
Mady (Jonathan Feltre) arbeitet als Schlosser in Brüssel. Eines Abends wird er von einer jungen Frau namens Claire (Natacha Krief) zu einer Wohnung gerufen, weil sie sich ausgeschlossen hat. Weder seinen Lohn noch ihren Ausweis kann die Dame vorlegen, da auch dies alles noch in ihrer Wohnung ist, sodass sich Mady an die Arbeit macht und nach wenigen Minuten die Tür geöffnet hat. Claire bittet ihn kurz zu warten, während sie den Müll runter bringt und das Geld am nahen Automaten holt. Doch statt der jungen Frau steht ein Mann vor ihm, der ihn als Einbrecher beschimpft und angreift. Im Verlauf des Handgemenge verwundet Mady seinen Angreifer, jedoch ahnt er, dass dieser Kampf noch lange nicht der letzte war in dieser Nacht. Überwältigt von zwei weiteren Angreifern sitzt er Yannick (Romain Duris) gegenüber, der ihm nach dem Verbleib des Geldes in der Wohnung ausfragt. Er gibt Mady bis zum Morgen Zeit, das Geld wieder zu beschaffen oder die wahren Diebe zu finden, da er ansonsten sterben wird. Während in der Stadt Proteste gegen Polizeigewalt stattfinden, beginnt für Mady eine lange Nacht, vielleicht sogar die letzte seines Lebens. Doch aufgeben kommt für den jungen Mann nicht infrage.
Ein Actionfilm und ein Spiegel der Welt
Night Call ist der erste Spielfilm des Belgiers Michiel Blanchart. Der Actionthriller ist bei uns im Programm der kommenden Fantasy Filmfest White Nights zu sehen, bevor er Ende Februar 2025 fürs Heimkino auf den Markt kommt. Als ihn einer seiner Produzenten fragte, ob es ihm möglich sei, einen Genrefilm für wenig Geld in seiner Heimat Belgien zu drehen, sah Blanchart die Chance, eine sehr klassische Geschichte zu erzählen, die zugleich ein Spiegel der Gesellschaft sein sollte. Wie er in Interviews zu Night Call erklärt, waren damals die Black Lives Matter-Proteste in vollem Gange und auch in Belgien kam es zu einer Diskussion über Polizeigewalt und deren Motivation. Zwar ist Night Call im Herzen ein Actionthriller mit Noir-Elementen, doch zugleich spürt man in ihm die Wut und die Frustration einer Gesellschaft, in der sich die Fronten verhärtet haben.
Im Grunde fasst Blanchart das Konzept seines Films so zusammen, dass es um einen Helden, eine Stadt und eine Nacht gehen sollte. Natürlich geht die Geschichte weit über diesen Kern hinaus und wird wesentlich ambitionierter mit der Zeit, jedoch zeigt sich alleine in dieser Prämisse die erzählerische und formale Cleverness von Night Call. Der „Held“ ist einer von vielen Menschen, die in der Nacht untergehen und nicht weiter auffallen, was ihnen nur recht sein kann. Mady ist keineswegs ein Held im klassischen Sinne, sondern einer, der durch einen dummen Zufall wieder zurückgezogen wird in eine Welt, die er dachte, verlassen zu haben. Die Stadt und die Nacht werden zu zwei weiteren wichtigen Figuren in dieser Geschichte, zu einer Art Spinnennetz, in dem sich Mady, wie auch die übrigen Charaktere, verheddern und nicht mehr herauskommen.
Vergleichbar mit Mathieu Kassovitz’ Meisterwerk La Haine wird die nächtliche Stadt zu einem Labyrinth für die Figuren und zu einem Spiegel ihrer eigenen Persönlichkeit, denn die Nacht ruft nach ihnen, wie es in Petula Clarks Lied La nuit n’en finit plus heißt, passenderweise einem der Lieblingslieder Madys. Das Labyrinthische und die Verzweiflung der Lage seiner Figuren zeigt sich ebenfalls in den zahlreichen Verfolgungsjagden, zu Fuß oder im Auto, die wir in Night Call zu sehen bekommen und die vor allem visuell und vom Schnitt her zu punkten wissen.
Gehorche nicht denen da oben
Indem Blanchart seine Geschichte in Verbindung setzt zu den Protestbewegungen rund um die Themen Polizeigewalt und Rassismus, versucht er, dieser eine weitere Ebene zu verleihen. Während er versucht, seinen Verfolgern zu entkommen, begegnet Mady drei Leuten, die auf dem Weg sind zu einem der Protestmärsche und die ihn überreden wollen, mit ihnen zu gehen. Eine junger Mann fragt ihn aufgebracht, warum er nicht ausbrechen wolle aus dem Kreislauf des ewigen Gehorchens und sich solidarisch mit denen gibt, die Opfer von Gewalt sind. Für die Figuren, nicht nur in Madys Fall, ist gerade dieser Kreislauf zu einer Falle geworden, einer selbsterfüllenden Prophezeiung oder jenem bodenlosen Abgrund, von dem einer der Handlanger Yannicks in einer Szene spricht.
Die Aspekte, die das von Blanchart mitgeschrieben Skript anspricht, mögen simpel sein, doch sie vervollständigen das Bild einer Welt, in der die Dunkelheit mehr und mehr zu gewinnen und nur noch die Gewalt zu regieren scheint. Ganz im Sinne des Film Noir, den Blanchart an mehr als einer Stelle zitiert, entwirft Night Call ein teils sehr pessimistisches Bild unserer Realität, bevölkert von Figuren, die wenig Heldenhaftes an sich haben und die durch die Not der Situation etwas tun, dass sie aus der eigenen Lethargie befreit.
OT: „La nuit se traine“
Land: Belgien, Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Michiel Blanchart
Drehbuch: Michiel Blanchart, Giles Marchand
Musik: Tanguy Destable
Kamera: Sylvestre Vannoorenberghe
Besetzung: Jonathan Feltre, Natacha Krief, Jonas Bloquet, Romain Duris
Sitges 2024
Fantasy Filmfest White Nights 2025
Amazon (DVD „Night Call – Überlebe die Nacht“)
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