
Zehn Jahre ist es inzwischen her, dass der Satz gefallen ist, der wie kaum ein anderer für starke Emotionen sorgt: „Wir schaffen das“. Von der damaligen Willkommenskultur, als notleidenden Menschen die Tür geöffnet wurde, ist bekanntlich nicht so wahnsinnig viel geblieben. Inzwischen überbieten sich die Parteien bei dem Versuch, Migration als Teufelswerk zu verdammen, die Mutter aller Probleme. Aber auch in anderer Hinsicht scheint die Solidarität auf dem Tiefpunkt angekommen zu sein. Ob nun Queerfeindlichkeit oder die Behauptung, Bürgergeldempfänger seien grundsätzlich Schmarotzer, da wird gehetzt, statt sachlicher Auseinandersetzung gibt es irrationalen Hass. Da scheint der Dokumentarfilm Solidarity je nach Sichtweise zur bestmöglichen oder unpassendsten Zeit in die Kinos zu kommen.
Was heißt Solidarität?
In diesem geht der Schweizer Dokumentarfilm David Bernet der Frage nach, was Solidarität ist, wem sie gilt und wann sie auftritt. Zu dem Zweck lässt er kräftig den Blick schweifen. Natürlich spielt das Thema Migration eine große Rolle, wenn er in Solidarity die beiden in Europa besonders stark thematisierten Fluchtbewegungen gegenübergestellt werden. Da ist auf der einen Seite die Flucht der syrischen Bevölkerung, als dort der Bürgerkrieg ausbrach, auf der anderen die der ukrainischen, nachdem ihr Land von Russland überfallen wurde. Dass die Reaktionen auf die beiden Migrationswellen unterschiedlich ausgefallen sind, ist kein Geheimnis. Solidarität ist dann doch ein subjektives Empfinden: Je näher man sich einem Menschen fühlt, umso mehr ist man bereit ihm zu helfen, selbst wenn objektiv kein Unterschied besteht.
Noch ein drittes Fass wird aufgemacht, wenn es auf den letzten Metern um den Gaza-Konflikt geht. Anfangs war die Solidarität mit Israel groß nach dem barbarischen Überfall der terroristischen Hamas, der das Land tief traumatisierte. Doch je länger der sich anschließende Krieg geht, umso härter und grausamer Israel selbst vorgeht, umso mehr bröckelt die Solidarität, bis die Frage im Raum steht: Kann ich ein Opfer selbst dann noch unterstützten, wenn es selbst zum Täter geworden ist? Solidarity ist dabei erstaunlich aktuell, auch wenn der Dokumentarfilm bereits einige Monate alt ist, etwa im Mai auf dem DOK.fest München 2025 gezeigt wurde. Inzwischen kippt die Stimmung weltweit immer mehr, obwohl die Tatsachen schon lange vorher offensichtlich waren. Aber Solidarität ist eben nicht immer eine Kopfsache.
Die Suche nach dem eigenen Urteil
Die Beispiele sind naheliegend und doch gut gewählt. Es fällt dem Publikum nicht schwer, sich in den Themen des Films wiederzufinden, selbst wenn man nicht allem zustimmen muss, was hier gesagt wird. Solidarity will letztendlich auch gar nicht groß selbst urteilen. Das hier ist keiner der Dokumentarfilme, die das Publikum missionieren wollen und vorgeben, was man zu tun und zu denken hat. Das gezeigte Leid der Menschen, wenn wir uns in Flüchtlingslagern bewegen, spricht zwar prinzipiell für sich. Dennoch wird keine Moralkeule geschwungen und auf die Zuschauer und Zuschauerinnen eingeprügelt. Es ist dann doch einem selbst überlassen, welche Schlüsse man daraus zieht.
Das ist einerseits löblich, tatsächliche Denkanstöße sind oft Mangelware in einer Welt, in der mehr behauptet als gefragt wird. Andererseits führt die Offenheit mitunter dazu, dass der Film etwas beliebig wird und man sich das etwas konkreter gewünscht hätte. So richtig eindeutige Antworten gibt es in dieser Sinnsuche dann doch nicht. Wer diese gar nicht braucht, sondern sich einfach mal mit dem Thema beschäftigen möchte, ist hier aber an keiner schlechten Adresse. Solidarity lässt zahlreiche Menschen zu Wort kommen, nimmt uns mit an unterschiedlichste Orte und lässt dabei auch Widersprüche zu. Ob man im Anschluss solidarischer sein wird, darf zwar bezweifelt werden. Aber vielleicht zumindest ein wenig informierter.
OT: „Solidarity“
Land: Deutschland, Schweiz
Jahr: 2025
Regie: David Bernet
Drehbuch: David Bernet
Kamera: Marcus Winterbauer, Grzegorz Myjkowski, Ian Oggenfuss, Pierre Mennel
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