Femme
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„Femme“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Wenn Jules (Nathan Stewart-Jarrett) auf der Bühne steht, ist er es gewohnt, dass ihm alle gebannt zusehen. Als Drag Queen Aphrodite Banks ist er eine Institution in London. Doch nicht alle können etwas mit seiner Darbietungsform anfangen. So kommt es zu einem hässlichen Zwischenfall, als er in einem Supermarkt an die Falschen gerät und nach einer kurzen Provokation von einem von ihnen brutal zusammengeschlagen wird. Anschließend ist Jules kaum noch wiederzuerkennen. Er vermeidet soziale Anlässe, tritt nicht länger auf. Als er eines Tages in eine Schwulensauna geht, kann er seinen Augen kaum trauen. Ausgerechnet Preston (George MacKay) ist dort, jener Mann, der ihn misshandelt und traumatisiert hat. Anstatt sich davonzumachen, sucht Jules jedoch die Nähe des Schlägers, der ihn selbst nicht wiedererkannt hat, und fasst einen Plan …

Rache mit ungewohntem Szenario

An Rachethrillern mangelt es nun eigentlich wirklich nicht. Praktisch wöchentlich kommt irgendwo ein Film heraus, in dem der Hauptfigur ein großes Unrecht zugefügt wurde, was nun bestraft werden muss. Oft handelt es sich um Ex-Soldaten oder Ex-Agenten, deren Familien getötet wurden. Doch es geht auch ganz anders, wie das Beispiel Femme zeigt. So ist der Protagonist, der Rache üben will, keiner dieser muskelbepackten Superhelden, die im Kampf problemlos Dutzende von Feinden niedermähen, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Waffe ist auch kein Gewehr oder ein anderes todbringendes Objekt, mit dem er für Gerechtigkeit sorgen will. Stattdessen fasst Jules den Plan, seinen Peiniger dort zu treffen, wo es ihm wirklich weh tut: seiner Homophobie.

Dass ein Mann, der brutal Homosexuelle zusammenschlägt, in Wahrheit selbst homosexuell ist und damit nicht umgehen kann, ist natürlich ein Klischee. Überhaupt muss man bei manchen Stellen etwas großzügiger sein, was das Szenario angeht. Wenn beide Protagonisten dieselbe Schwulensauna frequentieren, ist das schon ein ziemlicher Zufall. Umso mehr, wenn Preston ansonsten darauf achtet, bloß nicht in einem schwulen Kontext gesehen zu werden. Dass Jules ausgerechnet dem Mann hinterherläuft, vor dem er in seinem Kopf seit Monaten davonläuft, ist auch nicht unbedingt nachzuvollziehen. Eigentlich sollte man meinen, dass er in seiner Angst eher das Weite suchen würde, so wie er sich auch sonst nicht seinem Trauma stellen wollte. Auf diese etwas eigenartige Ausgangslage muss man sich bei Femme einlassen können und sie als gegeben hinnehmen.

Gut gespielt, spannend und verwirrend

Steckt man jedoch erst einmal in der Geschichte drin, ist die Mischung aus LGBT-Drama und Thriller durchaus faszinierend. Unter anderem behandeln Sam H. Freeman und Ng Choon Ping, die zusammen Regie geführt und das Drehbuch geschrieben haben, das Thema der Identität und wie fließend diese sein kann. Das betrifft nicht nur Jules, der zwischen seiner Bühnen-Persona und dem alltäglichen Ich wechselt. Auch Preston verhält sich anders, je nachdem in welchem Kontext wir ihn sehen. So kann er durchaus fürsorglich sein, nur im nächsten Moment zu dem brutalen Schläger zu werden, als den wir ihn am Anfang sehen. Ausgerechnet George MacKay (I Came By, 1917) für eine solche Rolle zu besetzen, ist bemerkenswert. Eigentlich ist der Brite eher für zurückhaltende Figuren bekannt, weniger als tätowierter Muskelmann mit Aggressionsproblemen. Doch er erledigt diesen Wandel ebenso souverän wie Nathan Stewart-Jarrett (Candyman), der in Femme eine Form des gefährlichen Doppellebens führen darf.

Das ist durchaus spannend im Sinne eines Genrefilms, wenn man bis zum Schluss mitzittern darf, ob Jules’ falsches Spiel auffliegt – und welche Folgen das haben wird. Es ist tragisch, weil beide Figuren auf ihre Weise Gefangene sind. Ihre Beziehung könnte tatsächlich funktionieren, so hat man mehrfach den Eindruck, wenn die Umstände andere wären. Und natürlich geht es auch um so Themen wie Vergebung und Selbstbestimmung. Diskussionsstoff ist daher einiges gegeben. Das Thrillerdrama, das auf der Berlinale 2023 Weltpremiere feierte, ist provokativ, stellenweise unangenehm – gerade die ersten und die letzten Szenen sind schwer zu ertragen und werden in Erinnerung bleiben. Femme lässt einen aber auch etwas ratlos zurück, was genau mit all dem anzufangen ist. Freeman und Ping haben einiges in ihren Film gelassen und lassen das Publikum im Anschluss allein, damit es die gewonnenen Eindrücke selbst verarbeiten muss.

Credits

OT: „Femme“
Land: UK
Jahr: 2023
Regie: Sam H. Freeman, Ng Choon Ping
Drehbuch: Sam H. Freeman, Ng Choon Ping
Musik: Adam Janota Bzowski
Kamera: James Rhodes
Besetzung: George MacKay, Nathan Stewart-Jarrett

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Femme
fazit
Eine Drag Queen wird von einem homophoben Mann brutal zusammengeschlagen, fängt später aber in seinem alltäglichen Aussehen eine Affäre mit ihm an. „Femme“ ist eine recht eigene Mischung aus einem LGBT-Drama und einem Rachethriller, bei dem es viel um das Thema Identität geht. Das ist nicht alles glaubwürdig, bietet aber einiges an Stoff, über den man im Anschluss viel nachdenken darf.
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