Sleep With Your Eyes Open

Von ihrem Geliebten am Flughafen alleine gelassen, reist Kai (Liao Kai Ro) alleine nach Brasilien. Während sie am Strand liegt, sind ihre Gedanken nach wie vor bei der Beziehung, die nun in die Brüche gegangen ist. Zudem ist der Küstenort, an dem sie ist, ihr völlig fremd, sodass sie alleine durch die Straßen irrt, wobei sie den Regenschirmverkäufer Fu Ang (Wang Shin-Hong) trifft. Es kommt zu einem Gespräch und sie ist froh, jemanden gefunden zu haben, der ihre Sprache spricht, weshalb sie sich nach ein paar Tagen abermals zu seinem Geschäft aufmacht. Dort stößt sie auf einen Fremden, der nicht weiß, wo Fu Ang hin ist, Kai aber einen Karton voller Postkarten schenkt. Wieder im Hotel angekommen, beginnt sie die Karten genauer zu studieren, denn auf einigen von ihnen schildert eine junge Frau namens Xiaoxin (Chen Xiao Xin) ihre Geschichte. Fasziniert beginnt sie zu lesen und findet immer mehr Trost und Halt in diesen kurzen Episoden aus dem Leben Xiaoxins.

Die Fremde erleben

Für Regisseurin Nele Wohlatz sind Fremdheitserfahrungen keine Seltenheit in ihrem Leben, denn schon während ihres Studiums ging sie nach Buenos Aires, wo auch ihr Film The Future Perfect entstand, für den sie auf den Filmfestspielen in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde. In ihrem neuen Spielfilm Sleep With Your Eyes Open verfolgt sie einen ähnlichen formalen wie auch erzählerischen Ansatz, bei dem sich dokumentarische Elemente mit denen des Spielfilms kreuzen. Fremdheit durchzieht den Film als zentrales Thema, doch darüber hinaus geht es um Kommunikation, Missverständnisse und die Randbezirke einer Gesellschaft und welche Menschen dort leben. Die Struktur des Films ist dabei eher episodisch, eingerahmt von den Postkarten, die Kai findet und welche die Geschichte Xiaoxins und der Menschen um sie herum schildern.

Der berühmte Satz Ludwig Wittgensteins, der die Grenzen der eigenen Sprache als die Grenzen der eigenen Welt bezeichnet, könnte die Überschrift eines Films wie Sleep With You Eyes Open sein. Am Abend will Kai in einem kleinen Strandlokal noch eine Kleinigkeit essen, scheitert jedoch wegen der Sprachbarriere an der Bestellung und bleibt etwas unentschlossen auf ihrem Platz sitzen. Ein Übersetzer, mit dem dann doch ein Gespräch zustande kommt, hilft ihr, zumindest einen Caipirinha zu bestellen, denn die Küche hat schon geschlossen. Als er dann zu einem Treffen aufbricht, bleibt Kai abermals alleine zurück und die Szene endet.

Das Episodische hat Methode in Wohlatz’ Film, der damit das fragmentarische Erleben der Figuren nachzeichnet, welches unterbrochen wird von einzelnen Begegnungen, die aus einer Routine hervorgehoben werden. Es sind Möglichkeiten, die Fremdheit zu durchbrechen und etwas zu erleben, doch dann verpuffen sie schnell wieder. Auch wenn Brasilien „langsamer“ ist als China, dessen Städte man schon nicht mehr wiedererkennt, wie einer von Xiaoxins Freunden bemerkt, so kann man dennoch nicht Schritt halten mit seiner Umwelt, gibt auf oder macht sich auf zu neuen Ufern.

Von einem Moment auf den anderen

Die Lektüre der Postkarten, die für Kai zu einem emotionalen Halt werden, betont dieses Fragmentarische im Leben der Menschen. Wohlatz erzählt aber nicht mit einem steten tragischen Unterton, wie man vermuten könnte, sondern beschreibt die teils skurrilen Begegnungen ihrer Protagonisten, die bisweilen sogar ins Surreale gehen. Da klagen Xiaoxin und ihr Bekannter in einer Szene noch über ihre wirtschaftliche Lage und schon regnet es auf einmal Geld, was sich über weite Teile des Ortes verteilt und sogar in den Abendnachrichten erwähnt wird.

Jedoch sind auch dies nur Momente, die schnell vergehen und verschwinden, wie die Menschen um Kai und Xiaoxin herum. Wohlatz beschreibt Figuren, die keine Wurzeln bilden in der Fremde, die in ihrem kleinen Kreis verbleiben und dort etwas Halt finden. Wie die Figuren bleiben wir in dem Bewusstsein, dass auch dieser Kreis sich bald wieder auflösen kann, wenn man beispielsweise den Behörden in die Fänge geht oder die Lage einfach zu hoffnungslos wird. Dazwischen taumelt man von einem Moment zum nächsten, wie ein Träumender, der, wie der Titel es beschreibt, mit offenen Augen seinen Trag bestreitet.