Fanny (Lilith Grasmug) lebt in Straßburg und Lena (Josefa Heinsius) in Leipzig. Über ihre Mütter miteinander bekannt, haben sie eine kurze Brieffreundschaft gepflegt, vor allem um die jeweilige Fremdsprache zu üben. Daraufhin reist Fanny zu Besuch nach Deutschland, doch Lena ist davon erstmal nicht besonders begeistert. Sie hat starke politische Überzeugungen, die sie auch selbstsicher vertritt. Sie will Aktivistin werden und kann mit der schüchternen und wenig informierten Fanny nicht viel anfangen. Außerdem muss sie auch mit ihrer unter einer Trennung leidenden Mutter zurecht zu kommen. Doch ihr Interesse nimmt zu, als Fanny beginnt, ihr von einigen dramatischeren Ereignissen und interessanten Menschen in ihrem Leben zu erzählen. Die Sache hat nur einen Haken: Diese hat Fanny frei erfunden …
Ist das wirklich die Jugend von heute?
Tandem – In welcher Sprache träumst du? scheint ein realistisches Bild der Probleme zeichnen zu wollen, mit denen sich Jugendliche heutzutage konfrontiert sehen. Da ist z.B. Lenas Mutter (Nina Hoss), die – vom Lebenspartner für eine Jüngere verlassen worden – ihre Gram in beunruhigenden Mengen von Alkohol ertränkt. In diesem Zustand trifft sie unreife Entscheidungen, wie beim Familientreffen inklusive Ex nebst Kids den eigenen Eltern vorspielen zu wollen, es wäre alles noch beim Alten – was natürlich in Chaos und Streit endet. Statt der Mutter erscheint eher Lena in der erwachsenen Fürsorgerolle, ermahnt ihre Mutter wegen des Alkoholkonsums oder tröstet sie nach der unweigerlichen Eskalation beim Familientreffen.
Dennoch ist sie als Teenager natürlich weiterhin von der Mutter abhängig und hat keine Entscheidungsgewalt. Man kann das als Gleichnis für die gesamte junge Generation lesen, die – wie auch Lena im Film – mit klarem Blick gesellschaftliche Probleme wie Klimawandel oder den politischen Rechtsruck erkennen und um ihre Zukunft bangen müssen, aber nicht die politische Macht oder das Mitspracherecht haben, um tatsächlich etwas daran zu ändern. Wen wundert es da, wenn auch Lena so häufig ernst oder gar griesgrämig dreinblickt?
Fanny hingegen ist deutlich kindlicher und beschäftigt sich mehr mit ihrer unmittelbaren Welt: Verunsichert vom fremden Deutschland und der anfangs abweisenden Lena, heult sie sich am Telefon bei ihrer Mutter (Chiara Mastroianni) aus. Statt über rechte Parteien und das aus den Fugen geratende Klima sorgt sie sich eher darum, dass sie noch nie jemanden geküsst hat. Es ist nachvollziehbar, dass sie der viel cooleren, weltgewandteren und selbstbewussteren Lena imponieren möchte. Aber es bleibt völlig schleierhaft, warum Fanny zu diesem Zweck derart hanebüchene Stories erfindet – von der schwangeren Freundin, deren Vater keine Abtreibung erlauben will bis zur aktivistischen Schwester, die in ökoterroristischen Kreisen unterwegs sein soll. Für das Publikum ist absehbar, dass das Lügenkonstrukt irgendwie zum Einsturz kommen muss und es wird dahingehend auch nicht enttäuscht. Doch die Konsequenzen bleiben letztendlich aus. Denn Lena vergibt Fanny nach kurzer, heftiger Enttäuschung doch überraschend schnell und das, obwohl man selbst als Zuschauer:in nicht sicher ist, wie viel Echtes man von Fanny überhaupt zu sehen bekommen hat. So gar keine Moral von der Geschichte?
Zu viele Themen sorgen für Verwirrung
So vieles in diesem Film bleibt verwirrend. Die Hintergründe der beiden Familien in Leipzig und Straßburg werden nur angerissen, Figuren tauchen einmal auf und dann nie wieder. Die echte Welt da draußen ist sicherlich komplex und nicht nur für Jugendliche manchmal überwältigend und einfach „zu viel“. Ein Film darüber sollte es aber nicht ebenso sein. Umweltaktivismus, Tierrechte und Veganismus, Alkoholismus, Untreue in Ehe/Beziehung, Wahrheit und Lüge, Zukunftsangst, die friedliche Revolution in der DDR, das Erstarken der Rechten, queere Jugendliebe – all diese Themenwelten werden aufgemacht, aber vielfach nicht auserzählt oder mit ausreichendem Kontext versehen. Die Figur von Lena wirkt bspw. so, als hätte man sämtliche aktivistischen Jugendklischees in einer Person zusammengepresst. Da können weder die beiden charismatischen Jungdarstellerinnen, noch die gestandenen Schauspielerinnen ein glaubwürdiges Gesamtbild daraus hervorzaubern.
Hinzu kommen auch einige sexuell angehauchte Szenen, die man vielleicht nicht problematisch, aber doch zumindest fragwürdig finden kann, insbesondere da sich die Bedeutung für den Handlungsverlauf nicht wirklich erschließt. In einer davon dirigiert Lena plötzlich Fanny und einen befreundeten Jungen und bestimmt, wer sich wann auszieht, welche Körperstellen geküsst werden, und so weiter. Bei der Minderjährigkeit der Protagonisten geht einem ein mulmiges Gefühl im Magen umher und stellt sich die Frage, ob das für eine realistische Darstellung von Jugendlichen wirklich gezeigt werden muss? Das ist alles recht bedauerlich, denn der Film ist handwerklich gut gemacht und auch die Settings in Leipzig und Straßburg machen einiges her.
Man wünscht sich, Regisseurin Claire Burger hätte sich lieber auf ein paar der wirklich spannenden Ansätze konzentriert und diese zu einem stringenten Ganzen verbunden. So bleiben am Ende trotz guter Momente doch hauptsächlich Fragezeichen zurück.
OT: „Langue Étrangère“
Land: Frankreich, Deutschland, Belgien
Jahr: 2024
Regie: Claire Burger
Drehbuch: Claire Burger, Léa Mysius
Musik: Rebeka Warrior
Kamera: Julien Poupard
Besetzung: Lilith Grasmug, Josefa Heinsius, Chiara Mastroianni, Nina Hoss, Jalal Altawil
Berlinale 2024
Lichter Filmfest 2024
Festival des deutschen Films 2024
queerfilmfestival 2024
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