
Normalerweise ist in der kleinen Gemeinde Paimpont in der Bretagne nicht viel los. Das ändert sich aber, als die Lehrerin Joëlle Lesourd (Julie Delpy) anregt, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen und damit ein Zeichen für Solidarität zu setzen. Bürgermeister Sébastien Lejeune (Jean-Charles Clichet), nie um ein bisschen Marketing verlegen, ist Feuer und Flamme. Ein Kamerateam soll das Ganze fürs Fernsehen dokumentieren. Doch die Sache geht schief, statt der erwarteten Ukrainer und Ukrainerinnen kommt eine syrische Familie. Während Joëlle und einige andere schnell mit der veränderten Situation klarkommen, sind bei anderen die Ressentiments nicht zu übersehen. Vor allem der Klempner Hervé Riou (Laurent Lafitte) hält nicht mit seinem Rassismus zurück und sieht in den neuen eine Bedrohung …
Auch wenn Julie Delpy in erster Linie als Schauspielerin bekannt ist, hat sie inzwischen doch eine beachtliche Zahl an Filmen selbst inszeniert. Ihre Spezialität sind dabei Komödien, die auf dem Zwischenmenschlichen basieren, wie etwa bei Familientreffen mit Hindernissen (2011) und Lolo – Drei ist einer zu viel (2015). Zuletzt fiel My Zoe (2019) ziemlich aus dem Rahmen, wenn der Film als Scheidungsdrama beginnt und anschließend zu etwas ganz anderem wird. Das war ambitioniert, funktionierte aber nicht so wirklich. Das muss wohl auch Delpy erkannt haben, weshalb sie mit ihrem siebten Langfilm Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne wieder in vertrautere Gefilde zurückkehrt und sich stärker auf die Figuren und ihr Miteinander konzentriert.
Wo Delpy sonst aber vor allem in der Familie unterwegs ist, da lässt sie hier den Blick schweifen. So nutzt sie das Setting, um die Menschen aus einer kleinen Gemeinde und die syrische Familie zusammenzuführen. Das klingt nach einer dieser Culture-Clash-Komödien, von denen es in den 2000ern und 2010ern in Frankreich jede Menge gab und bei denen es jemanden in eine ländliche Gegend verschlägt. Tatsächlich erinnert der deutsche Titel Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne an Willkommen in der Bretagne, damals ging es um die neue Personalleiterin eines Krankenhauses. Im Gegensatz zu den meisten dieser Komödien wird die Geschichte aber nicht aus Sicht der Person erzählt, die es in die Provinz verschlägt. Die Hauptfiguren sind vielmehr diejenigen, die dort wohnen und sich nun auf Fremde einlassen müssen.
Ein Streitthema zwischen Stereotyp und Ambivalenz
Delpy, die auch das Drehbuch geschrieben hat, greift dabei das Thema auf, welches wie kaum ein anderes die Menschen in den letzten Jahren bewegte: Immigration. Dabei hält sie ihren Mitmenschen den Spiegel vor, indem sie die Scheinheiligkeit in vielen europäischen Ländern anspricht. Während Geflüchtete aus der Ukraine mit offenen Armen empfangen wurden, werden solche aus anderen Kulturkreisen abgelehnt, obwohl die Situation dieselbe ist. In beiden Fällen flohen die Menschen vor Kriegen. Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne legt gleich zu Beginn den Finger in die Wunde, wenn es heißt, dass die Ukrainer zu gefragt waren und deshalb niemand mehr übrig ist, während die Syrer ein Ladenhüter sind. Zwar wird versucht, diesen Rassismus zu legitimieren. Aber es bleibt Rassismus.
Das klingt nach einem dieser moralisierenden Werke. Ganz so ist es dann aber doch nicht. Während manche Figuren letztendlich wirklich nur Stereotype sind, darunter eben Hervé, ist Delpy bei anderen um mehr Ambivalenz bemüht. Die beste Freundin Anne Poudoulec (Sandrine Kiberlain), eine hoffnungsvolle Säuferin, bringt beispielsweise noch etwas mehr emotionale Tiefe in die Geschichte. Hart ist auch die Szene, wenn eine der Syrerinnen fragt, ob sie erst ein Bild ihres toten Mannes zeigen muss, um Mitgefühl zu bekommen. Insgesamt ist Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne dann aber doch mehr auf Unterhaltung aus. Das funktioniert gut, zumal die Filmemacherin wenig überraschend ein illustres Ensemble versammeln konnte. Wer nicht schon genug hat von dem Thema, kann hiermit seinen Spaß haben.
OT: „Les Barbares“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Julie Delpy
Drehbuch: Julie Delpy
Musik: Philippe Jakko
Kamera: Georges Lechaptois
Besetzung: Julie Delpy, Sandrine Kiberlain, Laurent Lafitte, Jean-Charles Clichet, India Hair, Dalia Naous, Mathieu Demy, Marc Fraize, Rita Hayek, Fares Helou
Toronto International Film Festival 2024
Hofer Filmtage 2024
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2024
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