, wie man im Laufe eines einzelnen Tages lauter Puzzlestücke findet, an den unmöglichsten Orten, die sich zu einem Bild zusammensetzen. Ein äußerst ambivalentes Bild. Angenehm wird das Geburtstagskind nie, selbst an einem Tag, der doppelt Grund zum Feiern liefert, ist sie zu Abscheulichkeiten imstande, Lob und Diplomatie sind ihr hingegen fremd. Und doch mischt sich irgendwann Verständnis hinein, sogar Mitgefühl. Vor allem aber fasziniert die Frau, die es offensichtlich nie gelernt hat, normal mit anderen Menschen umzugehen – was traurige und komische Folgen hat.

Ob Lara den Preisregen von Oh Boy wiederholen wird, das bleibt abzuwarten, ein paar Auszeichnungen gibt es aber bereits. Und es sollten auf jeden Fall welche für Corinna Harfouch (So was von da) folgen, die hier eine so fantastische Darstellung abliefert, dass alle anderen automatisch zu Randfiguren werden. Das Drama schafft dabei die Balance zwischen sehr persönlichen Elementen und universellen, wenn die Geschichte einer kaputten Mutter-Sohn-Beziehung mit allgemeinen Fragen verknüpft wird. Was geben wir an unsere Kinder weiter? Wie viel können und sollen wir von ihnen verlangen? Dabei werden natürlich auch Erinnerungen an Filme wie Whiplash wach, wenn die Förderung von Talent gleichermaßen Spitzenleistungen wie Unglück verursacht und man kaum sagen kann, ob es das wert ist. Lara selbst ist es aber wert, gesehen zu werden, auch durch den interessanten Perspektivenwechsel, wenn mal nicht das Wunderkind im Vordergrund steht, sondern derjenige, der sich selbst dafür aufgeopfert und dabei alles verloren hat.



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In „Lara“ versucht eine Frau, mit ihrem entfremdeten Sohn Kontakt aufzunehmen. Das ist tragisch, teilweise aber auch komisch, wenn wir einen Tag lang der Mutter folgen und sie dabei immer mehr kennenlernen. Vor allem ist es faszinierend, auch dank einer fantastischen Corinna Harfouch, die der Titelfigur viel Ambivalenz verleiht.
8
von 10