Das weiße Haus am Rhein TV Fernsehen Das Erste ARD Mediathek DVD
Jonathan Berlin in dem historischen Zweiteiler "Das weiße Haus am Rhein" (© ARD Degeto/SWR/WDR/Zeitsprung Film/Wolfgang Ennenbach)

Jonathan Berlin [Interview]

Der Erste Weltkrieg ist vorbei. Doch wie soll es jetzt weitergehen? Familie Dreesen, die seit einigen Jahrzehnten bereits ein Familienhotel am Rhein betreibt, steht vor den Scherben der deutschen Geschichte, als das Hotel von den Franzosen besetzt ist und die Gäste ausbleiben. Es ist Sohn Emil Dreesen (Jonathan Berlin), der gerade aus dem Krieg zurückgekehrt ist und noch mit seinem Trauma zu kämpfen hat, der die rettenden Ideen hat und gegen seine konservativen Eltern verteidigt. Aber es ist eine Rettung auf Zeit, denn der Nationalsozialismus fasst immer weiter Fuß und wird bald auch das Geschehen im Hotel bestimmt. Zum Sendetermin des historischen Zweiteilers Das Weiße Haus am Rhein am 3. Oktober 2022 ab 20.15 Uhr im Ersten unterhalten wir uns mit Hauptdarsteller Berlin über die Arbeit an den Filmen, bleibende Traumata und schwierige Grenzen.

Was hat dich an Das weiße Haus am Rhein interessiert, dass du da mitmachen wolltest?

Ich fand vor allem die Figur sehr spannend, Emils Willen zur Umgestaltung. Mich hat interessiert, wie Emil die Dystopie hinter sich lassen und zu einer Utopie kommen möchte. Aber natürlich auch dieser Bruch im zweiten Teil, wenn er quasi einen Pakt mit dem Teufel eingeht, sich darin verliert. Emil ist eine sehr ambivalente Figur, die eigentlich mit hohen politischen Ansprüchen an die Umgestaltung des Familienhotels herangeht, mit seinen Entscheidungen aber zunehmend alles gegen die Wand fährt, wofür er eigentlich steht.

Das weiße Haus am Rhein basiert zum Teil auf einer wahren Geschichte. Kanntest du sie? Wusstest du etwas über das Hotel und die Familie?

Tatsächlich nicht, nein. Ich habe aber natürlich vor dem Casting recherchiert und dann auch noch mal intensiver, als es auf den Dreh zuging.

Wie wichtig war die zugrundeliegende Geschichte insgesamt für deine Vorbereitung auf die Rolle?

Emil als Person gab es so nicht. Die Figur ist, soweit ich weiß, eine Verquickung verschiedener Aspekte anderer Personen zu einer einzigen, weswegen ich in der Hinsicht nicht viel machen musste. Natürlich habe ich mich eingelesen, was die Zeit und die politische Situation angeht, um ein Gespür dafür zu haben, in welchem Umfeld sich Emil bewegt. Dann natürlich schauspielerisch „normale“ Vorbereitung, also sich mit den Vorgängen und Situationen beschäftigen. Es war definitiv eine Gradwanderung, bei dem vielen, was im den zwei Teilen ja doch passiert, fein genug zu dosieren, dass man da der Zeichnung genau bleibt und die Figur nicht überlädt.

Und wie schwierig war es für dich, dich in diese Zeit hineinzuversetzen? Sowohl die Phase nach dem Ersten Weltkrieg wie auch die direkt vor der Machtergreifung von Hitler sind etwas, das uns heute fremd ist, weil wir nichts Vergleichbares erlebt haben.

Das stimmt natürlich. Es wäre anmaßend zu behaupten, dass ich nachfühlen kann, wie es Emil in der Zeit ging. Ich kann nur versuchen, mich dem Ganzen anzunähern und einzubringen. Der Fall Kemmerich zum Beispiel, der mit Stimmen von der AfD zum Ministerpräsidenten in Sachsen gewählt wurde… ich weiß noch, wie baff ich war und wie wütend ich war, dass eine rechtspopulistische Partei wieder zum Königsmacher wurde. Und solche Erfahrungen habe ich dann als Grundlage genommen und zu potenzieren versucht, auch wenn das natürlich ein ganz anderes Level ist.

Emil kommt völlig traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Wie viel von dem Emil, wie wir ihn in den Filmen kennenlernen, ist durch dieses Trauma geprägt?

Wir lernen ihn natürlich erst kennen, als er dieses Trauma schon hat, und können ihn deshalb nicht mit dem Emil vor dem Krieg vergleichen. Aber ich glaube schon, dass er sehr stark von dieser Erfahrung geprägt ist, gerade auch was das Verhältnis zu seinen Eltern angeht. Die Sinnlosigkeit, in diese Brutalität hinein geschickt zu werden, hat natürlich Spuren hinterlassen, körperlich wie seelisch. Sowas wie die Komponente, dass er nicht mehr riechen und schmecken kann, das fand ich spielerisch ziemlich interessant: Er wurde durch den Krieg seiner Sinne beraubt. Nicht zu vergessen die Panikattacken und die Flashbacks, die er immer wieder hat.

Zum Teil versucht Emil, aus dieser Erfahrung etwas für sich mitzunehmen. Zum Teil verdrängt er das alles. Denkst du, dass man ein solches Trauma überhaupt hinter sich lassen kann? Oder bleibt da immer etwas zurück?

Ich glaube, dass da immer etwas zurückbleibt. Wir leben zwar in einer Gesellschaft, in der immer so getan wird, als müsste man vieles irgendwann abgehakt haben. Aber nein, das sind so tiefschürfende, freiheitsberaubende und lebensbedrohliche Erfahrungen… damit zu leben, ist kräftezehrend genug, denke ich. So etwas hinter sich lassen: Das kann ich mir kaum vorstellen.

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Krisensitzung bei Familie Dreesen in „Das weiße Haus am Rhein“: Ulla (Pauline Rénevier), Emil (Jonathan Berlin) und Adelheid (Nicole Heesters) verhandeln mit Fritz (Benjamin Sadler) und Maria (Katharina Schüttler) über die Zukunft ihres Hotels. (© ARD Degeto/SWR/WDR/Zeitsprung Film/Wolfgang Ennenbach)

Eine Eigenschaft, die bei Emil auffällt, ist seine große Anpassungsfähigkeit. Das zeigt sich anfangs, als er bei dem Familienhotel ganz neue Wege geht und damit dem Geschäft Schwung verleiht. Es führt aber auch zu diesem Pakt mit dem Teufel, den du am Anfang angesprochen hast. Siehst du seine Anpassungsfähigkeit als eine mehr positive oder mehr negative Eigenschaft?

Das hängt von der Situation ab. Am Anfang ist das auf jeden Fall etwas, das ihm hilft. Am Ende verliert er dadurch aber zu sehr seine Prinzipien. Gerade erleben wir wieder in anderer Form, wozu das führen kann. Wenn man sich nicht früh genug von Diktaturen lossagt, und das geht schon beim wirtschaftlichen Handeln los, dann ist das immer mit einem Risiko verbunden. Emil ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell man seine Werte verraten kann, wenn man nicht klare Kante zeigt. Deswegen ist er für mich auf eine Weise auch eine sehr aktuelle Figur. Dass er annimmt, dass die Nazis schon bald wieder weg vom Fenster sein würden, da legitimiert er mit seiner Naivität den Pakt mit ihnen und verliert sich selbst.

Wobei diese Übergänge sehr fließend sind und man bei Emil als Publikum gar nicht so genau sagen kann, was noch Flexibilität und was Opportunismus ist. Wo würdest du für dich selbst die Grenzen setzen?

Gute Frage. Sicher ist es leicht im Nachhinein zu sagen: „Ich als Jonathan hätte vermutlich sehr viel früher als Emil die Grenze gesetzt.“ Aber natürlich, spätestens als klar wird, dass Hitler und die anderen das Hotel nutzen wollen, um ihre nationalsozialistische Politik zu betreiben, hätten alle persönlichen und wirtschaftlichen Interessen hintenan gestellt werden müssen. Wie gesagt, ich denke, wir befinden uns auch gerade in Zeiten, in denen es darum geht, Freiheit, Demokratie, eine diverse Gesellschaft zu verteidigen. Da würde ich mir auch von meiner Branche oftmals mehr Haltung wünschen. Diese Grenze darf unter keinen Umständen leichtsinnig verschoben werden.

Das weiße Haus am Rhein ist ein Film, der viel zum Nachdenken anregt. Das wirst du wahrscheinlich auch selbst getan haben. Was hast du für dich von dem Projekt mitgenommen?

Wahrscheinlich bin ich wirklich noch einmal genau dafür sensibilisiert worden, worüber wir gerade gesprochen haben: Wo verläuft diese Grenze? Wo endet die Freiheit? Klare Kante zu zeigen, wenn jemand diskriminiert und ausgeschlossen wird.

Ist es auch das, was du dir für das Publikum erhoffst?

Wenn der Film solcherlei Fragen anregt, wie du sie hattest, wäre das schon sehr schön, ja.

Dann noch eine leichtere Frage, da du vorhin von den historischen Figuren gesprochen hast, die in dem Hotel auftauchen: Wenn du eine beliebige historische Figur treffen und sprechen könntest, wen würdest du wählen?

Da gibt es natürlich so viele, dass ich mich schwer entscheiden kann. Mein Großvater hat mal ein Gespräch mit Martin Luther King geführt, was mich immer schwer beeindruckt hat. Und da wäre ich wirklich gern dabei gewesen.

Dann noch kurz zur Zukunft: Welche Projekte stehen demnächst bei dir an?

Ich habe gerade eine recht lange Drehphase hinter mir. Am 13. Oktober kommt Der Passfälscher ins Kino, der auf der Berlinale lief und mir sehr wichtig ist. Jetzt durfte ich gerade meine ersten internationalen Produktionen drehen, eine Sky-Serie, in der es um Europa und die Flüchtlingspolitik geht, eine deutsch-norwegische Umwelt-Thrillerserie mit dem Titel The seed und ein Kinofilm namens Black Box. Allesamt Projekte, die mir inhaltlich wirklich wichtig sind. Die Regie ist für mich auch ein Thema geworden und da versuche ich mich, nach und nach anzunähern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Jonathan Berlin wurde 1994 in Ulm geboren. Von 2012 bis 2015 studierte er Schauspiel an der an der Otto-Falckenberg-Schule in München und trat parallel bei den Münchner Kammerspielen auf. Erfahrungen vor der Kamera sammelte er anfangs vor allem im Fernsehbereich. So spielte er in beiden Staffeln der Historienserie Tannbach – Schicksal eines Dorfes (2015/2018) mit. Seinen Durchbruch schaffte er durch den TV-Film Die Freibadclique (2017) nach dem gleichnamigen Roman, in dem er einen von mehreren Jugendlichen spielte, die während des Zweiten Weltkriegs ihr unbeschwertes Leben zu führen versuchen. Anschließend spielte er in einer Reihe von TV- und Kinoproduktionen mit. 2022 gab er mit dem Kurzfilm August sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor.



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