Familientreffen mit Hindernissen

Familientreffen mit Hindernissen

(„Le Skylab“ directed by Julie Delpy, 2011)

Familientreffen mit HindernissenHochzeiten und Todesfälle, Taufen und Weihnachtsfeiern – es gibt viele Anlässe, an denen man die gesamte Familienbrut über sich ergehen lassen muss. Und das gilt natürlich auch für Geburtstage. So wie bei der französischen Komödie Familientreffen mit Hindernissen. Mémé (Bernadette Lafont) hat zu ihrem 67. Geburtstag geladen, und alle sind sie gekommen. Wirklich alle. Rund 25 Familienmitglieder, drei Generationen, und sie alle strömen aus dem ganzen Land zusammen, um der alten Dame zu gratulieren und einen Tag miteinander zu verbringen. Ein ganz schönes Gewusel, und wir als Zuschauer mittendrin.

Tatsächlich werden wir beim Treffen erst mal ein wenig allein gelassen. Überall sind Menschen, die sich natürlich untereinander alle kennen und munter miteinander plaudern. Infos, in welcher Verbindung sie zueinander stehen, wie sie überhaupt heißen – Fehlanzeige. Wessen Kind war das noch mal? Wer ist wessen Bruder? Ein bisschen fühlt man sich so, als würde man das erste Mal ins Haifischbecken Familie des Partners geworfen. Erst nach und nach lichtet sich der Nebel, die Zugehörigkeiten werden klarer und die kleine Albertine (Lou Alvarez) stellt sich als eigentliche Hauptfigur heraus. Elf Jahre ist sie, ein wenig pummelig und unternimmt erste Schritte in Richtung Erwachsenenleben. Sie verliebt sich im Laufe des Films das erste Mal und bekommt später auch ihre erste Periode, worauf sie ungemein stolz ist.Familientreffen mit Hindernissen Szene 1

Doch Albertines Handlungsstrang ist nur einer von mehreren, die Regisseurin Julie Delpy zusammenwebt. An anderen Stellen wird das Mädchen selbst zur Zuschauerin und wir sehen die Erwachsenen aus ihrem Blickwinkel. Und das Ergebnis ist oft eigenartig für kindliche Augen, geradezu absurd. Zum Beispiel, wenn sich die Erwachsenen beim Abendessen alle heftig in die Haare kriegen. Auf der einen Seite des Boxrings: Albertines Eltern Anna (Delpy) und Jean (Eric Elmosnino), überzeugte Linke. Auf der anderen Seite Jeans Brüder, ehemalige Soldaten und ebenso überzeugte Hasser der Linken. Familientreffen mit Hindernissen ist nämlich nicht nur Familien-, sondern auch Zeitporträt. Wir schreiben das Jahr 1979 und das Land ist in Bewegung. Zwar wird es noch zwei Jahre dauern bis zur historischen Machtübernahme der Sozialisten, aber die Lagerkämpfe haben längst bekommen.

Dadurch wird der Film auch zu einem schön nostalgischen Vergnügen. Ob im Fernsehen alte Zeichentrickfilme laufen, Albertine unbedingt den neuen Film Alien sehen will oder die Kleinen einen Ausflug in die Dorfdisco wagen, passende Klamotten inklusive – man fühlt sich wirklich in die späten 70er zurückversetzt. Auch bei den Figuren überzeugt Familientreffen mit Detailverliebtheit. Manche Charaktere und Situationen sind zwar etwas überspitzt, insgesamt wirkt das Generationentreffen aber authentisch und ungemein sympathisch. Wenn sich Albertine gleich am Anfang mit einer Cousine wegen eines Kleides zofft oder die Erwachsenen – auch unter Alkoholeinfluss – teils peinliche Lieder anstimmen, möchte man meinen, ein reales Video aus dem Familienarchiv vor sich zu haben. Ein Verdienst, der auch auf die sorgfältige und gelungene Besetzung zurückgeht.Familientreffen mit Hindernissen Szene 2

Die liebevollen Details und die Fokussierung auf das Kleine hat jedoch einen Nachteil: Delpy verzichtet völlig auf das große Ganze. Statt eines durchgängigen Plots entscheidet sich der französische Streifen für eine Aneinanderreihung teils äußerst banaler Szenen. Zwei Klammern gibt es zwar – Albertine als erwachsene Frau und der drohende Sturz einer Weltraumstation – aber auch die finden eher am Rande statt. Wer Filme der Handlung wegen schaut, wird hier also nur wenig glücklich. Auch Spannung oder gar Action sucht man bei Familientreffen mit Hindernissen vergebens. Selbst mit großen Lachern kann die Komödie nicht dienen. Humor ist zwar reichlich vorhanden, aber er ist leise, unaufgeregt. Ein Humor, der einen zum Lächeln bringt, weniger zum Schenkelklopfen Anlass gibt. Vor allem, da immer wieder ernste Momente aufblitzen, etwa wenn Hubert, der wunderliche Bruder von Mémé, sich im Schuppen erhängen will. „Schon wieder, genau wie im letzten Jahr.“

Familientreffen mit Hindernissen ist seit 17. Januar auf DVD erhältlich



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Für die Massen ist das mal fröhliche, mal traurige Familientreffen sicher nicht gedacht. Dafür aber für Liebhaber kleiner, unspektakulärer und typisch europäischer Geschichten. Wenig aufregend, dafür gut gespielt, authentisch und ein wenig nostalgisch.
6
von 10