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Die wiedergefundene Zeit

„Die wiedergefundene Zeit“ // Deutschland-Start: 18. Januar 2001 (Kino) // 21. November 2006 (DVD)

Inhalt / Kritik

Langsam neigt sich die Zeit von Marcel Proust (Marcello Mazzarella) seinem Ende zu. So ist der Schriftsteller alt geworden und von Krankheit gezeichnet. Doch noch hält er am Leben fest und will so viel wie möglich davon in seinen Texten festhalten, die er seiner Haushälterin Celeste (Mathilde Seigner) diktiert. Während er sich alte Fotos anschaut, kommen viele Erinnerungen an früher hoch. An seine Liebe Gilberte (Emmanuelle Béart) und deren Mutter Odette (Catherine Deneuve) oder auch Baron de Charlus (John Malkovich), der sich ausgiebig den eigenen Genüssen hingab. Doch noch etwas anderes kommt zurück, während er in Erinnerungen schwelgt: der Erste Weltkrieg …

Annäherung an ein Mammutwerk

Das Adjektiv „unverfilmbar“ ist eines, das immer mal wieder gern aus dem Hut gezaubert wird, um auf ganz besondere Bücher hinzuweisen, nur um dann festzustellen, dass es doch irgendwie geht. Wobei es natürlich die unterschiedlichsten Gründe gibt, warum die Adaption eines solchen Buches schwierig sein kann. Bei Der Herr der Ringe war es sicher weniger die komplexe Geschichte als vielmehr der gewaltige Aufwand, ein ganzes Fantasyreich aus dem Boden zu stampfen und über eine große Odyssee hinweg in diesem unterwegs zu sein. Bei Weißes Rauschen wiederum war es die Vielzahl an Themen, die sich kaum in Bilder fassen, ebenso die Dialoge, die zwar gelesen funktionieren, gesprochen aber schwierig sind. Noch größer war jedoch die Herausforderung, aus Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ein filmisches Werk zu machen.

Ein Grund ist die monumentale Länge. So hat eine aktuelle Ausgabe des auf insgesamt sieben Bänden angelegten Romans mehr als 5000 Seiten. Da wirken selbst Tolkiens Epen vergleichsweise kurz. Hinzu kommt der besondere Inhalt, der Prousts Hauptwerk zu einem einmaligen Ereignis machte. So lässt er darin seinen Protagonisten sein Leben Revue passieren und in Erinnerungen schwelgen. Berühmt ist in dem Zusammenhang die Madeleine, ein Gebäck, dessen Geschmack unvermittelt eine mentale Reise in die Vergangenheit auslöst. Die wiedergefundene Zeit basiert dabei auf dem gleichnamigen siebten und letzten Band dieser Reihe, der 1927 posthum erschienen ist. Wer aufgrund dessen die Befürchtung hat, die Geschichte nicht verstehen zu können – es fehlen schließlich sechs Bände – kann beruhigt sein. Das Drama setzt keine Vorkenntnisse voraus, da es ohnehin überwiegend aus Momentaufnahmen besteht.

Verloren in einem Strom von Erinnerungen

Das bedeutet aber nicht, dass der Film leicht zu verstehen wäre. Regisseur und Co-Autor Raoul Ruiz versuchte bei seiner Adaption, die Besonderheit der Vorlage auch in diesem Medium beizubehalten. Das bedeutet, dass es sprunghafte Übergänge gibt, Zeiten werden durcheinandergeworfen, die einzelnen Szenen entwickeln sich nicht auseinander. Gleichzeitig kommt es zu kuriosen Momenten, wenn der Protagonist bei seinen Erinnerungsstreifzügen das Alter mehrfach wechselt, ohne dass es einen eindeutigen Bezug zu den gezeigten Ereignissen gibt. Die wiedergefundene Zeit betont das Subjektive des Erinnerns, reiht Fragmente aneinander, die manchmal assoziativ zusammenhängen, manchmal nicht einmal das. Einen roten Faden wird man deshalb vergeblich suchen. So funktioniert das Gedächtnis auch gar nicht, wenn es einmal losgelassen wird und munter von Thema zu Thema springt und dabei Grenzen grundsätzlich ignoriert.

Das Ergebnis ist dann auch nicht ganz einfache Kost. Die flüchtige Natur dieses Erinnerungsstroms, gepaart mit einer üppigen Laufzeit von rund zweieinhalb Stunden, führt dazu, dass nicht wenige schon weit vor Schluss verloren gegangen sein werden. Die einzelnen Passagen sind dabei jeweils für sich genommen durchaus bekömmlich, sieht man von gelegentlichen visuellen Spielereien ab. Es ist eher die Gesamtheit, die am Ende so manche fragen lässt: Und was genau war das jetzt gerade? Auch wenn der Titel eine recht positive Assoziation hat und Klarheit erwarten lässt, ist Die wiedergefundene Zeit doch mehr Erfahrung als Erkenntnis. Als solche ist das Drama aber absolut sehenswert. Hier trifft eine experimentelle Erzählweise auf klassische Tugenden von Historienfilmen, erlesen ausgestattet und prominent besetzt. Zumindest teilweise geht das auch als Zeit- und Gesellschaftsporträt durch, wenn wir mehr über das frühe 20. Jahrhundert bis in den Krieg hinein erfahren. Aber der historische Kontext ist eben nur ein Element in diesem sehr subjektiven Rückblick, bei dem alles zusammenkommt, was in einem Leben geschehen kann, von banal bis epochal, zwischen Fakt und Traum.

Credits

OT: „Le temps retrouvé“
Land: Frankreich, Italien, Portugal
Jahr: 1999
Regie: Raoul Ruiz
Drehbuch: Gilles Taurand, Raoul Ruiz
Vorlage: Marcel Proust
Musik: Jorge Arriagada
Kamera: Ricardo Aronovich
Besetzung: Catherine Deneuve, Emmanuelle Béart, Vincent Perez, John Malkovich, Pascal Greggory, Marcello Mazzarella, Marie-France Pisier, Chiara Mastroianni, Arielle Dombasle, Mathilde Seigner

Bilder

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Die wiedergefundene Zeit
fazit
Marcel Prousts Hauptwerk verfilmen zu wollen, das braucht schon Selbstvertrauen. Raoul Ruiz beweist in „Die wiedergefundene Zeit“, dass er nicht nur dieses hat, sondern auch Mittel und Wege, das eigentlich als unverfilmbar geltende Mammutwerk in Bilder zu packen. Das sprunghaft-assoziative Erzählen, wenn sich ein Mann an sein Leben erinnert, bietet keinen roten Faden, viele werden unterwegs verloren gehen. Aber es ist eine faszinierende Reise, welche die Natur des subjektiven Erinnerns greifbar macht und doch unbegreiflich bleibt.
Leserwertung26 Bewertungen
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8
von 10