Robert Schwentke Stephan Zirwes
Regisseur und Autor Robert Schwentke (© Stephan Zirwes)

Robert Schwentke [Interview]

In Seneca (Kinostart: 23. März 2023) nimmt uns Robert Schwentke mit zurück ins alte Rom und erzählt die Geschichte des gleichnamigen Gelehrten, der hier von Hollywood-Star John Malkovich gespielt wird. Der genoss großes Ansehen, Macht und Reichtum. Allerdings war er auch den Launen des tyrannischen Nero ausgeliefert, der mit Brutalität und Willkür über sein Land herrschte. Als auch Seneca in Ungnade fällt, wird dieser zum Tode verurteilt. Immerhin: Er darf selbst bestimmen, wie er sterben möchte, was ihn zu einer Reihe von Abschiedsreden inspiriert. Wir haben uns im Rahmen der Weltpremiere auf der Berlinale 2023 mit dem Regisseur und Drehbuchautor über seinen Film gesprochen.

 

Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Seneca verraten? Wie kamen Sie zu dem Thema?

Der Produzent Frieder Schlaich kam mit dem Vorschlag, einen Film in Marokko zu drehen. Als Vorbild schwebte uns Pasolinis Edipo Re vor, den wir beide sehr lieben. Danach haben wir uns auf die Suche nach einem Stoff gemacht, der sich dafür eignen könnte. Als ich zu der Zeit einen Artikel über die letzte Nacht von Seneca gelesen habe, also seinen Selbstmord und wie es dazu kam, habe ich sofort Feuer gefangen. Was mich besonders an ihm interessiert hat, war die Diskrepanz zwischen Seneca dem Menschen und seinem Diskurs und dass sich all seine Dilemmata, philosophische, politische und private in einer langen Nacht zuspitzen. Eine Nacht, die mit seinem Tod endet.

Seneca ist ein Paradoxon. Obwohl er einer stoischen Schule angehörte, die Reichtum und persönlichen Besitz bestenfalls ambivalent oder gleichgültig gegenübersteht, gehörte er zu den reichsten Männern Roms. Er hatte große Ländereien, war Zinswucherer. Und obwohl er als Moralphilosoph bekannt war, diente er einem der berüchtigsten Tyrannen Roms. Diese Ironie fand ich sehr spannend.

Ist dieser Stoizismus, den Seneca gepredigt hat, überhaupt lebbar oder ist er bloß ein Ideal?

Der Stoizismus setzt sich ja mit der Frage auseinander, wie man gut stirbt, d.h. ohne Angst und Qual – etwas, das Seneca sein ganzes Leben lang gepredigt hatte – der Tod als große philosophische Herausforderung, als ultimative Prüfung des Charakters und der Prinzipien. Senecas moralischer Held Sokrates hatte seinen größten Moment, als er sich dieser Prüfung stellte.

Ironischerweise entsprach Senecas Selbstmord überhaupt nicht dem stoischen Ideal, was die Frage aufwirft, ob der Stoizismus wirklich auf das Leben und vor allem den Tod anwendbar ist. Seneca war besessen vom Selbstmord und dem Tod. Niemand hat mehr über den Suizid geschrieben als er. Er war aber auch von seinem eigenen Vermächtnis besessen. Davon, wie ihn die Nachwelt in Erinnerung behalten würde. Sein letzter Versuch, dieses Vermächtnis zu retten, war sein theatralischer Selbstmord. Mit seinem Selbstmord wollte Seneca bestimmen, welches Bild von ihm für die Nachwelt übrigbleibt.

Welches Bild ist denn am Ende von ihm geblieben?

Ich denke, dass sich das Bild von ihm im Lauf der Jahrhunderte immer wieder geändert hat. Es gab den christlichen Seneca. Dann gab es den aufklärerischen Seneca. Später gab es einen Seneca für Manager. Für Shakespeare und Marlow zum Beispiel war Seneca vor allem ein Theaterautor der die englischen Revenge Tragedies nachhaltig beeinflusst hat. Jedes Jahrhundert hat sich seinen eigenen Seneca zurechtgelegt. Ich glaube, dass Seneca in seinen Prosa-Werken weniger Philosoph war als vielmehr Lifestyle Coach.

Ist es denn überhaupt möglich, eine solche historische Persönlichkeit zu rekreieren?

Wir haben uns auf verschiedene historische Quellen verlassen. Vornehmlich Tacitus, der Senecas Selbstmord, wenn man so will, unsterblich gemacht hat. Was ich interessant finde: Tacitus hat Senecas letztes Drama so ambivalent beschrieben, dass man nicht genau sagen kann, ob er es als Tragödie oder Satire darstellte oder als moderne Verschmelzung von beidem. Dann haben wir Texte von Cassius Dio benutzt, der mit Seneca mehr als nur ein Hühnchen zu rupfen hatte und seinen Suizid durch den Kakao gezogen hat. Und es gibt natürlich die Schriften von Seneca selbst. Innerhalb dieses Dreiecks haben wir versucht, Seneca zu verorten. Aber natürlich ist unserer Seneca wie der christliche Seneca und der aufklärerische Seneca Interpretationssache. Wir haben danach gesucht, was seine Geschichte für ein heutiges Publikum relevant macht.

Sie haben schon erwähnt, dass Seneca eine Art Coach war. Er arbeitete auch als Lehrer. Würden Sie denn sagen, dass er ein Vorbild ist?

Ich finde ihn als Vorbild sehr schwierig. Vor Nero war es üblich, dass die Kaiser ihre eigene Reden geschrieben haben und darin ihr rhetorisches Wissen und Können anwenden und zur Schau stellen konnten. Nero war der Erste, der sich seine Reden schreiben ließ. Das überließ er Seneca, der de facto Neros Ghostwriter, Spin Doctor und Apologet war. Nachdem er in die Verbrechen des Palastes involviert war oder sie vielleicht sogar angestiftet hat, versuchte Seneca seinen Ruf mit sorgfältig ausgestalteten literarischen Selbstdarstellungen zu retten. Seine Virtuosität in Sachen Sprache und Rhetorik ermöglichten es ihm, zwei Dinge gleichzeitig zu tun: stoischen Ideale darzulegen und sein eigenes moralisches Ansehen zu verbessern. Das ist ein Doppelspiel, das er von seinen frühesten Jahren im Palast bis zu seinem Tod gespielt hat. Auch die Traktate, die er geschrieben hat, etwa zum Thema Vergebung, waren immer mit einem Eigeninteresse verbunden. Das macht es für mich schwierig, ihn als Vorbild anzusehen.

Wir hatten es schon davon, dass Seneca durch die Macht, die er genoss, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Ist es überhaupt möglich, eine solche Machtposition zu haben, ohne ihr irgendwann zu verfallen?

Ich glaube, dass er da schon ein besonderer Fall ist. Natürlich ist etwas dran, dass einen Macht verdirbt. Er hat das aber auf die Spitze getrieben, indem er einem Despoten und Tyrannen einen kulturellen und rhetorischen Unterbau geliefert hat. Damit hat er das Feld geebnet für die Amoral des neroischen Zeitalters. Er war ein korrupter Opportunist und Kollaborateur.

Seneca
John Malkovich als römischer Gelehrter Seneca kurz vor dessen Todesurteil. (© Filmgalerie 451)

Kommen wir auf den Film selbst zu sprechen. Fangen wir mit der Besetzung an. Warum haben Sie sich für John Malkovich entschieden?

Ich habe mit John den Film R.E.D. – Älter, Härter, Besser gedreht. Wir haben uns damals gut verstanden, ich mochte sein Spiel sehr. Später habe ich auch einige Theateraufführungen mit ihm gesehen, die mich sehr beeindruckt haben. Ich habe das Drehbuch für ihn geschrieben, ohne dass er es gewusst hat, weil ich mir damals noch nicht sicher war, ob sich daraus tatsächlich ein Film machen lässt. So wie bei Der Hauptmann habe ich erst einmal viel Recherche betrieben und ausprobiert, wie ich diese Geschichte erzählen könnte. Als ich mit dem Drehbuch fertig war, habe ich es ihm zugeschickt. Er hat es daraufhin in drei Tagen durchgelesen und zugesagt. Zum Glück! Ich hätte den Film nicht gemacht, wenn John nicht zugesagt hätte.

Neben ihm spielen eine Reihe deutscher Schauspieler und Schauspielerinnen mit. Hat sich das so ergeben, weil Seneca eine deutsche Produktion ist, oder war das direkt gewollt?

Das war direkt gewollt. Ich arbeite wieder mit einigen Schauspielern zusammen, die schon bei Der Hauptmann dabei waren und die Art des überhöhten Spiel beherrschen, das mir für den Film vorschwebte. In deutschen Filmen werden sie leider oft gedeckelt und können ihr Talent, das sie auf der Bühne zeigen, nicht wirklich ausspielen – was ich sehr schade finde. Ich wollte diesen Stil des Bühnenspiels auf meinen Film übertragen.

Von dieser Deckelung abgesehen: Was unterscheidet die Arbeit an einem deutschen Film von der an einem Hollywood-Film? Sie haben in Ihrer Karriere beides ausgiebig getan.

In vielerlei Hinsicht ist es dasselbe. Es gibt drei, vier Leute hinter der Kamera, ein paar Leute davor und gemeinsam schafft man aus einem Nichts ein Etwas. Und natürlich gibt es nie genug Geld. Das ist immer gleich, egal in welcher Budget-Größenordnung wir uns bewegen. In Hollywood wird der Film natürlich als Unterhaltungsware angesehen, die einen Profit abwerfen muss. Je höher das Budget ist, umso mehr Leute sprechen deshalb mit. Bei meinen zwei deutschen Filmen war das nicht der Fall. Bei uns mussten wir nur drei Leute zufriedenstellen: Frieder Schlaich, den ich vorhin erwähnt habe, und Irene von Alberti, die ebenfalls produziert hat. Und natürlich mich selbst. Das war ein großes Vergnügen. Es ist aber ein eben so großes Vergnügen, einen großen Blockbuster in Hollywood zu machen. Idealerweise kriegt man einen Spagat aus beidem hin.

Dieser Wechsel war also schon geplant? Es fällt in Ihrer Filmografie schon auf, wie sehr sich die Titel zum Teil unterscheiden.

Das liegt sicher auch daran, dass mein eigener Filmgeschmack extrem eklektisch ist. Ich bin mit dem klassischen europäischen Filmkunst Kanon aufgewachsen, ich denke das war die Hauptkomponente meiner filmischen Sozialisierung. Ich mochte aber auch das 70er-Jahre Kino in Amerika. Cassavetes, Altman, Mazursky und so. Ich liebe das Hollywood der 30er-Jahre. Und auch in den 80ern, die oft als dünne Jahre bezeichnet werden, haben viele Regisseure, die ich sehr bewundere, tolle Filme gedreht. Walter Hill, John Carpenter und David Cronenberg, nur um mal drei zu nennen. Auf der anderen Seite liebe ich aber auch zum Beispiel Albert Serra und ganz besonders Jacques Rivette. Und natürlich das japanische Kino, mein liebstes nationales Kino. In meiner Filmografie habe ich immer versucht, etwas Neues zu machen. Mich nicht zu wiederholen, sondern immer wieder eine neue Farbe auf die Palette zu tun.

Verfolgen Sie das deutsche Kino denn noch?

Oh ja! Ich schätze die Filme von Christoph Hochhäusler. Yella von Christoph Petzold fand ich auch sehr gut. Carnival of Souls als Ost-West-Geschichte. Western von Valeska Griesebach und dieser Tage Oskar Röhlers toller Film Enfant Terrible.

Und wie geht es bei Ihnen weiter? Steht das nächste Projekt schon fest?

Ja, diesmal wird es wieder ein Hollywood-Film. Ich kann leider noch nichts darüber sagen. Aber geplant ist, dass wir im August mit dem Dreh beginnen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Robert Schwentke wurde am 15. Februar 1968 in Stuttgart geboren. Er studierte zunächst vier Semester Philosophie und Literaturwissenschaft in Tübingen, bevor er am Columbia College Hollywood in Los Angeles Film studierte. Sein erster größerer Film war der Thriller Tattoo (2002). Später war er auch in den USA gefragt und drehte dort unter anderem Die Frau des Zeitreisenden (2009), R.E.D. – Älter, Härter, Besser (2010) und Die Bestimmung – Insurgent (2015).



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