Regisseurin Domee Shi (© 2022 Disney/Pixar)

Domee Shi / Lindsey Collins [Interview]

Das neueste Pixar Abenteuer Rot erzählt die Geschichte der Teenagerin Mei, die mir ihrer chinesischen Familie im kanadischen Toronto aufwächst. Ihr Leben war bislang immer ganz normal: Wenn sie nicht im Familientempel aushilft, trifft sie sich mit ihren Freundinnen, hört Musik von ihrer Lieblingsband und träumt von Jungs. Aber all das ändert sich, als sie sich eines Tages aus heiterem Himmel in einen Roten Panda verwandelt. Ein Einzelfall ist das nicht, wie sie später feststellen muss. Vielmehr ist dies eine Verwandlung, die sämtliche Frauen in ihrer Familie durchmachen. Anlässt des Starts des Animationsfilms am 11. März 2022 auf Disney+ unterhalten wir uns mit Regisseurin Domee Shi und Produzentin Lindsey Collins über peinliche Jugend, tierische Verwandlungen und die Besonderheit von Frauenfreundschaften.

Nach deinem Kurzfilm Bao hast du jetzt deinen ersten Langfilm vorgelegt. Was hast du von damals für Rot mitgenommen?

Domee Shi: Ich wollte dieses besondere Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern weiter verfolgen und ausweiten. Dieses Mal erzählen wir aus der Perspektive des Kinder und zeigen, wie das Verhältnis eines Mädchens zu seiner Mutter ist. Ich wollte außerdem diese Form der stilisierten Animation weiterentwickeln, die wir schon in Bao hatten. Wir wollten die Welt so zeigen, wie Mei sie selbst wahrnimmt. Und Essen natürlich. Ich wollte in diesem Film so viele Szenen mit Essen drin haben, wie es nur irgendwie ging.

Du hast damals schon als Storyboard Artist an Alles steht Kopf gearbeitet, bei dem es ebenfalls um Gefühle geht. Wie war das für dich, zu diesem Thema zurückzukehren?

Domee Shi: Es war großartig! Ich war schon immer sehr an Coming-of-Age-Geschichten interessiert, die sich um Mädchen drehen, weil ich finde, dass es davon noch immer zu wenige gibt. Alles steht Kopf half mir, mich wieder in diese Zeit zurückzuversetzen und mich zu erinnern, wie sich das als 13-Jährige anfühlte. Wie es mir damit ging, dass ich alles Mögliche fühlte. Da ist so viel Scham und Unbeholfenheit in diesem Alter. So viel, das dir peinlich ist, dass du daraus sehr viel Drama ziehen kannst. Deswegen habe ich mich gefreut, dass ich das Ganze jetzt auch in meinem eigenen Film thematisieren konnte.

In eurem Film geht ihr ganz offen mit der Pubertät um, darunter auch mit unangenehmen Themen wie Menstruation. Wie wichtig war es für euch, auch diese Aspekte zu behandeln? Und wie waren die Reaktionen des Studios darauf?

Domee Shi: Mir war von Anfang an klar, dass wir uns nicht vor dem Peinlichen verstecken sollten, sondern das ganz offen aufnehmen wollen. Denn das ist die ehrlichste Form, um über dieses Alter zu sprechen. Wir wissen alle, wie sich das anfühlte als Teenager, wenn sich dein Körper verwandelt. Wie unangenehm und peinlich das war. Deswegen war es mir wichtig, damit ganz ehrlich umzugehen und so möglichst viele Leute ansprechen zu können. Inzwischen ist aber genügend Zeit für uns vergangen, damit wir auf diese Phase zurückblicken und darüber lachen können. Ich hatte auch keine Angst vor den Reaktionen. Im Gegenteil: Ich mag es, wenn meine Filme eine Reaktion provozieren und etwas in dem Publikum auslösen.

Lindsey Collins: Diese Szenen waren auch die, die wir als erstes gemacht haben. Die anderen hatten also genügend Zeit und Gelegenheiten, aus dem Projekt wieder auszusteigen. Aber das haben sie nicht, glücklicherweise.

Der Film ist auch eine Art Leitfaden für ein Publikum in dem Alter, wie sie mit solchen Situationen umgehen können. Was waren deine Leitfaden, als du in dem Alter warst?

Lindsey Collins: Meine Filme waren damals leider nicht so realistisch. Da bin ich dann doch ein Kind einer ganz anderen Generation. Ich bin mit den Filmen von John Hughes aufgewachsen, die eine eher fantastische und unterhaltsame Version dieses Alters zeigten. Er zeigte eine Form der High School, die ich selbst so nie erlebt habe, weswegen ich auch nie das Gefühl hatte, dass die Filme mich direkt ansprechen.

Und wie war das dann, als ihr an Rot gearbeitet habt? Gab es Filme, die euch inspiriert haben?

Domee Shi: Mich haben die ganzen Filme inspiriert, bei denen es um Verwandlungen geht. Teen Wolf ist ein Beispiel dafür. Magische Verwandlungen, die als Metapher für die Pubertät verwendet werden. Ich mochte die Idee, dass sich Mei aber eben nicht in ein Monster verwandelt, sondern einen riesigen und tollpatschigen Roten Panda. Das symbolisierte für mich sehr viel mehr diese Jugendzeit: die Tollpatschigkeit, die vielen Haare, die auf einmal wachsen, deine Größe, die du nicht richtig einschätzt und durch die du immer etwas umzuwerfen scheinst, wenn du dich nur einmal umdrehst.

Produzentin Lindsey Collins: (© 2022 Disney/Pixar)

Lindsey Collins: Uns war auch wichtig, dass Mei auch als Panda noch sie selbst bleibt und nicht zu jemand komplett anderen wird. Pubertät bedeutet nicht, dass du zu jemand anderem wirst. Du verwandelst dich nur so stark, dass du dich selbst fast nicht mehr erkennst.

Domee Shi: Hinzu kommt, dass wir das Ganze mit Humor angehen, weil wir auf diese Weise den Zuschauern und Zuschauerinnen die Angst nehmen wollten. Klar fühlt sich diese Phase furchtbar an. Aber wir wollten eben auch zeigen: Ihr schafft das. Ihr werdet das überleben.

In Rot findet Mei in schwierigen Situationen immer wieder Halt und Ruhe, wenn sie bei ihren Freundinnen ist oder an diese denkt. Was hilft dir durch Situationen, in denen die Welt zu viel wird?

Domee Shi: Ich bin da ganz ähnlich wie Mei. Wenn ich mich in totalen Stresssituationen befinde, gehe ich zu meinem Partner Darren und drücke ihn so lang und so fest, bis mein Stress nachgelassen hat.

In eurem Film redet ihr allgemein viel von den Beziehungen zwischen den Frauenfiguren, sei es zwischen Mutter und Tochter oder zwischen Freundinnen. Denkt ihr, dass sich Freundschaften zwischen Frauen von denen zwischen Männern unterscheiden?

Domee Shi: Ich glaube schon, dass Frauenfreundschaften etwas sehr Spezifisches haben. Das wird nur oft nicht so deutlich, weil Filme zu selten davon erzählen. Deswegen waren wir auch so froh, dass wir in Rot zeigen durften, was es heißt, wenn Teenagerinnen unter sich sind und wie sie sich verhalten. Als ich vor einigen Jahren mit einem männlichen Kollegen an unsere Zeit an der High School zurückgedacht habe, war er überrascht, dass wir Mädchen total nerdig und geil sein konnten. Wir haben damals Bilder von Orlando Bloom als Legolas gezeichnet und uns gegenseitig geschenkt. Oder auch Harry Potter. Ich erinnere mich noch so genau an diese Unterhaltung, weil ich damals beschlossen habe, dass ich andere darüber aufklären muss, was es heißt, wenn mehrere Teenagerinnen zusammen sind.

Lindsey Collins: Wir wollten mit dem Film aber auch zeigen, dass diese Unterschiede zwischen männlichem und weiblichen Verhalten oft von Medien kreiert werden. Mädchen können genauso albern, geil oder dumm sein wie Jungs. Deswegen denke ich, dass es beides ist. Frauenfreundschaften haben etwas Eigenes. Gleichzeitig sind sie nicht so verschieden, wie manchmal getan wird. Jugendliche sind Jugendliche und machen ganz ähnliche Erfahrungen.

Das Thema der Identität kommt in dem Film in zwei Formen vor. Da ist zum einen der Rote Panda. Aber es geht eben auch um eine chinesische Familie, die in Kanada lebt, ähnlich wie es bei dir war. Wie autobiografisch ist deine Geschichte?

Domee Shi: Da gibt es natürlich eine Menge, die direkt aus meinen eigenen Erfahrungen entnommen ist. Als ich aufgewachsen bin, fühlte ich mich gefangen zwischen westlicher und östlicher Kultur. Wenn Mei zu Hause bei ihrer Familie ist, lebt sie etwas ganz anderes, als wenn sie in der Schule oder bei Freundinnen ist. Und ich denke, dass das etwas ist, das viele asiatische Kinder oder über Kinder von Immigranten erleben. Mit Rot wollte ich deshalb nicht nur das universelle Thema der Pubertät ansprechen, sondern ganz gezielt auch einen Film für all die Kinder machen, die zwischen den zwei Welten stehen und nicht wissen, wohin sie gehören. Ich wollte ihnen zeigen, dass sie sich nicht entscheiden müssen. Dieses Chaos gehört zu dem Leben dazu. Und sie werden es überstehen.

In der letzten Zeit gab es bei Disney mit Raya und der letzte Drache und Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings schon andere Filme, die sich mit asiatischer Kultur befassten. War das so geplant, dass in diese Richtung mehr gemacht wird? Ist das ein neuer Trend oder ist es reiner Zufall, dass die in so kurzer Folge herauskamen?

Lindsey Collins: Es fällt mir schwer, das als einen Trend bezeichnen zu wollen, da es immer sehr lange dauert, um diese Filme zu machen. Manchmal kannst du das gut timen. Aber es kommt auch vor, dass bis du erst einmal fertig ist, schon jemand anderes herauskam und eine ähnliche Geschichte erzählt hat. Bislang hatten wir bei Pixar Glück und hatten nie das Gefühl, dass unsere Geschichten schon erzählt wurden oder dass wir einem Trend hinterherlaufen. Ich denke, dass es ein Zufall ist, dass mehrere Filme veröffentlicht wurden, die sich alle mit asiatischer Kultur befassen. Aber wir befinden uns in einer neuen Ära, bei der wir multikulturelle Perspektiven verfolgen. Das ist mehr als ein Trend, sondern eine Weiterentwicklung des Geschichtenerzählens, bei denen immer mehr Leute mit unterschiedlichen Hintergründen die Gelegenheit finden, ihre eigene Geschichte und Perspektive zu teilen. In der Hinsicht werdet ihr bei Pixar ganz sicher noch deutlich mehr zu sehen bekommen.

Als Soul herauskam, gab es Kritik, dass in viele Animationsfilmen über Minderheiten die Hauptfiguren sich verwandeln und damit nicht mehr als Minderheit zu erkennen sind. Wie steht ihr zu dieser Diskussion?

Domee Shi: Ich kann natürlich nur über unseren Film etwas sagen, aber ich denke, dass wir es ganz gut geschafft haben, dieses Stereotyp zu umgehen. Ihre Ethnizität und ihre Kultur stehen nicht im Mittelpunkt von Rot. Dass sie einer Minderheit angehört, ist zwar Teil ihres Lebens, definiert sie aber nicht. Und du siehst Mei auch nicht nur als sprechendes magisches Tier. Die Szenen mit ihr als Tier machen vielleicht die Hälfte des Films aus. Bei uns ist das Tier auch kein Mittel, um die Besonderheit auszulöschen. Vielmehr geht es uns darum, dass sie dieses Tier in sich zu akzeptieren lernt und beides sein kann.

Lindsey Collins: Was ich auch an der Geschichte so mag: Diese Verwandlung ist nicht durch etwas Äußeres ausgelöst worden, durch eine Verzauberung zum Beispiel. Vielmehr kommt dieser Wandel aus ihr selbst heraus. Der Rote Panda ist eine Verkörperung von dem, wer und was sie ist.

Vielen Dank für das Gespräch!



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