Luzifer
Szenenbild aus Peter Brunners "Luzifer" (© Indeed Film)

Peter Brunner [Interview]

Peter Brunner ist ein österreichischer Regisseur, der sein Regiestudium an der Filmakademie Wien bei Michael Haneke (Funny Games, Das weiße Band) absolvierte. 2005 drehte er einen ersten Kurzfilm Frostblühen und 2007, zusammen mit seinen Regiekollegen Henning Backhaus und Karl Bretschneider, den Spielfilm Krankheit der Jugend. Für seine zahlreichen Projekte im Spielfilm- wie auch Kurzfilmbereich wurde Brunner mehrfach ausgezeichnet, beispielsweise mit dem Spezialpreis der Jury für Jeder der fällt hat Flügel auf dem Karlovy Vary Filmfest 2015 und dann auf dem Brooklyn Filmfest 2014 für Mein blindes Herz in den Kategorien Beste Kamera und Bester Hauptdarsteller.

Bereits 2021 feierte sein Spielfilm Luzifer seine Premiere auf dem Locarno Filmfest, wo er mit dem Spezialpreis „Boccalino d’Oro“ ausgezeichnet wurde für die beste Regie. Hierzulande feierte der Film seine Deutschlandpremiere auf den Fantasy Filmfest Nights 2022.

Anlässlich des bevorstehenden Kinostarts von Luzifer am 28. April 2022 spricht Peter Brunner im Interview über die Themen seines Films, Technik und Natur, die Schauspielerin Susanne Jensen und die Arbeit mit Tieren am Set.

Luzifer zeigt zwei Personen, die in einer Welt leben, die fast ganz ohne Technik auskommt und dennoch sehr reich zu sein scheint. Woher kam die Idee für dieses Szenario?

In meinen ersten beiden Filmen habe ich mit dem Kameramann Franz Dude zusammengearbeitet, der sich immer wieder über die Verschmutzung durch Technik in vielen neuen Filmen aufregte. Der Regisseur Harmony Korine meinte einmal in einem Interview, dass man sich vor Beginn eines Filmes mit allen Beteiligten treffen und alle Handys oder sonstigen Geräte eingraben müsste, damit man nicht Gefahr läuft, in einer Aufnahme und Story mit über Smartphone zu erzählen.

Mir ist in den Filmen, die ich mache, besonders wichtig den Körper und die Natur zu zeigen, beide in Einklang miteinander. Der Körper ist zugleich Leinwand wie auch Werkzeug in meiner Vorstellung. In Mein blindes Herz geht es um einen Menschen mit einer Sehschwäche, sodass er nur noch 20 Prozent Sehkraft auf einem Auge besitzt, und der in seinem Körper gefangen ist. Gleichzeitig greift er auf eine Weise in sein Leben hinein, als würde er gegen seine physischen Einschränkungen aufbegehren wollen und andere Menschen, denen es wie ihm geht, inspiriert.

Heutzutage scheinen wir diesen Bezug zu unserem Körper etwas zu verlieren. Es gibt gefühlt tausende von Apps und Programmen, die einem sagen, wann man etwas zu tun hat, wie viele Schritte man gehen muss und wann man aufstehen muss. Das Wissen oder die Intuition, die wir in uns tragen, ist aber sehr viel älter und auch weiser als all diese Programme zusammengefasst.

Letztlich ist die technische Intelligenz solcher Apps nur eine, die im Vorfeld einprogrammiert wurde, und die ihre Grenzen hat. Ich kann besser werden, indem ich diese Programme oder diese Geräte in einer bestimmten Weise nutze, aber dann gebe ich immer noch die Intelligenz vor. Nur weil ich ein Smartphone mit einer integrierten Kamera vor mir liegen habe, habe ich noch lange keinen Film. Den muss ich schon noch selbst machen.

Im Kontext einer Diskussion um die Zukunft des Kinos angesichts der immer wichtiger werdenden Streamingplattformen oder der Kritik an den Marvel-Blockbustern von Martin Scorsese, muss das Kino nicht auch wieder zurückfinden zu solchen Bildern, zu einer solchen Ursprünglichkeit, wie du sie in Luzifer zeigst.

Na ja, bei der Kritik, die Martin Scorsese an den Theme-Park-Filmen, wie er sie abwertend nennt, anbringt, habe ich eher den Eindruck, hier will sich jemand, der das Ende seiner Karriere auf absehbare Zeit hin erreichen wird, künstlicher verjüngen. Auf der anderen Seite macht er dann für Netflix einen Film wie The Irishman, der hunderte Millionen Dollar kostet, oder vorher noch die vielen Filme mit Leonardo DiCaprio, die ebenso viel gekostet haben.

Insgesamt kann ich die Kritik schon verstehen, aber mir ist es in erster Linie wichtig, Projekte zu machen, die mich emotional packen und die mich interessieren. Dabei denke ich auch an Geschichten, mit denen ich einen Beitrag zu einer Diskussion bringen oder eben andere Menschen inspirieren kann. Deswegen würde ich aber nie auf die Idee kommen, andere Filme abzuwerten oder diese dem Publikum nehmen zu wollen.

Innerhalb des breiten Spektrums an Filmen ist momentan das Allerwichtigste der Aspekt der Kuration, wie es Brian Eno einmal formuliert hat. Innerhalb von Filmfestivals haben die Kommissionen eine immer größere Verantwortung, wenn es darum geht, dass sie durch ihre Selektion an Werken ein gewisses Spektrum abdecken wollen. Auf der einen Seite kann es nicht sein, dass immer wieder dieselbe Auswahl an grauhaarigen Männern bei Filmfestspielen wie  Cannes ihre Filme zeigen dürfen, aber genauso muss man in der Fülle des Angebots auf dem Markt die wirklich originalen, mutigen und kontroversen Werke auswählen.

Ich hoffe sehr, dass in diesen Gremien Menschen sitzen, die unabhängig von Faktoren wie Geschlecht, Ethnizität oder politischer Korrektheit, Werke auswählen, die dem Publikum etwas Neues geben können und ein Dialog entstehen kann.

Werner Herzog hat einmal gesagt, dass in einem Film zumindest etwas Echtes passieren muss. Das heißt natürlich nicht, dass jemand wirklich sterben muss, aber es muss das echte Rasieren einer Augenbraue sein, das echte Schneiden der Nägel oder das echte Bauen einer Brücke, zusammen mit all dem physischen Aufwand, der dabei eine Rolle spielt. Wenn das echt ist und das Publikum dies auch spürt, kann man den Zuschauer in eine andere Welt bringen und etwas über die eigene Welt lernen, welche über die Fiktion der Leinwand abgebildet wird – vielleicht an seine eigenen Träume glauben.

Für ein Projekt wie Luzifer mussten wir die Darsteller in die Welt der Figuren bringen, in diese Natur und die Tiere, mit denen sie sich umgeben. Es geht um ein lineares, zyklisches Weltbild, welches abseits von Technik steht, und darum Bilder zu finden, die diesen Raub an der Natur durch Technisierung und die Erschließung durch den Menschen zeigen. Das sind dann die Bilder von den Drohnen oder den Höhlen, die hoffentlich für sich selber stehen können und keiner Erklärung bedürfen.

Wie war es überhaupt, mit Tieren zusammenzuarbeiten, insbesondere mit den Greifvögeln?

Unser Anliegen war nicht, aus einer Mischung von Archivaufnahmen oder CGI, den Eindruck zu erwecken, die Figur, die Franz Rogowski im Film spielt, besitze einen Greifvogel. Vielmehr wollten wir etwas Reales, nämlich, dass Franz wirklich eine solche Beziehung zu einem Tier hat, wofür man normalerweise einen Waffenschein braucht. Ein ganzes Jahr lang hat Franz gebraucht, um diesen zu bestehen, ist fünfmal die Woche zu dem Trainer gefahren und hat gelernt, was es heißt, einen Greifvogel zu führen und überhaupt diesen immensen Druck auf dem Arm, über 200 bar, nicht nur auszuhalten, sondern dem Tier gegenüber auch Stärke zu zeigen. Dieses Tier war das Bezugstier und insgesamt eines von insgesamt vier Steinadlern, die für verschiedene Aufnahmen genommen wurden.

In dem Verschlag, den die Figur des Johannes besitzt, gibt es aber darüber hinaus noch viele andere Vögel, beispielsweise Bussarde, Eulen oder kleine Meisen, die in der Region, in der die Geschichte spielt, typisch sind und bei denen es zumindest denkbar ist, dass er sie im Laufe der Jahre gesammelt hat.

Die Arbeit mit diesen Tieren funktioniert eben genauso wie das Arbeiten mit den Figuren. Indem man sich in diese mit den Darstellern hineinversetzt und diese lebt, entstehen bestimmte Wege, die man mit diesen Menschen, also den Figuren, geht. Ähnlich verfahren sind wir auch mit der Natur, sodass es beispielsweise, wenn ein Schneesturm aufgekommen wäre, nicht geheißen hätte, dass wir nun eine Woche Drehpause haben müssen, sondern sich vielmehr die Frage gestellt wurde, an welcher Stelle in der Geschichte man dieses Wetter unterbringen könnte. Das mag mühsam klingen, doch indem man sich anpasst und umplant, wird die Natur nicht mehr zu einem Hindernis, sie wird zu einem Geschenk.

Dies funktioniert bei den Tieren ähnlich. Die Arbeit mit den Adlern ist bei einem gewissen Sonnenstand nicht mehr möglich, weil sie nichts oder nur noch sehr undeutlich sehen können. Alleine schon, weil die Tiere ja auch artgerecht gehalten werden müssen, ist ein solches Vorgehen sinnvoll, da es verboten ist für ein künstlerisches Produkt das Leben eines Tieres zu nehmen. Die einzige Ausnahme würde die Aufnahmen von Ritualen sein, wenn diese im Rahmen der Kultur, die man beispielsweise in einer Dokumentation begleitet, normal sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich unseren Tiertrainer Theo Bleichner nennen, der sich um Tiere gekümmert hat und für diese, für die er kein Experte war, entsprechende Fachkräfte ins Team holte. Die Arbeit mit den Tieren war sehr intensiv, auch mit seiner Hilfe und Unterstützung, denn wenn man als Bezugsperson nur eine falsche Bewegung macht, verschwendet man die Energie des Tieres. Wenn man beispielsweise als Bezugsperson die Hand hinter den Rücken tut, meint der Greifvogel, man würde nach den Küken greifen und wird sofort sehr aufmerksam, was den Druck auf den Arm, auf dem er sitzt, erhöht. Mit dem Energiehaushalt dieser Tiere muss man ebenso sorgsam umgehen wie mit dem seines Teams, der Crew wie auch der Darsteller.

Kannst du was dazu sagen, wie du Susanne Jensen besetzt hast und wie Arbeit mit ihr war?

Susanne Jensen ist eine der interessantesten und wirklich einzigartigen Menschen, die ich je in meinem Leben kennenlernen durfte. Nachdem ich sie über viele Umwege gefunden hatte und sie die Rolle angenommen hatte, näherte sie sich dieser mit einer Professionalität, die ich sonst nur von Caleb Landry Jones kenne, mit dem ich beispielsweise bei To the Night zusammengearbeitet habe. Meist werden Amateur- oder Laiendarsteller verpflichtet, weil sie eine bestimmte Sache besonders gut können, wie die Kassiererin, die dann eben eine solche auch spielt im Film, um diesen Aspekt authentisch zu zeigen.

Für die Rolle hat sich Susanne einen Lebenstraum erfüllt. Auf der einen Seite wollte sie schon immer Schauspielerin werden, was aber wegen ihres Elternhauses unter anderem nicht möglich war, und zum anderen wollte sie immer ein Kind haben, was ihre Figur in Luzifer hat. Letzteres hat sie sich wegen ihrer Missbrauchsvergangenheit nie erlaubt Mutter zu werden, weil sie nicht etwas an ihre Kinder weitergeben wollte, von dem sie fürchtete, dass es in ihr veranlagt war. Das ist ihre moralische Verantwortung, wie sie es formuliert. Für den Zeitraum der Dreharbeiten aber wurde sie zu dieser Figur und Franz Rogowski ihr Kind sozusagen. Ich habe sie während der Arbeit an Luzifer als sehr glücklich erlebt.

Ich würde soweit gehen und sagen, dass Luzifer ohne sie nicht möglich gewesen wäre. Meine Freundschaft zu ihr machte diese Geschichte und diese Figur, die sie spielt, zu etwas ganz Besonderem. Es war insgesamt ein sehr organisches Arbeiten, was ich bei all meinen Projekten sehr schätze, die Beziehungen zu den Menschen, eine Familie.

Generell würde ich aber sagen, dass ich mit niemandem, beispielsweise einem Produzenten, zusammenarbeiten könnte, der auf eine solche Form des Arbeitens keinen Wert legt und lieber eine Formel oder eine bestimmte Struktur erfüllt sehen will. In Kategorien zu denken, widerspricht der Art von Filmen, die ich machen möchte.

Was waren bisher die überraschendsten Reaktionen auf Luzifer?

Das ist wirklich schwierig, da ich derzeit in der Vorbereitung zu einem neuen Projekt bin, welches wir in Texas drehen wollen, sodass ich das meiste, was mit Luzifer zu tun hat, ausgeblendet habe. Caleb Landry Jones spielt darin einen Pastor, der sich besonders für Obdachlose einsetzt, und momentan arbeiten wir am Casting eines ungewöhnlichen Chores.

Dennoch erinnere ich mich an eine Vorstellung in Belgrad, nach der jemand mir eine unglaublich persönliche Geschichte erzählt hat, die mit der Johannes-Figuren im Film korrelierte. Es gab immer wieder Rückmeldungen von Frauen, die es toll finden, dass ein Film den Körper einer über fünfzigjährigen Frau so zeigt, wie wir es in Luzifer tun. Die Natürlichkeit und das Ritual, in dessen Kontext dies stattfindet, beeindruckt die Zuschauer.

Ich fand das besonders toll, weil diese Idee sich aus der Arbeit mit Susanne ergab, die einfach meinte, dass es diese Waschung, dieses Ritual der Reinigung, in der Geschichte geben müsse. Dem stand ich zu der Zeit etwas kritisch gegenüber, doch es hat sich aus der Arbeit mit der Figur und der Geschichte organisch ergeben. Von daher fand ich eine solche Rückmeldung seitens des Publikums sehr interessant.

In Sitges habe ich mich mit einigen Filmstudentinnen unterhalten, die den Film weiterdachten und gelobt haben, dass Luzifer sich nicht auf bestimmte Strukturen verlässt. Natürlich ist es entspannend, wenn man sich auf eine gewisse Formel verlassen kann, aber wir sind derzeit alle so schwanger von einer Fülle von Narrationen, die wir aus der Popkultur kennen, dass uns das Konstruierte gar nicht mehr auffällt. Wenn wir in ein paar Jahren dann bei Terminator 45 sind und man immer noch mit den Gesichtern der alten Darsteller arbeitet, natürlich mit CGI verjüngt, dann nimmt man irgendwann einmal sein Publikum und sich selbst überhaupt nicht mehr ernst. Vielleicht bringt einem das ein paar Millionen mehr auf dem Konto, aber darüber hinaus nicht viel, und nachhaltig ist das schon einmal gar nicht.

Mir hat besonders das Verständnis von der Natur als Urgewalt imponiert, was in jeder Aufnahme in Luzifer präsent zu sein scheint.

Man muss sich eben auf dieses Zusammenspiel mit der Natur einlassen, ohne allzu esoterisch klingen zu wollen. Gerade die Pandemie hat doch gezeigt, wie unkontrollierbar die Natur sein kann, egal, wie sehr wir sie als Menschen kategorisieren und kontrollieren wollen. Ich kann in diesem Zusammenhang nur das Buch The Overstory von Richard Powers empfehlen, wo er zwölf Kurzgeschichten aus der Perspektive der US-amerikanischen Urwaldbäume, von denen mittlerweile rund 96 Prozent abgeholzt sind, erzählt. Dieses Zurückschauen der Natur fand ich sehr spannend und war auch ein Ansatz, den wir in Luzifer verfolgt haben.

Insgesamt ist die Natur eine indifferente Mutter. Wenn ich mich in der prallen Sonne irgendwo ins Hochmoor lege und mich bräunen lasse oder wenn ich dies in den frühen Morgenstunden mache, wobei ich wahrscheinlich erfrieren könnte, führt zu derselben Reaktion seitens der Natur, indifferent. Interessanterweise findet sich diese Sichtweise in der Technik wieder, was in Luzifer durch die Kameraaugen der Drohnen zum Ausdruck kommen soll.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.



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