Small Things Like These
© Shane O’Connor

Small Things Like These

Inhalt / Kritik

Weihnachtszeit 1985 in einer irischen Kleinstadt. Bill Furlong (Cillian Murphy) ist Kohlenhändler und schuftet von morgens bis abends, um sich, seiner Frau und seinen Töchtern das Leben zu finanzieren. Eines Tages macht er im örtlichen Kloster eine Entdeckung, die ihn in seine Kindheit transportiert und dafür sorgt, dass er sein Leben, die Dorfgemeinschaft und das Kloster, das das Dorf kontrolliert, infrage stellt.

Winterdepression, aber systematisch

Der erste Eindruck von Small Things Like These transportiert vor allem eines: Puh, ist das trist und deprimierend. Denn an allererster Stelle ist der Eröffnungsfilm der Berlinale 2024 ein Film, der über seine Stimmung kommt; sehr still, langatmig und vor allem melancholisch. Small Things Like These wirkt sehr nachdenklich, ohne wirklich produktiv über etwas nachzudenken. Mehr ist es ein in die Leere schauen und sich fragen, wieso das Leben gemäß der Norm – fleißig, tugendhaft, reserviert – so wenig erfüllend ist. Letztlich eine Abhandlung über Burnout und Depression in einer Zeit, in der man nicht über diese Dinge sprach, in der es normal war, sich völlig kaputt zu schuften und seine Unzufriedenheiten in sich hinein zu schweigen.

Und das zu vermitteln, zu zeigen, wie sich dieses Wegschweigen anfühlt, gelingt dem Film hervorragend. Nicht zuletzt liegt an dem Meister der Mimik, Cillian Murphy, der wieder einmal eine Performance an den Tag legt, die manchen Leuten vielleicht zu minimalistisch sein könnte, bei genauerer Beobachtung aber fantastisch nuanciert zeigt, wie seine Figur mit sich hadert und an welche Grenzen sie stößt. Unterstützt wird das Ganze natürlich von der Inszenierung, die primär durch wahnsinnig kalte, ungemütlich und einsame Bilder geprägt ist, vereinzelte Momente aber durchaus gekonnt zu kontrastieren weiß. Der allgemeine Fokus auf die Bild- sowie Körpersprache und Mimik der Figuren funktioniert ziemlich gut und passt natürlich zur Thematik des Verschweigens von Problemen. Die paar Dialoge, die es gibt, könnten aber dennoch einprägsamer sein und schaffen es so leider nicht, als starke „Spitzen“, wie beispielsweise die wenigen fröhlichen Momente, herauszustechen.

Doch was den Dialogen nicht gelingt, vielleicht auch gerade deshalb, schafft das Sounddesign umso mehr. Lautes Atmen, das dumpfe Knallen von Kohlesäcken, die auf dem Boden aufprallen oder das Stöhnen beim Tragen dieser durchbrechen regelmäßig die Stille des Films und sorgen für eine gewisse Rohheit, die immer wieder aus der Melancholie rausreißt und damit einen weiteren großen Aspekt des Films einleitet: Wer kann es sich überhaupt leisten, melancholisch zu sein?

Solidarität und Klassenbewusstsein

Denn ein zentrales Motiv für die Gefühlslage von Hauptfigur Bill dürfte eine gewisse moralische Unvollkommenheit sein. Das Gefühl, anderen, schlechter gestellten Menschen helfen zu müssen, um dem eigenen Leben Sinn zu verleihen. Der Wunsch nach Solidarität und die ernüchternde Erkenntnis, dass das eigene harte Leben noch zu den besseren gehört. Dem gegenüber steht die Frage, ob man es sich leisten möchte, sich mit den Problemen anderer zu belasten. Der Film findet dafür eine klare Antwort: Die Solidarität mit den anderen ist es, die auch mein Leben verbessert. Interessant ist dabei der Aspekt Klassenbewusstsein; also, welchem sozialen Stand fühle ich mich zugehörig und welche Konsequenzen hat dieses Zugehörigkeitsgefühl?

Small Things Like These spielt das primär zwischen Hauptfigur Bill und seiner Frau Eileen aus. Eileen plädiert dafür, doch lieber auf die eigene Familie zu achten und die anderen zu ignorieren. Sie begreift sich nicht als Teil der Unterschicht und glaubt, dieser zu helfen, würde ihren Interessen als Teil der Mittelschicht im Weg stehen. Spannend daran, Eileen scheint selbst aus bescheidenen Verhältnissen zu kommen und hat offenbar nie eine Art Hilfe bekommen. Sie glaubt nicht an Solidarität und Zivilcourage und will mit ihrer Vergangenheit im Proletariat nichts mehr zu tun haben. Bill im Gegensatz, auch aus bescheidenen Verhältnissen, hat als Kind zivile Hilfe erfahren. Er begreift sich als Teil des Proletariats, obwohl er das als Selbstständiger mit mehreren Angestellten trotz seiner harten körperlichen Arbeit eigentlich nicht ist. Wir sehen anhand der beiden sehr gut, wie Klassenbewusstsein entsteht und welchen Effekt Solidarität und Zivilcourage darauf hat.

Warum Klassenbewusstsein und Solidarität so wichtig sind, zeigt sich vor allem, wenn man bedenkt, wieso Zivilcourage überhaupt nötig ist. Die Institutionen, die eigentlich für die Unterstützung der Bedürftigen zuständig sein sollten, versagen. Zunächst ist da die Kirche. Diese ist inszeniert als eine Hülle ihrer vermeintlichen Werte, die sich vor allem durch Ausbeutung und Ausgrenzung derer, die sich nicht penibel an diese vermeintlichen Werte halten, sowie Machtspielchen auszeichnet. Dabei gibt es insbesondere einen klaren Querverweis auf das Bon Secours Mother and Baby Home und vergleichbare Einrichtungen, die im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts im Auftrag der Katholischen Kirche in Irland zigtausend Säuglinge ihren unverheirateten Müttern entrissen und diese, ohne deren Einverständnis, zur Adaption freigaben.

Neben dieser harschen Kritik an der Kirche spielt außerdem die Kleinstadtdynamik und der Wunsch nach Konformität eine wichtige Rolle im Film. Konformität ist hier ein klares Hindernis auf dem Weg zur Solidarität, eine unsichtbare Wand, die durch die Angst vor Ausgrenzung ihre Kraft bekommt. Und zuletzt gibt es noch die Institution Staat bzw. Lokalregierung. Diese sind im Film ganz einfach nonexistent. Das ist zwar irgendwo realistisch für das Szenario und in sich natürlich auch eine gewisse Kritik, sorgt aber dafür, dass diese thematische Ebene recht klein gehalten wird. Man erkennt, dass die Gesamtsituation wirtschaftlich schwierig ist, die genauen Umstände werden aber nicht geschildert, vor allem, da der Film entsprechende Zeit durch die Personalisierung seiner Hautfigur füllt.

Das lange Nachdenken

Diese Personalisierung ist an sich nicht automatisch schlecht, hier aber nicht allzu gut umgesetzt und in ihren erzählerischen Konsequenzen auch die größte Schwäche des Films. Denn leider wird sich viel zu oft auf recht biedere und nur vage mit der Haupthandlungsebene zusammenhängende Rückblenden verlassen, die dafür sorgen, dass sich der Film stellenweise ziemlich unrund anfühlt. Man limitiert sich durch die Rückblenden und den engen Fokus auf die Hauptfigur unnötig selbst, denn sie heben weder Hauptfigur noch Inhalte auf eine neue Ebene und fühlen sich deshalb etwas nach toter Zeit an.

Das Resultat: Zu Beginn ist der Film recht behäbig und wirkt etwas ziellos, während er gegen Ende etwas zu schnell auserzählt ist und sich gewisse Entwicklungen wie übersprungen anfühlen. Böse gesagt, ist der Film, wie anfangs beschrieben, nachdenklich, ohne wirklich viel nachzudenken. Stark vereinfacht muss die Hauptfigur einfach nur eine Entscheidung treffen, wir begleiten sie auf dem Weg zu dieser Entscheidung und kriegen dabei sehr langsam erzählt, warum sie sich wie entscheidet. Natürlich finden sich eine Menge gelungener Zwischentöne dabei, aber dennoch fühlt es sich so an, als wäre mehr möglich gewesen.

Credits

OT: „Small Things Like These“
Land: Irland, Belgien
Jahr: 2024
Regie: Tim Mielants
Drehbuch: Enda Walsh
Vorlage: Claire Keegan
Musik: Senjan Janson
Kamera: Frank Van den Eeden
Besetzung: Cillian Murphy, Eileen Walsh, Michelle Fairley, Emily Watson, Clare Dunne, Helen Behan

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Small Things Like These
fazit
„Small Things Like These“ ist nach dem Desaster im letzten Jahr mal wieder ein gelungener Eröffnungsfilm der Berlinale. Seine Stärken liegen vor allem in seiner Stimmung und seinem starken Plädoyer für Solidarität und Klassenbewusstsein. Dennoch hat er erzählerische Schwächen und kann dadurch nicht sein volles Potenzial ausschöpfen, auch wenn Hauptdarsteller Cillian Murphy wie so oft zu überzeugen weiß.
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