
Der elfjährige Santino entstammt einer Zirkusfamilie mit langer Tradition. Sein Urgroßvater Georg Frank reiste mit dem Circus Frankello und dessen berühmtem Elefanten Sahib rund um den Globus. Doch als der Familienbetrieb Georg Franks eigene Familie nicht mehr ernähren konnte, kehrte er dem Zirkusleben schweren Herzens den Rücken. Auf Wunsch seiner eigenen Kinder kehrte er schließlich dorthin zurück und gründete in den 1980er-Jahren den Circus Arena, der bis heute besteht. Jeden Abend steht Georg Frank als Direktor in der Arena und sieht unter vielen anderen seinem Sohn Markus, seinem Enkel Gitano und seinen Urenkeln Santino und Giordano bei der Arbeit zu. Was Santino später einmal in der Arena darbieten will, weiß er noch nicht. Zwischen wechselnden Schulen und einem Leben auf dem Sprung hilft ihm sein Urgroßvater mit Anekdoten aus der eigenen Familiengeschichte, durchs anspruchsvolle Zirkusleben zu navigieren.
Manege frei!
„Solange es Kinder gibt, solange gibt es den Zirkus“, sagt Opa Ehe. Opa Ehe heißt mit bürgerlichem Namen Georg Frank und ist einer der ältesten Zirkusdirektoren Deutschlands. Im Dokumentarfilm von Anna Koch und Julia Lemke feiert er seinen 80. Geburtstag und bekommt von seinen Verwandten gleich zwei Armbanduhren geschenkt, damit er zu den Zirkusvorstellungen, die er Abend für Abend mit Frack und Zylinder eröffnet, nicht mehr zu spät kommt. Um die Zukunft muss sich Frank nicht sorgen. Mit seinen Urenkeln Giordano und Santino stehen gleich zwei Kinder parat, die den Laden später einmal schmeißen könnten. Deren brüderlicher Konkurrenzkampf ist nur ein Aspekt von vielen, die Zirkuskind thematisiert.
Wie es der Filmtitel vermuten lässt, ist diese Doku durch die Augen eines Kindes erzählt. Im Zentrum steht Santino, der zu Beginn des Films seinen elften Geburtstag feiert und die Geschichte seiner Familie aus dem Off erzählt. Unterstützt wird er von kleinen, toll gestalteten Animationen, die immer dann ins Bild rücken, wenn Santino oder sein Urgroßvater etwas schildern, für das es kein Archivmaterial gibt. Das Regieduo begleitet den Jungen durch vier Jahreszeiten hindurch und entlässt das Kinopublikum kurz vor dessen zwölftem Geburtstag. Inzwischen ist Santino nicht nur ein ganzes Stück größer, gemeinsam mit ihm ist auch das Publikum an den unterwegs gesammelten Erfahrungen gewachsen.
Eingespielte Teams vor und hinter der Kamera
Koch und Lemke sind ein eingespieltes Team. Die zwei lernten sich während ihres Studiums an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) kennen, wo sie 2016 ihren Abschlussfilm Schultersieg vorlegten, der das Leben junger ostdeutscher Ringerinnen dokumentierte. Vier Jahre später folgte mit Glitzer & Staub der Sprung über den Großen Teich und ein Blick auf texanische Mädchen, die im Rodeo mitmischen. Die Regisseurinnen, die als Duo unter dem Namen „Badabum“ firmieren, bleiben sich auch in ihrem dritten gemeinsamen Film treu und nehmen erneut ein besonderes Milieu durch Kinderaugen in den Blick. Da verwundert es auch nicht, dass Zirkuskind die erste Doku ist, die im Rahmen der Initiative Der besondere Kinderfilm entstanden ist. Passend uraufgeführt wurde sie bei der 75. Berlinale in der Sektion Generation.
Sehenswert ist auch dieser Film. Von schönen Einstellungen, für die Julia Lemke als Kamerafrau selbst verantwortlich zeichnet, und den Akkordeonklängen der Komponisten Nils Kacirek und Jörg Hochapfel getragen, vermitteln Lemke und Koch ein Gefühl dafür, was es bedeutet, ohne festen Wohnsitz immer unterwegs zu sein. Dabei setzt das Duo keine rosarote Brille auf. Familiärer Zusammenhalt steht neben Familienzwist, ausverkaufte Shows neben Abenden, an denen die Zuschauerränge kaum gefüllt sind. Die tragische Geschichte der Familie Frank, die als Sinti von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und viele ihrer Mitglieder in den Konzentrationslagern verlor, blenden Koch und Lemke zudem nicht aus. Ganz im Gegenteil gelingt ihnen eine kindgerechte Aufarbeitung dieses historischen Kapitels in einem Dokumentarfilm, der am Ende nicht nur Kinder-, sondern auch Erwachsenenherzen höherschlagen lässt.
OT: „Zirkuskind“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Julia Lemke, Anna Koch
Drehbuch: Julia Lemke, Anna Koch
Musik: Nils Kacirek, Jörg Hochapfel
Kamera: Julia Lemke
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