Sam (Elliot Page) ist trans und lebt seit 4 Jahren in Toronto. Seine Familie hat er in all dieser Zeit nicht gesehen, nun aber fährt er für die Geburtstagsfeier seines Vaters erstmals wieder in seine Heimatstadt Cobourg – und ist alles andere als in froher Erwartung. Im Zug zurück in die Provinz begegnet er seiner früheren Highschool-Freundin Katherine (Hillary Baack) und sofort stellt sich wieder die frühere Verbindung ein. Doch Vergangenheit und Gegenwart sind nicht immer leicht zusammen zu bringen und es gibt allseits jede Menge Gefühle, die irgendwie bewältigt werden wollen.
Hohe Erwartungen leicht enttäuscht
Es ist immer erfreulich, wenn es tatsächlich queere Menschen sind, die queere Geschichten auf die große Leinwand bringen. Denn wer könnte diese authentischer inszenieren und darstellen als solche, die selbst Ähnliches erlebt haben? Elliot Page – zur Zeit sicherlich der bekannteste Transmann Hollywoods – hat bei Close to You“nicht nur die Hauptrolle übernommen, sondern neben Regisseur Dominic Savage auch mit am Drehbuch gearbeitet und den Film mit seiner Firma Pageboy Productions mitproduziert. Nachdem Page im vergangenen Jahr mit der Autobiografie Pageboy die Geschichte seiner Transition veröffentlichte, die sowohl inhaltlich berührte als auch literarisch überzeugte, ist die Erwartung an seinen ersten Kinoauftritt seit Jahren sicherlich hoch. Und wo viel erwartet wird, sind Enttäuschungen leicht zu haben.
Und ein bisschen enttäuschend ist Close to You leider schon, auch wenn es nicht ganz einfach ist, Gründe dafür zu benennen. Man begleitet Sam durch Gespräche mit jedem einzelnen Familienmitglied (nebst Anhang), die alles abdecken von herzerwärmender Akzeptanz bis frustrierender Transphobie, für die Zuschauer:innen aber irgendwann ebenso ermüdend werden wie für die Hauptfigur selbst. Es mag daran liegen, dass man die Entwicklung der verschiedenen Figuren und ihrer Beziehungen zueinander nicht in der Handlung nachvollziehen kann, sondern diese nur referiert werden (allen voran Sams). Vielleicht hätte es auch gutgetan sich auf weniger Personen zu konzentrieren, um dafür bei den Einzelnen mehr in die Tiefe gehen zu können. Und wenngleich die Story zwischen Sam und Katherine deutlich stärker ausgebaut ist, bleibt auch diese – trotz eines emotionalen Höhepunktes – am Ende mit einem unbefriedigenden Fragezeichen versehen.
Sehenswerte authentische Momente
Es gibt jedoch auch sehr viel Gutes über Close to You zu sagen. Die Chemie zwischen Elliot Page und Hillary Baack ist mehr als glaubhaft, baut sich in Blicken, stillem Lächeln und kleinen Gesten auf. Auch in Momenten, in denen sie jeweils für sich und ganz gedankenverloren sind, werden sie über den Filmschnitt miteinander verbunden. Schön ist hier auch, dass der Umgang von Menschen mit und ohne Behinderung – Hillary Baack ist gehörlos – als ganz selbstverständlich gezeigt wird. Das nachdenkliche, manchmal angespannte, aber doch selten laute Geschehen des Films passt zudem gut in die kühl-trübe Szenerie von Cobourg im Winter und wird stimmungsvoll unterstrichen von Klavier- und Streichinstrumentklängen. Die größte Stärke bleibt aber die anfangs schon erwähnte Authentizität.
Viele der Szenen, die Sam in seiner Familie erlebt, können Transmenschen sicher zu 100% nachvollziehen und auch informierte Allies dürften diese nicht fremd sein. Da zuckt man schon mal zusammen, wenn Sam versehentlich misgendert wird und paradoxerweise anschließend er derjenige ist, der Trost dazu spendet. Man schnaubt wütend, wenn Sams Familie offensichtliche Transphobie nicht klar als solche benennt und maßregelt, sondern (zunächst) eher mit unbehaglichem Schweigen quittiert. Der überwiegende Teil der Familie strahlt ungeheures Bemühen aus, Sam willkommen zu heißen und wieder eine Verbindung mit ihm aufzubauen. Dies macht aber ebenso schmerzvoll deutlich, dass er nach wie vor kein Familienmitglied wie alle anderen ist – auch wenn einige Momente darauf hoffen lassen, dass dies in der Zukunft vielleicht möglich sein könnte.
OT: „Close to You“
Land: Kanada, UK
Jahr: 2023
Regie: Dominic Savage
Drehbuch: Elliot Page, Dominic Savage
Musik: Dominic Savage, Oliver Coates
Kamera: Catherine Kutes
Besetzung: Elliot Page, Hillary Baack, Peter Outerbridge, Wendey Crewson
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