Avril Lucciani (Lætitia Dosch) ist eine Spezialistin für aussichtslose Fälle. Keine Geschichte ist der Rechtsanwältin zu schwierig. Das bedeutet aber nicht, dass sie diese Fälle auch gewinnt. Tatsächlich lässt ihre Erfolgsquote zu wünschen übrig, was sie ihr Chef Jérôme (Pierre Deladonchamps) auch spüren lässt. Sie braucht eine bessere Bilanz, so viel ist klar. Als dann eines Tages Dariuch Michovski (François Damiens) vor ihr steht, lehnt sie auch sofort ab, schließlich ist der Sachverhalt klar. Sein Hund Cosmos hat drei Menschen gebissen und muss deshalb eingeschläfert werden, so sieht es das Gesetz vor. Am Ende lässt sie sich dennoch erweichen und will versuchen, das Leben des Tieres zu retten. Ihre Strategie: Cosmos soll nicht als Objekt angesehen werden, über das andere verfügen können, sondern als eigenständiges Wesen. Zu diesem Zweck engagiert sie den Verhaltensforscher Marc (Jean-Pascal Zadi), der ihr erklären soll, wie der Hund in Wirklichkeit denkt …
Kurioses Justizdrama
Eigentlich kennt man Lætitia Dosch als Schauspielerin. In mehreren Dutzend Filmen hat die Französin bereits mitgespielt, darunter etwa in Passion Simple oder La belle saison – Eine Sommerliebe. Dabei hat sie offensichtlich ein Faible für Dramen und Komödien, zumindest ist sie überwiegend in solchen zu sehen. Insofern verwundert es nicht wirklich, dass sie für ihr Debüt als Regisseurin und Drehbuchautorin ebenfalls in diesem Bereich unterwegs ist. Wobei es gar nicht so einfach ist, Hundschuldig in eine feste Kategorie einzuordnen. Denn hier ist vieles nicht so klar, wie es zunächst erscheint. Das gilt nicht nur für den Fall an sich, der mehr ist als nur Gesetzparagrafen. Es gilt auch für den Film an sich, der im Laufe von rund 80 Minuten immer wieder andere Wege einschlägt, neue Themen auspackt und auch mit Genregrenzen spielt.
Im Grunde handelt es sich hier um einen Gerichtsfilm, von denen es in der Filmgeschichte nicht gerade wenig gegeben hat. Nur dass hier eben kein Mensch vor Gericht steht, sondern ein Hund. Das klingt kurios, hat aber einen wahren Kern: Hundschuldig wurde von einer tatsächlichen Geschichte inspiriert. Wobei es Dosch weniger darum geht, den damaligen Fall einfach wiederzugeben. Vielmehr nimmt sie den skurrilen Vorfall zum Anlass, um sich eine ganze Reihe von Gedanken zu machen. Viele betreffen natürlich unser Verhältnis zu Tieren, die oft zu Objekten degradiert werden, über die wir frei verfügen können. Eine der zentralen Fragen betrifft die, ob Hunde sich in jeder Situation streichen lassen müssen. Cosmos wollte das nicht und biss dann eben zu. Hatte er das Recht dazu? Dieses Thema lässt sich dabei natürlich noch größer auffassen und auf unser grundsätzliches Verhältnis zur Natur anwenden, die der Mensch in seiner Überheblichkeit als untergeordnet ansieht.
Nachdenklich und unterhaltsam
Und doch macht es sich der Film nicht so einfach, wie man das and er Stelle denken könnte. Während manche Passagen auf eine eindeutige Pro-Tier-Einstellung schließen lassen, stellt eine spätere Erkenntnis das wieder in Frage. Und als wäre das nicht schon kompliziert genug, vermischt sich dieses Thema mit ganz vielen anderen. Beispielsweise sind dann auf einmal Geschlechterrollen wichtig – etwas, das sich schon vorher in der Kanzlei ankündigte. Auch Klassenunterschiede haben in Hundschuldig eine Bedeutung. Da eines der Opfer eine Portugiesin ist und damit eine Ausländerin, geht es zusätzlich um Rassismus. Und dann wäre da auch noch der Nachbarsjunge Joachim (Tom Fiszelson), dessen Vater Alkoholiker ist und eventuell gewalttätig, auch wenn das nie ganz eindeutig gesagt wird.
Das ist schon sehr viel, gerade für einen so kurzen Film. Die Komödie, die 2024 in der Sektion „Un Certain Regard“ in Cannes Premiere feierte, hat auch gar nicht vor, diese ganzen Themen bis zum Ende durchzusprechen. Hundschuldig ist ein Film, der unzählige Denkanstöße liefert, es dann aber dem Publikum überlässt, eigene Schlüsse zu ziehen. Das wird manchen zu wenig sein, zumal diese Themenwechsel sehr abrupt sind, gleiches gilt für die Schwankungen in der Tonalität. Und doch ist Dosch mit ihrer etwas anderen True-Crime-Geschichte ein unterhaltsames und interessantes Debüt gelungen, welches neugierig darauf macht, was die Französin bei ihrem nächsten Film angehen wird.
OT: „Le Procès du chien“
IT: „Dog on Trial“
Land: Schweiz, Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Laetitia Dosch
Drehbuch: Laetitia Dosch
Musik: David Sztanke
Kamera: Alexis Kavyrchine
Besetzung: Laetitia Dosch, Kodi, François Damiens, Jean-Pascal Zadi, Anne Dorval, Pierre Deladonchamps, Tom Fiszelson
Cannes 2024
Locarno 2024
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2024
Around the World in 14 Films 2024
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