Caroline Link Interview Safe TV Fernsehen ZDFneo Mediathek
© ZDF und Adrienne Meister.

Caroline Link [Interview]

Wie lässt sich mit Kindern und Jugendlichen umgehen, die auf die eine oder andere Weise Schwierigkeiten in ihrem Leben haben? Dieser Frage geht Caroline Link in ihrer ersten Serie Safe nach. Darin erzählt die deutsche Regisseurin und Autorin von Katinka (Judith Bohle) und Tom (Carlo Ljubek), die in Berlin eine Praxis für Kinder- und Jugendpsychotherapie führen. In insgesamt acht Folgen lernen wir vier junge Menschen kennen, denen die zwei zu helfen versuchen. Anlässlich des Starts auf ZDFneo am 8. November 2022 unterhalten wir uns mit Link über die Arbeit an der Serie, heutige Herausforderungen an die Jugend und wie diesen mehr Selbstvertrauen gegeben werden kann.

Könnten Sie uns ein wenig über die Entstehungsgeschichte von Safe verraten? Wie kam es zu dieser Serie?

Grundsätzlich ist es natürlich nicht neu, dass ich mich gerne mit Kindern beschäftige. In fast allen meiner Filme spielen Kinder eine große Rolle. Ich suche diese Projekte nicht gezielt, weil es oft auch ein mühsames und anstrengendes Arbeiten bedeutet. Aber dann bekomme ich so schöne Stoffe in die Hand, wie etwa:  Der Junge muss an die frische Luft oder Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Und ich denke: Ja, das will ich machen. Das liegt mir nah. Bei Safe ist es so, dass mir noch vor der Arbeit an meinen letzten beiden Filmen wieder das Buch Dibs. In search of himself von Virginia Axline in die Hände gefallen ist. Darin beschreibt sie, wie sie einen fünfjährigen autistischen Jungen therapiert. Ich war schon als 17-Jährige berührt davon, wie einfühlsam und behutsam sie den kleinen Kerl dazu bringt, sich zu öffnen. Durch diesen Bericht ist mir die Idee gekommen, Kindertherapie in einer Serie zu zeigen. Ich finde das sehr spannend. Als Regisseurin bin ich natürlich an Menschen und ihrer Psyche interessiert. Klar, sonst wäre ich im falschen Beruf.

Finden Sie es einfacher oder schwieriger, sich in Kinder hineinzuversetzen im Vergleich zu Erwachsenen?

Schwer zu sagen, es gibt Menschen, jung oder alt, in die kann man sich leichter einfühlen als in andere. Es ist Teil meiner Arbeit, unbekannte Gefühlswelten auszuloten. Ich kann ja nicht immer nur von mir selbst erzählen.

Andere tun das …

Das stimmt natürlich. Das finde ich aber sehr langweilig. Ich will die Welt auch einmal durch andere Augen sehen. Ich glaube, Künstler haben das zu allen Zeiten gemacht. Kultur ist immer auch ein bisschen die Aneignung des Fremden.

Es hat in den letzten Jahren mehrere Serien gegeben, die sich mit dem Thema Therapie auseinandersetzen. Bekannt ist vor allem die israelische Serie BeTipul, die später unter anderem in den USA und Frankreich neu verfilmt wurde. Was macht Ihrer Meinung nach den Reiz solcher Geschichten aus?

Ich denke, es ist ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis, die eigenen Gefühle zu verstehen. Wir wissen, dass die eigene Kindheit eine große Rolle spielt für das spätere Erwachsenleben. Wie man sich als Mensch fühlt, hat viel mit der Kindheit zu tun. Viele Menschen denken mit dem Alter darüber nach, warum ihr Leben so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Das bedeutet auch, über den eigenen Lebensweg nachzudenken. Ob man im Leben zufrieden ist hängt viel damit zusammen, ob man sich selbst mögen kann. In der Kindertherapie geht es darum, das Selbstwertgefühl der jungen Patienten zu stärken. Da geht es nicht darum, Kinder und Jugendliche zu erziehen oder zu bewerten, selbst dann nicht, wenn jemand am liebsten seinen kleinen Bruder erwürgen würde. Es geht darum, dass man als Mensch nunmal fühlt, was man fühlt, und dass wir verstehen wollen, woher diese Gefühle kommen.

Oft haben Filme und Serien mit jungen Hauptfiguren selbst eine junge Zielgruppe. Bei Safe ist es eher nicht zu erwarten, dass Kinder und Jugendliche einschalten werden.

Nein, wahrscheinlich eher nicht. Aber ich mache mir über Zielgruppen und Vermarktung keine Gedanken. Das sollen andere machen. Ich gehe davon aus, dass das, was mich interessiert, auch andere interessiert. Ich glaube, mein Geschmack ist nicht so furchtbar außergewöhnlich.

Tom (Carlo Ljubek) und Katinka (Judith Bohle) haben in „Safe“ eine Praxis für Kinder- und Jugendpsychotherapie (© ZDF und Julia von Vietinghoff)

Und wie sind Sie auf die einzelnen Geschichten innerhalb von Safe gekommen?

Die habe ich zusammen mit zwei Therapeuten erarbeitet. Ich habe ihnen gesagt, dass ich gerne über zwei Jungs und zwei Mädchen in verschiedenen Altersgruppen erzählen möchte, und dann haben wir gemeinsam überlegt, welche Fälle interessant sein könnten. Welche Auffälligkeiten es in diesem Alter gibt. Das bedeutete gerade am Anfang für mich, dass ich viel lernen musste. Aber das war sehr spannend für mich und irgendwann habe ich verstanden, worauf es bei dieser Therapieform ankommt.

Wie unterscheidet sich Kindertherapie von der für Erwachsene?

Bei Erwachsenen läuft viel über den Verstand. Sie wollen über ihre Probleme reden. Kinder drücken sich anders aus. Intuitiver, oft übers Spielen. Was beide Gruppen gemeinsam haben ist, dass sie ihre verwirrenden Gefühle irgendwie verstehen wollen. In der Therapie geht es darum, den Kindern zu vermitteln, dass sie liebenswert sind. Gerade Jugendliche testen oft die Grenzen aus und provozieren bewusst, um zu sehen, ob die Wertschätzung des Therapeuten trotzdem bleibt. Wie verhält sich der Therapeut, wenn ich gemein zu ihm bin? Es geht nicht darum, auf Teufel komm raus freundlich zu bleiben, sondern authentisch und offen. Kinder und Jugendliche merken schnell, ob es jemand ernst mit ihnen meint.

Ist dieses Einfühlungsvermögen angeboren oder etwas, das man sich erarbeiten kann?

Natürlich braucht man Empathie. Und Interesse an anderen Menschen. Man kann durchaus lernen, sich in andere hineinzuversetzen. Ich glaube es ist wichtig, sich in Gesprächen auch mal zurück zu nehmen. Durch die Arbeit an dieser Serie habe ich gelernt, dass gute Ratschläge nicht immer hilfreich sind. Menschen wollen nicht erklärt bekommen, was sie tun sollen. Sie wollen verstanden werden. Wenn Kinder sich aufregen, dass der Lehrer wieder so doof war, dann darf das auch einfach mal so stehen bleiben. Sie wollen, dass man ihre Gefühle anerkennt, ohne dass gleich ein Verbesserungsvorschlag kommt. Das war eine wertvolle Erkenntnis für mich und mein eigenes Leben.

In Ihrer Serie tauchen Erwachsene, Jugendliche und Kinder auf, die natürlich alle eine eigene Sprache haben. Wie haben Sie sichergestellt, dass diese Sprache auch authentisch ist und sich nicht anhört wie ein Erwachsener, der sich als Kind ausgibt?

Ob das letztendlich authentisch ist, müssen andere beurteilen. Als Autorin beobachte ich permanent Menschen und höre wie sie sprechen. Das ist mein Job.

Kindertherapeuten und Kindertherapeutinnen sind inzwischen sehr gefragt. In der Corona-Pandemie wurde oft davon gesprochen. Aber auch vorher schon gab es diesen Trend. Ist der Bedarf insgesamt gestiegen oder ist das Thema heute weniger tabuisiert, sodass die Menschen einfach offener dafür sind?

Der Druck auf Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft ist extrem groß. Der Zustand der Welt gibt viel Anlass zur Sorge. Wer einigermaßen reflektiert durchs Leben geht, der kann gar nicht anders, als sich Sorgen zu machen. Dazu kommt eine große Erwartungshaltung der Eltern an ihre Kinder. Junge Leute haben viele Möglichkeiten, aber das kreiert natürlich auch Stress.

Ist es denn auch für Eltern schwieriger geworden, für ihre Kinder da zu sein?

Auf jeden Fall! Sie haben genauso großen Druck. Alle wollen alles, Karriere, Familie, Selbstverwirklichung. Das ist für viele eine große Belastung.

Wenn es Kindern nicht gut geht, heißt es oft, dass die Eltern schuld sind. Wie groß ist überhaupt der Einfluss der Eltern in der Hinsicht?

Natürlich überträgt sich der Stress der Eltern auf die Kinder. Aber das war ja schon immer so. Wir müssen nicht pausenlos für unsere Kinder da sein, aber es wäre hilfreich, wenn es uns gelänge, unseren Kindern das Gefühl zu vermitteln, dass wir uns ehrlich für ihre Erfahrungen und ihren Alltag interessieren und sie, egal was passiert, bedingungslos lieben. Das klingt so einfach, ist es aber nicht. Viele Kinder haben das Gefühl, sie werden nur geliebt wenn sie funktionieren. Die bedingungslose Liebe von den Eltern stärkt die Resilienz, weil sie bei den Kindern das Selbstwertgefühl erhöht. Wenn wir durch unsere Serie erreichen, dass Eltern darüber nachdenken, dann haben wir schon einiges erreicht.

Safe war Ihre erste Serie. Wie war die Erfahrung für Sie?

Das Thema von Safe hat mich wirklich sehr interessiert und ich bin dem ZDF dankbar, dass es mir die Möglichkeit gegeben hat, die Serie so zu drehen, wie ich das wollte. Grundsätzlich liebe ich aber das Kino. Wahrscheinlich bin ich eher ein Sprinter als ein Marathonläufer. Ich bastel gerne an den Details. Das Kino ist da eher meine Disziplin.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Caroline Link wurde am 2. Juni 1964 in Bad Nauheim geboren. Sie studierte von 1986 bis 1990 an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) in der Abteilung Dokumentarfilm und arbeitete danach als Regieassistentin und Drehbuchautorin. Nach mehren Kurz- und Dokumentarfilmen erschien 1996 ihr erster langer Spielfilm Jenseits der Stille, in dem sie von der Tochter gehörloser Menschen erzählt. Weltweit bekannt wurde sie durch das Drama Nirgendwo in Afrika (2001), das einen Oscar als bester fremdsprachiger Film erhielt. Ihr mit mehr als 3,6 Millionen Besuchern und Besucherinnen kommerziell erfolgreichster Film ist Der Junge muss an die frische Luft (2018) über die Kindheitsgeschichte von Hape Kerkeling.



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