Die Zärtlichkeit der Wölfe
Deutsche Kinemathek, © Rainer Werner Fassbinder Foundation

Die Zärtlichkeit der Wölfe

Die Zärtlichkeit der Wölfe
„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ // Deutschland-Start: 12. Juli 1973 (Kino) // 20. September 2019 (DVD / Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Im Deutschland der Nachkriegszeit verdient sich Fritz Haarmann (Kurt Raab) seinen Lebensunterhalt als Kleinkrimineller und auf dem florierenden Schwarzmarkt. Als eine Reihe von Morden an Minderjährigen die Polizei auf Trab hält, wird Haarmann von den beiden Inspektoren Braun und Müller (Wolfgang Schenck und Rainer Hauer) als Spitzel angeheuert, was Fritz natürlich ein paar Vorteile verschafft. Was jedoch keiner vermutet, in Wirklichkeit ist Haarmann der Mörder, der nachts auf den Straßen und am Bahnhof auf die Suche nach neuen Opfern geht, die er mit sich in seine Wohnung nimmt, wo er sie brutal ermordet, zerhackt und ihr Fleisch zu Wurst verarbeitet. Das Fleisch verkauft er wiederum an ein Wirtshaus, wo er ein und aus geht. Einzig sein Kumpan und gelegentlicher Liebhaber Hans (Jeff Roden) bekommt von Fritz’ blutigem Treiben etwas mit, und seine Nachbarin Frau Lindner (Margit Carstensen) ahnt auch, dass sich etwas Schreckliches hinter dem nächtlichen Lärm, der aus Haarmanns Wohnung zu hören ist, verbirgt.

Ein Thriller mit viel Blut

Durch seine Mitarbeit als Darsteller in Filmen wie Liebe ist kälter als der Tod, Whity und Warnung vor einer heiligen Nutte wurde Ulli Lommel des inneren Kreises von Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Lommel wollte aber nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera agieren, eine Passion, die auch Fassbinder ernst nahm, weshalb er ihm das Drehbuch Kurt Raabs anbot, was sich mit den Taten des Knabenmörders Fritz Haarmann befasste. Fassbinder schwebte ein Film vor, der in der Tradition von Thrillern wie Alfred Hitchcocks Psycho steht, doch Lommel verfolgte ein ganz andere Intention, was schon bei der Wahl des Titels deutlich wird. Die Zärtlichkeit der Wölfe ist das Porträt einer unmoralischen Zeit, in der jemand wie Haarmann zwar unvorstellbare Bluttaten vollbringt, in der er aber zugleich völlig unbehelligt agieren kann.

In seinem Vorwort zur Heimkinoveröffentlichung von Die Zärtlichkeit der Wölfe erklärt Lommel, dass der Fritz Haarmann in seinem Film jemand ist, den man nicht verstehen wollte und der deswegen mit dem Tod bestraft wurde. Bereits diese Erklärungen zeigen auf, dass die Idee, welche Fassbinder seinem Protegé mit auf den Weg gab, nämlich einen „Thriller mit viel Blut“ zu drehen, keineswegs aufgegangen ist. Vielmehr scheint sich Lommel bei Fassbinder etwas abgeschaut zu haben, der ebenfalls Genrekonventionen bediente, aber darüber hinaus sozialkritische, satirische und bisweilen ausgesprochen verstörende Porträts von Deutschland in der Nachkriegszeit schuf.

Lommels Film ist aber keineswegs eine Imitation der Strukturen, Figuren oder Themen Fassbinders, denn die düstere Thematik steht in Kontrast zum poetischen Ton der Geschichte, der bisweilen gar romantische oder komödiantische Züge hat. Die Momente des Glücks werden gebrochen durch Szenen der Grausamkeit und des Mordens, was den Zuschauer nicht unberührt lässt. Diesen Widerspruch, den viele Kritiken bis heute als Stilbruch attestieren und Lommels Film negativ auslegen, ist ein Aspekt, den andere, thematisch vergleichbare Filme außer acht lassen. Während die Mörder in anderen Geschichten nur gesichtslose Monster verbleiben, ist Raabs Fritz Haarmann einer von uns, was noch viel unerhörter ist.

Eine gute Tarnung

Ulli Lommel geht es in Die Zärtlichkeit der Wölfe nicht um eine authentische Rekapitulation der Taten Haarmanns. Das ist kein True Crime, wie man heute sagen würde, sondern viel näher an einem Milieu und Zeitstudie. Kurt Raab spielt Fritz Haarmann als einen Menschen, der wie ein Chamäleon sich in der Gesellschaft bewegt, der die dunklen Gassen ebenso kennt wie die zahlreichen Möglichkeiten, Geld zu verdienen oder eben eine Leiche verschwinden zu lassen. In einer erhellenden und sehr komischen Szene tritt er mit seinem Kumpan Hans als Priester auf, der im Namen der Obdachlosen Kleiderspenden sammelt. Mit einem genauen Gespür dafür, was die Menschen hören wollen, wer das Zuckerbrot und wer die Peitsche braucht, mogelt er sich durch seine Tage. Und abends ist er natürlich mit derselben Masche bei jenen erfolgreich, die gestrandet und alleine sind und die einfach nur für eine Weile wieder so etwas wie ein Zuhause haben wollen.

Lommel zeigt das Unmoralische der Zeit, die Huren und die Zuhälter, die Besoffenen wie auch die Kriminellen, unter denen Haarmann frei agieren kann und nicht weiter auffällt, zumindest so lange nicht, bis er selbst einen Fehler macht und sich etwas erlaubt, was in dieser Zeit ein klares Zeichen der Schwäche ist: Gefühle.

Credits

OT: „Die Zärtlichkeit der Wölfe“
Land: Deutschland
Jahr: 1973
Regie: Ulli Lommel
Drehbuch: Kurt Raab
Kamera: Jürgen Jürges
Musik: Peer Raben
Besetzung: Kurt Raab, Jeff Roden, Margit Carstensen, Hannelore Tiefenbrunner, Wolfgang Schenck, Rainer Hauer, Rainer Werner Fassbinder

Bilder

Trailer

Filmfeste

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Die Zärtlichkeit der Wölfe
fazit
„Die Zärtlichkeit der Wölfe“ ist ein großer Wurf von Regisseur Ulli Lommel, ein bedrückendes und erzählerisch dichtes Porträt einer unmoralischen Zeit und einer verdorbenen Gesellschaft. Man kann angeekelt sein oder diesen Film hassen, aber eine Reaktion erfordert das Gesehene, was nicht durch seine Gewalt oder das Blut schockt, sondern eher durch die Teilnahmslosigkeit und Ignoranz, die solche Taten zulässt.
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