For Lucio

For Lucio

For Lucio
„For Lucio“ // Deutschland-Start: 15. Februar 2022 (MUBI)

Inhalt / Kritik

Wenn es innerhalb der künstlerischen Berufe eine Tugend – neben dem eigentlichen Talent – gibt, welche als sehr hoch eingestuft ist, dann ist es mit Sicherheit Authentizität und Glaubwürdigkeit. Viele Schauspieler, Musiker oder auch Schriftsteller werden, teils anhand der Rollen, die sie spielen, der Musik, die sie schreiben, oder eben der Figuren, die sie in ihren Werken erfinden, gemessen, was im Falle einer Begegnung in der realen Welt nicht selten zu einer Enttäuschung führt aufseiten eines Bewunderers. Während bei Autoren wie Hunter S. Thompson oder Charles Bukowski durchaus eine gewisse Nähe zu den Figuren war, die sie entwarfen sowie zu den Geschichten, egal, wie übertrieben einige von ihnen wirkten, fällt es gerade im heutigen Showgeschäft auf, wie schwierig es ist, ab einer gewissen Stufe des Ruhms und des Ansehens nicht in gewisse Fallen und Allüren zu tappen.

In der Musikbranche ist Authentizität noch schwieriger, besonders in einer schnelllebigen Zeit, wie der heutigen, und erst recht noch dabei ein Image zu wahren, welches der Musik gerecht wird, die man macht. Schon in den 1960ern war dies nicht gerade einfach, wenn man sich alleine an die Aufregung erinnert, die Bob Dylans Hinwendung zu einer anderen Musikrichtung als dem Folk nach sich zog. Für Fans des Musikers galt dieser Schritt als eine Art Blasphemie und als Beweis für die Kommerzialisierung des Künstlers, der in erster Linie musikalisch neue Wege betreten wollte.

Dennoch ist der Fall Dylan in vielerlei Hinsicht interessant, verweist er doch auf einen Kontrast, welcher in der Vermischung von Kunst und Kommerz allgegenwärtig ist. In vielen Songs beschreiben Sänger und Bands das Leben der Unter- oder Mittelschicht, thematisieren Aspekte wie Drogensucht oder Armut, was sie, aufgrund ihres Ruhmes und ihres Erfolges aber schon lange hinter sich haben. Dennoch gibt es Ausnahmen von der Regel, die trotz ihres Geldes und Erfolgs sich eben diese Authentizität bewahrt haben, was wahrscheinlich einer der Gründe ist, warum der italienische Sänger Lucio Dalla einen ganz besonderen Platz im Herzen von Regisseur Pietro Marcello (Martin Eden) hat, wie er in Interviews zu seiner Dokumentation For Lucio über den bekannten Künstler erklärt. In dem Porträt des Sängers, welches unter anderem auf der Berlinale 2021 zu sehen war, wird man nicht nur eine ganze Reihe der Songs Dallas zu hören bekommen, sondern auch ein ganz besonderes Bild Dallas gezeichnet, wobei Marcello auf dessen Wegbegleiter Umberto Righi und Stefano Bonagna zurückgreift, die ihre Geschichten rund um den Künstler, seine Auftritte und seine Lieder erzählen.

Die Seele von allen anderen

Wie bereits in anderen Kritiken zu Marcellos Film deutlich wurde, handelt es sich bei For Lucio in erster Linie um einen Tribut an den Sänger und seine Kunst. Rund 83 Minuten lang ist die Dokumentation, wobei streng chronologisch von der Karriere Dallas berichtet wird sowie anhand seiner Lieder, in denen er sich unter anderem gegen Aspekte wie Kommerzialisierung, die Gier von Konzernchefs sowie den Wegfall traditioneller Werte richtete. Dass hierbei zu keiner Zeit eine kritische Note erwähnt wird, liegt in der Natur der Sache und hat sehr viel mit den bereits erwähnten Gesprächspartnern Marcellos zu tun, die sich, in einer der wohl sympathischsten Segmente des Films, bei einer großen Portion Pasta gegenseitig über ihre Erfahrungen und Anekdoten zu Dalla interviewen, was mehr und mehr zu einer heiteren Plauderei wird, der man als Zuschauer nicht uninteressiert zuhört, zeichnen sich doch sowohl Righi wie auch Bonagna durch ihr Charisma aus sowie ihr Erzähltalent, das auch beim Verspeisen von Nudeln mit Soße nicht abreißt.

Durch diese Anekdoten sowie die zahlreichen Archivaufnahmen wird Dalla und seine Musik zu einer „Seele von allen anderen“. Gerade wegen seines Äußeren und seines Hintergrundes nahm man ihm die Nähe zum Volk, wenn man es so beschreiben will, ab, auch wenn er zeitgleich, wie Righi und Bonagna wissen, in vielen Teilen Italiens Immobilien kaufte und sein Bankkonto reich gefüllt war im Gegensatz zum Beginn seiner Karriere. Interessant sind dabei Ausschnitte aus Talkshows, in denen Dalla Politikern recht unangenehme Fragen zum Thema Aufrüsten und Kriegstreiberei stellt und sich somit abermals als Stimme des Volkes sieht. Zudem gehört seine etwas arg dick aufgetragene Aussage über den Weg zu seiner Musik zu den sehenswerten Teilen von For Lucio, scheint doch gerade in diesen Segmenten die Balance zwischen Authentizität und Pose besonders sichtbar.

Credits

OT: „Per Lucio“
Land: Italien
Jahr: 2021
Regie: Pietro Marcello
Drehbuch: Marcello Anselmo, Pietro Marcello
Kamera: Ilya Sapeha

Trailer

Filmfeste

Berlinale 2021

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For Lucio
Fazit
"For Lucio" ist eine Dokumentation oder vielmehr ein Loblied auf den bekannten italienischen Sänger Lucio Dalla. Anekdotenreich und dank seiner Gesprächspartner nicht unsympathisch ist Pietro Marcellos Film durchaus unterhaltsam, auch wenn man kritische Stimmen nicht erwarten sollte.
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