Wo ist die Liebe hin TV Fernsehen Das Erste ARD
© NDR/Sandra Hoever/Markus Hertrich

Wo ist die Liebe hin?

Inhalt / Kritik

Wo ist die Liebe hin TV Fernsehen Das Erste ARD
„Wo ist die Liebe hin?“ // Deutschland-Start: 12. Januar 2022 (Das Erste)

Seit 15 Jahren sind Agnes (Ulrike Tscharre) und Gregor (Roeland Wiesnekker) mittlerweile miteinander verheiratet. Und eigentlich galten sie auch als das absolute Traumpaar: Während sich ihre Freunde Conny (Uygar Tamer) und Bernhard (Rainer Bock) bei jedem zweiten Satz zoffen, herrschte bei ihnen immer Harmonie. Das ändert sich jedoch, als Agnes anfängt, sich bei einer lokalen Tafel zu engagieren, wo sie an Bedürftige Essen verteilt. Was zunächst nur eine kleine Nebenbeschäftigung sein sollte, nimmt bei ihr einen immer größer werdenden Platz ein. Das bedeutet für Gregor und die gemeinsame Tochter Helena (Emilie Neumeister) eine ziemliche Herausforderung, verändert sich dadurch doch das starre Familiengefüge. Plötzlich muss das Traumpaar sich mit der Frage auseinandersetzen: Reichen ihre Gefühle noch aus?

Die Krise eines Paares

Im Leben kommt man immer wieder in Phasen, in denen man alles hinterfragt und nicht mehr so genau weiß, wie es in Zukunft weitergehen soll. Die bekanntesten sind die Jugend, wie sie in Coming-of-Age-Filmen immer wieder beschrieben wird, und die gefürchtete Midlife-Crisis, wenn erste Ängste hochkommen, dass irgendwie alles sinnlos und vergeudet war. Aber auch außerhalb dieser beiden Vorzeigekrisen gibt es immer wieder Anlass, sich noch einmal in dem Alltag neu zu suchen. In Wo ist die Liebe hin? ist es eine Ehefrau und Mutter, der ihre jahrelange Rolle nicht mehr reicht und deshalb etwas Neues möchte. Ihr Engagement bei der Tafel ist dabei sicherlich mit dem Wunsch verbunden, etwas Gutes zu tun. Die zugrundeliegende Motivation ist aber weniger altruistisch: Agnes ist unzufrieden und versucht das irgendwie zu ändern.

Das ist verständlich, nach vielen Jahren möchte man doch mal etwas Neues ausprobieren. Wenn dieses Neue mit Hilfe für Leute verbunden ist, denen es schlecht geht, dann klingt das eigentlich nach einer Win-win-Situation. Und doch ist Wo ist die Liebe hin? keines der inspirierenden Wohlfühldramen, bei denen am Ende das Publikum ermuntert ist, noch einmal aus sich herauszugehen und sich zu verwirklichen. Vielmehr wird das, was eigentlich eine schöne Sache sein sollte, zum Anlass einer existenziellen Krise, bei der die ganze Familie auseinanderzubrechen droht. Mit der Arbeit für die Tafel hat das eher weniger zu tun, auch wenn sich Agnes da ein bisschen sehr hineinsteigert. Problematisch ist vielmehr, dass hier – wie so oft bei Familiendramen – das Talent zur Kommunikation sehr bescheiden ausgeprägt ist. Die drei wissen zum Teil nicht, was nicht stimmt. Vor allem wissen sie nicht, wie sie darüber miteinander reden können.

Ein Leben ohne einfache Antworten

Als Gegenentwurf wird das befreundete Paar Conny und Bernhard vorgestellt, die das andere Extrem darstellen. Dort wird nichts zurückgehalten. Alles, was den beiden einfällt oder nicht gefällt, wird auf den Tisch gepackt. Ideal ist das natürlich auch nicht. Vielmehr ist das Paar so unangenehm, dass jedes gemeinsames Essen zu einer Tortur wird. Tatsächlich geizt Wo ist die Liebe hin? mit Positivbeispielen oder Figuren, die eine Form der Vorbildfunktion haben. Selbst diejenigen, die am Rand stehen, haben meistens irgendwelche Sachen, die nicht in Ordnung sind. Das kann man dann frustrierend finden oder realistisch. Eines muss man Regisseur Alexander Dierbach (Tannbach – Schicksal eines Dorfes) lassen: Er zeigt auf, dass das Leben selten einfach ist. Dass es nicht das eine Erfolgsrezept gibt, das man nur abzuhaken braucht, damit am Ende alles ganz toll wird.

Umso enttäuschender ist, dass der Film zum Ende hin diese Ambivalenz aufgibt und auf einmal doch eine ganz klare Ausformulierung des Problems anstrebt. Das wird weder dem Thema noch dem Vorangegangenen gerecht, da zieht man sich plötzlich aus der Affäre. Ärgerlich ist dabei auch, dass die ARD-Produktion ganz offensichtlich dem Publikum nicht zutraut, selbst die notwendigen Schlüsse zu ziehen, weshalb die Moral dann gleich mehrfach wiederholt wird, nur für alle Fälle. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, nutzt Wo ist die Liebe hin? auf eine recht billige Weise individuelle Schicksalsschläge, um diese Punkte durchzuprügeln. Das Leid der anderen wird zu einem Mittel zum Zweck reduziert, weil das Drehbuchduo offensichtlich keinen anderen Weg wusste, zu einem Abschluss zu kommen. Vielleicht war es aber auch das starre Korsett eines öffentlich-rechtlichen Abendfilms, welches nicht mehr zuließ.

Trotz diverser Mängel sehenswert

Das ist schade, weil der Film eigentlich einiges zu bieten hat. So punktet das Drama, das beim Filmfest Hamburg 2020 Premiere feierte, mit einem talentierten Ensemble, das sich weder bei den harmonischen, noch den konfrontativen Momenten die Blöße gibt. Außerdem stellt es eine Reihe wichtiger Fragen, die sich um die Themenkomplexe Verantwortung, Familie und Selbstverwirklichung drehen und die so universell sind, dass das Publikum sich in diesen wiederfinden kann. Der anfängliche Ausflug ins Soziale, wenn die Tafel noch ein wirkliches Thema ist, bevor es zu einem Symptom wird, wirft zudem ein Schlaglicht auf gesellschaftliche Probleme, über die viel zu selten gesprochen wird. In der Summe ist Wo ist die Liebe hin? daher durchaus sehenswert, auch wenn da gerade zum Ende hin einiges nicht mehr so wirklich überzeugt.

Credits

OT: „Wo ist die Liebe hin?“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Alexander Dierbach
Drehbuch: Katrin Ammon, Martina Borger
Kamera: Ian Blumers
Besetzung: Ulrike C. Tscharre, Roeland Wiesnekker, Anneke Kim Sarnau, Emilie Neumeister, Rainer Bock, Uygar Tamer

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Wo ist die Liebe hin?
fazit
In „Wo ist die Liebe hin?“ fängt eine Ehefrau und Mutter an, sich sozial zu engagieren, und stürzt damit die ganze Familie in eine Sinnkrise. Das ist gut gespielt und spricht eine Reihe wichtiger Themen an. Umso bedauerlicher ist, dass das Drama diesen nicht traute und deshalb im weiteren Verlauf die eigene Ambivalenz aufgibt und zudem auf billige Weise Schicksalsschläge missbraucht.
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