
Eigentlich wünscht sich Lea (Mariella Aumann) ein ganz normales Leben. Irgendwie ist ihr aber genau das nicht vergönnt. Nicht nur, dass das Leben ihrer Familie sehr von ihrem jüngeren Bruder Paul (Henry Kofahl) bestimmt ist, der von Geburt aus in seiner Entwicklung beeinträchtigt ist und wie ein normales Leben führen wird. Ihre Eltern Barbara (Laura Tonke) und Thomas (Andreas Döhler) gehören zudem einer Glaubensgemeinschaft an, die fest davon überzeugt ist, dass die Menschen ursprünglich vom Jupiter kommen und dort auch ihre Heimat haben. Das bringt Lea nicht nur eine Menge Spott an der Schule ein. Sie ist zudem gezwungen, irgendwann eine schwierige Entscheidung zu treffen …
An der Welt verzweifelt
Keine Lebensphase dürfte ähnlich schwierig und folgenreich sein wie die Jugendjahre. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wer man selbst ist und sein möchte. Es werden zudem wichtige Grundsteine für den weiteren Verlauf gelegt. Kein Wunder also, dass gefühlt jede Woche irgendein Film herauskommt, der sich mit diesem Abschnitt befasst. Coming-of-Age-Werke sind prinzipiell so universell und zeitlos, dass sie praktisch immer gehen und sich die meisten irgendwie darin wiederfinden können. Nachteil dieser enormen Identifikationsfläche: Es ist nicht ganz einfach, innerhalb dieses großen Angebots irgendwie hervorzutun. Der deutsche Film Jupiter schafft dies, indem er bewährte Elemente mit einigen sehr eigenwilligen verbindet.
Zu Letzteren gehört natürlich die ganze Sache mit dieser eigenartigen Sekte. Geschichten, die in einer solchen spielen, gibt es natürlich auch nicht wenige. Meistens geht es dann um irgendwelche Anführer, die gottgleich verehrt werden. The Other Lamb ist ein Beispiel dafür, wie eine Jugendliche in einer solchen Gemeinschaft groß wird und nun an der Schwelle zur Erwachsenen steht. Wenn in Jupiter die Menschen daran glauben, aus dem Weltall gekommen zu sein und wieder dorthin zu müssen, dann ist das doch mal ein ungewöhnliches Szenario. Komisch geradezu. Und doch ist das hier nicht als Komödie gedacht. Vielmehr hat Regisseur und Co-Autor Benjamin Pfohl, der hiermit seinen Kurzfilm auf Spielfilmlänge ausweitet, einen sehr traurigen Film gedreht um Menschen, die an der Welt und ihren Lebensumständen verzweifeln.
Ruhig und einfühlsam
Das wird jedoch erst nach und nach klar. Anstatt die Geschichte chronologisch zu erzählen, springt Pfohl immer wieder zwischen vergangenen und gegenwärtigen Ereignissen hin und her. Während die Familie sich in dem aktuellen Strang auf die geplante Abreise vorbereitet, bekommen wir durch Rückblicke Einblicke in deren Leben und wie es dazu kam, dass sie überhaupt Teil der Sekte wurde. Was anfangs noch schrullig wirkt, wird so verständlich. Jupiter nutzt Science-Fiction-Elemente, um von einem letztendlich sehr menschlichen Schicksal zu erzählen. Auch dabei kommen individuelle und universelle Punkte zusammen. Zwar liegt der Fokus auf Leas Familie. Aber auch andere hadern mit dieser Welt, kämpfen mit ihrer Situation, wollen den zahlreichen Krisen, die derzeit herrschen, entkommen. Der Film knüpft da schon an eine weit verbreitete Verzweiflung und Überforderung an, an den Wunsch, dass die Probleme sich einfach auflösen.
Wenn Lea mit der Entscheidung konfrontiert wird, sich den Eltern auf ihrem Flug anzuschließen oder zurückzubleiben, geht es metaphorisch auch darum, sich Problemen zu stellen, sich dem Leben zu stellen. Die Jugendliche muss lernen, sich von all dem zu lösen und unabhängig zu werden. Das auf mehreren Festivals gezeigte Jupiter ist dabei emotional, die Geschichten gehen einem zu Herzen. Pfohl verzichtet aber dankenswerterweise darauf, diese mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Er vertraut der Geschichte, vertraut seinem Ensemble, vertraut auch dem Publikum, dass es die einzelnen Puzzleteile selbst zusammenzufügen weiß. Dieses wird für diese Arbeit belohnt mit einem außergewöhnlichen Film, das ruhig und einfühlsam von dem schwierigen Aufwachsen erzählt – und einem ebenso schwierigen Loslassen.
OT: „Jupiter“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Benjamin Pfohl
Drehbuch: Benjamin Pfohl, Silvia Wolkan
Kamera: Tim Kuhn
Besetzung: Mariella Aumann, Laura Tonke, Andreas Döhler, Ulrich Matthes, Paula Kober
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