Western

„Western“, Deutschland/Bulgarien/Österreich, 2017
Regie: Valeska Grisebach; Drehbuch: Valeska Grisebach
Darsteller: Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov

Western DVD
„Western“ ist seit 16. März 2018 auf DVD erhältlich

Es ist ein Job wie so viele andere auch für die Männer rund um Vorarbeiter Vincent (Reinhardt Wetrek). Diesmal sollen sie ein Kraftwerk bauen, nahe an der bulgarisch-griechischen Grenze. Dass sie sich mit den Einheimischen kaum verständigen können, weil niemand Bulgarisch kann und auch die Englischkenntnisse eher gering sind, das ist manchmal etwas unpraktisch. Andererseits: So richtig viel Interesse haben sie ohnehin nicht daran, die Leute vor Ort näher kennenzulernen. Lediglich Meinhard (Meinhard Neumann) versucht, Kontakte zu knüpfen und freundet sich dabei mit Adrian (Syuleyman Alilov Letifov) an. Doch diese Annäherung stößt nicht bei allen auf Wohlgefallen …

Western, da denken wir doch alle an amerikanische Prärien, ausgezehrte Revolverhelden, Pferde, vielleicht auch an den einen oder anderen Indianer. Wenn Valeska Grisebach ihren dritten Spielfilm nach dieser einst uramerikanischen Genregattung benennt, dann natürlich nicht zufällig. Und vieles erinnert hier ja auch an die Filme von früher. Dass Meinhard ein Wildpferd findet und es einreitet beispielsweise. Die Konflikte zwischen den Einheimischen, quasi den Ureinwohnern, und den technisch überlegenen Neuankömmlingen. Und natürlich die Gegend, in der es nie genügend Wasser für alle gibt, vielleicht auch gar nicht geben kann.

Zwischen Fakt und Fiktion
Aber auch wenn der Film mit solchen Erwartungen spielt, Western ist dann eben doch kein Western. Nicht, weil er keiner sein möchte. Man hat vielmehr das Gefühl, dass die Bremer Regisseurin und Drehbuchautorin sich gar nicht wirklich dafür interessiert, in welcher Schublade ihr neuestes Werk denn landen könnte. Ursprünglich kommt Grisebach ja eher aus dem Dokumentarfilmbereich. Dort fing sie an, 1997 war das, mit In der Wüste Gobi. Und auch wenn Bulgarien nun nicht ganz das exotische Flair der asiatischen Trockenlandschaft hat, vieles hier würde ebenfalls als Dokumentation durchgehen.

Beispielsweise vertraut Grisebach auch dieses Mal auf Darsteller ohne große Kameraerfahrung. So etwas kann natürlich böse nach hinten losgehen, wenn sich die Schauspieler nicht in ihren Rollen zurechtfinden, nicht genug mitbringen oder sich im Gegenteil etwas zu weit aus dem Fenster lehnen. Bei Western funktioniert das jedoch fabelhaft. Ob wir nun bei den Bauarbeitern sitzen, die über die Arbeit meckern oder sich gegenseitig aufziehen. Ob wir mit den Einheimischen zusammen sind, die nicht ganz so glücklich über die übergriffigen Deutschen sind. Man hat schnell das Gefühl, wirklich dabei zu sein, vergisst dass es sich letztendlich um einen fiktiven Film handelt.

Am Ende der Handlung
Grisebach erreicht dies aber auch, indem sie sich nicht an die typische Filmdramaturgie hält. Eine Entwicklung, ja, die gibt es. Aber auch wenn der Konflikt zwischen Bulgaren und Deutschen mit der Zeit immer wieder hochkocht, jedes Mal ein bisschen heißer, auch die Freundschaft zwischen Meinhard und Adrian sich intensiviert, Western folgt keinem klar erkennbaren roten Faden. Es gibt hier mal eine Anekdote, dort eine. Manche werden später wieder aufgegriffen, andere verschwinden im Niemandsland, wo sie nie wieder von einer Menschenseele gesehen werden.

Wer von Western daher einen großen Showdown erwartet, der sitzt im falschen Film. Grisebach lässt ja sogar offen, ob Meinhard denn nun ein wirklicher Held ist oder nur ein relativer – im Kontrast zu den anderen Deutschen, die wenig auf die Souveränität der Bulgaren geben. Das Drama, das 2017 in Cannes seine Weltpremiere hatte, bevor es auf eine größere Filmfesttournee ging (u.a. Filmfest München), ist vielmehr eine Mischung aus Dorfporträt und die Geschichte einer kulturellen Annäherung. Fast ist es schade, dass die Dialoge der Bulgaren untertitelt sind, das Gefühl, zusammen mit Meinhard eine fremde Welt zu betreten, daher nicht ganz so stark ausfällt. Aber auch so nimmt uns der Film mit auf eine Reise, die trotz fehlender großer Ereignisse sehr spannend ist, uns Bekanntes und Neues vor Augen führt. Die einerseits sehr archaisch wirkt und doch eben auch Plädoyer ist, sich auf die Menschen einzulassen, woher sie auch kommen mögen. Und das ist 2018 noch genauso aktuell wie zu der Zeit der „echten“ Western.



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„Western“ nimmt uns zwar nicht mit nach Amerika, sondern tritt die Reise Richtung Osten an. Wenn wir hier das bulgarisch-griechische Niemandsland kennenlernen, in dem ein neues Kraftwerk erbaut werden soll, dann werden aber doch diverse Elemente des altehrwürdigen Genres übernommen. Nicht alle haben das erwartete Ergebnis, das Drama ist auch mehr dokumentarisches Dorfporträt als handlungsgetriebener Genrefilm. Aber es ist eine sehr sehenswerte Reise, voller Widersprüche, archaisch und gleichzeitig hoch aktuell.
8
von 10