
Seit einigen Jahrzehnten schon lebt Sven (Jens Brock) zurückgezogen im Haus seiner Eltern (Ursula Werner, Manfred Zapatka). Anfangs hatten sie noch versucht, ihm bei seiner Schizophrenie zu helfen. Doch damit kamen sie nicht weit, auch weil er sich nicht helfen lassen wollten. Also arrangierte sich die Familie damit, ließ ihn gewähren, schaute zu, während er sich immer weiter isolierte. Und so wurde der Dachboden zu seinem Zuhause, zu seiner Welt, aus der er nicht mehr hervorkam. Das funktionierte, irgendwie, niemand hinterfragte die Situation. Lediglich Svens Schwester Holle (Jenny Schily) tat sich immer schwer damit, blieb letztendlich aber ebenfalls tatenlos. Als jedoch ihre Mutter ins Krankenhaus kommt, muss sie sich doch wieder mit Sven auseinanderzusetzen und der Frage, wie sie mit ihm uns seiner Krankheit umgehen sollen …
Blick auf eine Familiengeschichte
Einige Jahre ist es her, dass Tim Ellrich mit seinem Dokumentarfilm Mein Vietnam auf sich aufmerksam machte. Darin erzählten er und Thi Hien Mai von einem vietnamesischen Paar, das nach Deutschland fliehen musste, und befassten sich mit dem Konzept der Heimat. Mit Im Haus meiner Eltern legt der deutsche Regisseur nun seinen Abschlussfilm vor und wagt sich auf das Parkett des Fiktionalen. Dennoch bleibt er nahe bei der Wahrheit. Genauer ließ er sich bei dem Drama von seiner eigenen Familiengeschichte inspirieren. Bei ihm war es die Mutter, die sich mit ihrem schizophrenen Bruder auseinandersetzen musste. Eine rein autobiografische Geschichte ist das Spielfilmdebüt zwar nicht, es fließen aber viele eigene Erfahrungen ein.
So etwas kann schnell voyeuristisch werden. Gerade bei deutschen Dramen neigt man zur Manipulation, sollen aufdringliche Musik und kitschige Situationen dem Publikum vorgeben, was es zu fühlen hat. Ellrich, der auch das Drehbuch geschrieben hat, verzichtet jedoch darauf. Tatsächlich fällt Im Haus meiner Eltern durch seine zurückgenommene Art auf, in der noch das dokumentarische Erbe durchschimmert. Da sind die Schwarzweiß-Bilder, welche dem Film eine stärker kunstvolle Note geben. Davon einmal abgesehen ist das aber naturalistisch gehalten. Die dramatische Zuspitzung der kranken Mutter ist in Filmen natürlich ein bewährter Kniff. Hier dient das aber weniger der Emotionalisierung, der Vorfall wird vielmehr zum Anlass, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, vor dem sich alle gedrückt haben – bis es nicht mehr ging.
Mehr Fragen als Antworten
Daraus lässt sich natürlich schon auch eine Kritik ablesen. Probleme zu vergraben und zu tabuisieren, das ist selten eine gute Strategie. Im Haus meiner Eltern geht dabei aber nicht didaktisch oder moralisierend vor, das Familienporträt bleibt auch in der Hinsicht zurückhaltend. Hier wird eher beobachtet als geurteilt. Das heißt nicht, dass dabei nicht diskutiert wird. Holle sticht schon ein wenig ins Wespennest, wenn sie die anderen zwingt, über etwas zu sprechen, was wortlos akzeptiert wurde. Sie wird damit auch zur Identifikationsfigur für das Publikum, das in diese Situation geworfen wird und sich in dieser zurechtfinden muss. Wie konnte es so weit kommen? Warum haben sie so reagiert? Hätte das alles anders laufen können?
Im Haus meiner Eltern gibt darauf aber keine klaren, definitiven Antworten. Das Drama, das auf dem International Film Festival Rotterdam 2025 Weltpremiere hatte, ist eines, das lieber zum Nachdenken und Aussprechen anregt, anstatt den Zuschauern und Zuschauerinnen eine Zielvorgabe für das eigene Leben mitgeben zu wollen. Das wird manchen eventuell zu wenig sein und ist doch sehenswert, auch weil es eine andere Form von Schizophrenie zeigt. Wo die Krankheit in anderen Filmen gern mal ins Plakative geht, mit großen Szenen beeindrucken will, da ist die Tragik hier, dass niemand mehr Sven in diesem Körper finden kann, er in sich selbst verloren gegangen ist. Das ist eindrucksvoll, auch weil Laienschauspieler Jens Brock die notwendige Physis mit sich bringt, gleichzeitig präsent und abwesend ist. Er ist immer im Mittelpunkt, selbst wenn man ihn nicht sieht, und doch auch nirgends. Ein tragischer Geist, der auch im Publikum etwas auslöst, ohne dass es ihn je kennenlernt.
OT: „Im Haus meiner Eltern“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Tim Ellrich
Drehbuch: Tim Ellrich
Kamera: Konstantin Pape
Besetzung: Jenny Schily, Ursula Werner, Manfred Zapatka, Jens Brock
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