Der Hauptmann
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Der Hauptmann

„Der Hauptmann“, Deutschland, 2017
Regie: Robert Schwentke; Drehbuch: Robert Schwentke; Musik: Martin Todsharow
DarstellerMax Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Alexander Fehling, Waldemar Kobus

Der Hauptmann
„Der Hauptmann“ läuft ab 15. März 2018 im Kino

Deutschland im Jahr 1945, der Zweite Weltkrieg nähert sich dem Ende zu. Fast hätte es ihn erwischt, den Gefreiten Willi Herold (Max Hubacher), der wie so viele dem sicheren wie unnötigen Tod entfliehen möchte. Aber aufs Desertieren steht die Todesstrafe. Und Hauptmann Junker (Alexander Fehling) hat Spaß daran, diese Urteile zu verstrecken, ein bisschen mit seiner Beute zu spielen. Sollen sie doch einen kleinen Vorsprung haben, sie bekommen schon noch, was sie verdienen! Herold gelingt es jedoch tatsächlich zu entkommen und findet dabei eine Hauptmannsuniform der Luftwaffe. Es dauert nicht lange, da scharen sich andere Soldaten um ihn, darunter Freytag (Milan Peschel) und Kipinski (Frederick Lau), in der Annahme, es handele sich um einen echten Hauptmann. Und auch Herold findet bald Gefallen an dieser Rolle, die ihm eine Reihe von Annehmlichkeiten einbringt – aber auch die Verantwortung über Leben und Tod.

Deutsche Regisseure, die in den USA den Durchbruch schaffen, die findet man nur selten. Robert Schwentke ist einer von ihnen, hat unter anderem R.E.D. – Älter, Härter, Besser und R.I.P.D. inszeniert, dazu zwei Teile der Jugend-Sci-Fi-Reihe Die Bestimmung. Nun ist er wieder da, meldet sich mit einem Film zurück, der so gar nicht dafür geeignet ist, Massen in die Kinos zu locken. Weder in die amerikanischen, noch die deutschen Kinos. Das mag sich nach einem Rückschritt anhören, könnte es im Hinblick auf die Karriere auch durchaus sein. Und doch darf man dem gebürtigen Stuttgarter dankbar sein, dass er sich für einen kleinen Heimatbesuch abgab. Denn was er mit Der Hauptmann geschaffen hat, das geht weit über seine gefällige Massenware der letzten Jahre hinaus.

Im Krieg gibt es keinen Platz für Menschen

Als kleines Schweinchen wird Herold anfangs bezeichnet. In der Welt von Der Hauptmann sind Menschen schon lange keine Menschen mehr. Die Opfer nicht, denen jede Rechte abgesprochen werden. Die Täter nicht, die sich am Grausamen erfreuen und sich einfach nehmen, was ihnen gefällt. Weil sie es können. Aber wer ist eigentlich Opfer, wer Täter? Das ist bei dem Film zunehmend schwerer zu beantworten. Während die Sympathien anfangs eindeutig verteilt sind, verwischen die Grenzen. Jeder kann Opfer sein, kann Täter sein. Meistens sind es die Umstände, die bestimmen, in welche Kategorie man gehört.

Das erinnert teilweise an Das Experiment. Auch dort ging es darum, was normale, unbescholtene Bürger anstellen, sobald sie die Macht dazu haben und keine Konsequenzen fürchten müssen. Das Ergebnis hier ist nicht minder verstörend. Nur wenige Menschen gehorchen hier noch ihrem Gewissen. Kleinere Aufstände gegen die Barbareien finden zwar immer wieder statt. Aber sie werden nicht beachtet, die Gutmenschen entweder ignoriert oder bekehrt. Das zeigt sich natürlich in erster Linie an Herold, hervorragend durch den jungen Schweizer Max Hubacher (Nichts passiert) verkörpert. Anfangs ein armer Tropf, der nur seine eigene Haut retten will, verwandelt er sich später selbst in ein Monster.

Ein surrealer Albtraum voll bösem Humor

Aber auch das Drumherum erinnert oft an einen Horrorfilm. Verfremdete Musik trifft auf unwirklich schöne Schwarzweißbilder, realer Terror auf seltsam überzogene Momente. Das anfangs noch so nüchterne Der Hauptmann wird surrealer, grotesker, aber eben auch grausamer. Schwentke zeigt einen Sinn für Humor, der schwärzer ist als die Bilder und so sehr durch Mark und Bein geht, dass man vor Schreck das Lachen vergisst. Das ist auf der einen Seite so faszinierend, wie man es nur selten im deutschen Kino erlebt. Auf der anderen Seite ist das Kriegsdrama aber auch eine Zumutung, die man sich danach so bald nicht wieder antun will. Vielleicht überhaupt kein zweites Mal. Dafür zieht sich die Verfilmung zwischenzeitlich auch etwas zu sehr. Aber dieses eine Mal wird man dafür so bald nicht wieder vergessen: Die Geschichte um Herold, der 1945 tatsächlich aufgrund eines Zufalls zu einem Kriegsverbrecher wurde, nimmt das Publikum durch die Mangel, schändet und schadet, während sie gleichzeitig mit einem Grinsen danebensteht. So als wäre das alles das normalste der Welt.



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Ein Gefreiter findet während des Zweiten Weltkriegs eine Hauptmannsuniform und nutzt diese Verwandlung bald zu seinen eigenen Gunsten. Das hätte eine Komödie werden können, eine Satire auf Obrigkeitsgehorsam und Machtmissbrauch. Trotz bitterbösen Humors ist „Der Hauptmann“ aber selten zum Lachen. Dafür ist das auf einer wahren Geschichte basierende Kriegsdrama zu fordernd und zu grausam, wandelt sich zu einem surrealen Horror, den man so bald nicht wieder vergisst.
8
von 10