Sophie Linnenbaum
Regisseurin und Drehbuchautorin Sophie Linnenbaum (© Jonas Ludwig Walter)

Sophie Linnenbaum [Interview]

Nach einer Reihe von Kurzfilmen und anderer Arbeiten legte Sophie Linnenbaum 2022 mit The Ordinaries (Kinostart: 30. März 2023) ihr Langfilmdebüt vor. Darin erzählt die deutsche Regisseurin und Drehbuchautorin die Geschichte von Paula (Fine Sendel). Bislang fristete diese ein eher unscheinbares Dasein als Nebenfigur. Doch nun hat sie die Chance, zu einer echten Hauptfigur zu werden, so wie es ihr Vater zuvor gewesen ist. Dafür besucht sie eine spezielle Schule, in der sie alles lernen soll, was dafür notwendig ist. Aber was heißt das eigentlich, eine Hauptfigur zu sein? Das fragt sich nicht nur Fine. Wir sprechen auch mit Sophie darüber sowie über die Entstehung der originellen Komödie und Diversität in Filmen.

 

Du erzählst in The Ordinaries eine ziemlich ungewöhnliche Geschichte. Wie bist du auf die Idee dazu gekommen?

Ich habe mal einen Kurzfilm gemacht, über einen Menschen, der so einsam ist, dass er aus dem Bild fällt. Er versucht im Laufe der Geschichte immer wieder, zurück ins Bild zu kommen, und trifft dabei auf eine Gruppe von Leuten, die auch Filmfehler haben. Diese Welt ist einfach bei mir hängen geblieben. Mich hat die Frage interessiert, inwieweit eine Narrative die Wirklichkeit nicht nur abbildet, sondern sie auch verändert. Da bot sich für mich diese Filmwelt an.

Und als du die fertige Idee dann hattest, wie schwierig war es, andere von ihr zu überzeugen?

Sehr viele Leute unseres Teams sind Menschen, mit denen wir auch schon tolle Dreherfahrungen hatten und als wir denen von der Idee erzählt haben, waren sie recht schnell an Board. Was die Finanzierung angeht, hatten wir das Glück, dass das ZDF – Das kleine Fernsehspiel von Anfang an mit dabei war, seit dem ersten Pitch. Aber klar kamen auch die Fragen: Ist das etwas, das ein Publikum sehen will? Trägt das einen Langfilm? Aber für uns war klar, es geht hier ja nicht nur um Effekte, da steckt eine Geschichte drin, die uns alle betrifft.

In dem Film erzählst du von einer Nebenfigur, die eine Hauptfigur werden möchte. Wo zieht man eigentlich die Grenze zwischen Nebenfigur und Hauptfigur?

Das ist eine fast religiöse Frage. Es kommt aufs Genre und die Filmart an. Schwierig ist auch die Abgrenzung zwischen einer Nebenfigur und einem Komparsen oder einer Komparsin. Generell haben wir bei The Ordinaries versucht, intuitiv verständliche Filmbilder zu finden, um die Welt zu erzählen. Deswegen haben wir unsere Hauptfiguren in dieser 40er/50er Jahre Hollywood Golden Age Ära angesiedelt und das ist auch der Ausgangspunkt der filmischen Welt, der damit auch den Ton für die anderen Klassen dieser Gesellschaft setzt.

Wie würdest du denn eine Hauptfigur definieren? Was macht sie aus?

Eine Hauptfigur trägt die Handlung und ist der wie auch immer geartete Mittelpunkt des Films. Das kann auch eine Figur sein, die nur passiv die Handlung voranbringt, mit der also etwas geschieht. Auf jeden Fall sollen wir uns fragen, wie sie sich im Laufe des Films entwickelt.

Kann denn jede Figur theoretisch eine Hauptfigur sein?

Auf jeden Fall. Es liegt immer in der Hand der gestaltenden Menschen, die Figur „interessant“ genug zu machen. Jede Figur hat zumindest das Potenzial, ihre eigene Geschichte zu erzählen.

Gibt es dabei Unterschiede zwischen einer männlichen Hauptfigur und einer weiblichen?

Das hängt davon ab, ob du nach dem Jetzt-Zustand fragst, wie es gerade ist, oder ob es Unterschiede grundsätzlich geben sollte. Ich würde sagen, dass es im Moment diese Unterschiede auf jeden Fall noch gibt. Das fängt schon beim Alter der Figuren an bzw. hört mit diesem wieder auf. Das hat mit körperlichen Idealen zu tun, aber auch mit Background-Geschichten. Die klassische Missbrauchsgeschichte, die einfach mal so en passant einer weiblichen Figur gegeben wird: Die Frau wird dadurch gebrochen, der Mann gewinnt durch den Missbrauch seiner Frau an Stärke. Mit diesen Unterschieden kannst du Bände füllen. Man würde sich in die Tasche lügen, wenn man sagt, dass es solche Unterschiede nicht gibt. Aber das sind alles Sehgewohnheiten und es ist ein Prozess, dass wir uns dieser Gewohnheiten bewusst werden und diese überwinden.

In den letzten Jahren wurde viel über die Ungleichbehandlung von Männern von Frauen gesprochen, sowohl vor wie hinter der Kamera. Hast du das Gefühl, dass sich dabei etwas getan hat?

Ich denke schon, ja. Ich bin in der glücklichen Position, zu einer Zeit einzusteigen, in der viele schon lange gekämpft haben. Und ich freue mich, auf den Zeitpunkt, an dem die Frage nach Geschlecht in der Filmwelt einfach nicht mehr relevant ist, weil es so selbstverständlich gleichberechtigt geworden ist.

Hast du denn selbst noch Erfahrungen gemacht, wo du dich als Frau anders behandelt gefühlt hast?

Es gab bei Drehs schon Leute, die mir zu verstehen gegeben haben, dass sie  nur die Autorität von Männern akzeptieren. Das waren aber Ausnahmen. Und da ich in dem Filmuni-Kontext meine Filme machen konnte und auch da meine Menschen gefunden habe, mit denen ich eine ähnlich denkende Bubble bilde, hat das keinen wirklichen Unterschied gemacht. Wobei ich auch Erfahrungen mit einer Art positiven Sexismus gemacht habe, wenn man mir beispielsweise Komplimente für „meine weibliche Handschrift“ in meinen Filmen gibt. Da denke ich mir nur: Was für eine weibliche Handschrift?

Denkst du, dass es eine weibliche Handschrift gibt?

Nein. Natürlich gibt es einen gesellschaftlichen Einfluss darauf, wie wir uns verhalten. Aber ich hoffe, dass jeder erwachsene Mensch einen wachsamen Blick auf diesen Einfluss hat und damit, so weit möglich, bewusst umgeht. Anders gesagt: Ich denke unterschiedliche Handschriften entstehen durch Faktoren wie Interesse, Achtsamkeit, Sozialisierung, Wertevorstellung, etc. und nicht durch Geschlecht.

Wie steht du zu der Diskussion, bei Schauspielpreisen keine Geschlechtertrennung zu haben? Bei der Berlinale gibt es nur noch einen Preis für die beste schauspielerische Leistung.

Ich finde das gut. Vorausgesetzt natürlich, dass die Rollenprofile von Frauenfiguren mit denen der Männer gleichziehen können. Und natürlich kannst du immer bis ins kleinste Detail argumentieren, ob eine Gegenüberstellung wirklich angemessen ist. Ist es sinnvoll, die schauspielerische Arbeit eines Erwachsenen und die eines Kindes miteinander zu vergleichen? Macht es einen Unterschied, ob jemand 30 Tage am Set war oder nur 5? Grundsätzlich würde ich mir bei den Preisen wünschen, dass andere Gewerke stärker berücksichtigt werden. Es gibt so viele wahnsinnig aufreibende und aufregende Berufe wie die Szenografie, das Kostümdesign, Montage oder Sounddesign, die hinter der Kamera passieren und oft im Verborgenen bleiben, obwohl sie ein wichtiger Teil des Films sind. Wenn durch die Zusammenlegung der Schauspielpreise noch Preise übrigbleiben, würde ich die gern auf diese anderen Gewerke verteilen, die zu wenig gewürdigt werden.

Zu einigen dieser Gewerke gibt es ja Kategorien bei großen Filmpreisen. Die werden nur kaum wahrgenommen. Wie könnte man das ändern?

Ich hatte gerade zu diesem Thema eine hitzige Diskussion. Man könnte Retrospektiven und Werkschauen, die man oft über die Werke von Regisseuren und Regisseurinnen hat, auch für andere Gewerke machen. Warum nicht mal eine Werkschau zu einer Kostümbildnerin? Ich merke das auch bei den Kinotouren: Es wollen immer alle die Darsteller:innen oder die Regie sehen. Ich verstehe das schon, als Regisseurin bin ich immer überall gestaltend dabei. Aber eben nicht alleine. Ich liebe mein Team und es hat so unfassbare Arbeit gemacht. Angefangen bei den beiden Produzentinnen von Bandenfilm, oder Michael Fetter Nathansky, meinen Co-Autoren, über die Kostümbildnerin Sophie Peters, unseren DoP Valentin Selmke oder Josefine Lindner und Max-Josef Schönborn, die für die Szenografie zuständig waren: Ohne diese großartigen Menschen gäbe es den Film nicht.

In deinem Film setzt du dich für Leute ein, die Außenseiter sind, die nicht dazugehören, etwa weil sie rausgeschnitten werden oder Filmfehler haben. Momentan wird wieder stark gegen Minderheiten gewettert. Sind die Leute wieder intoleranter geworden oder sind die Intoleranten einfach nur lauter?

Ich glaube beides. Wir haben natürlich unsere Bubble, in der wir uns weiterzuentwickeln versuchen. Aber es gibt auch die Menschen außerhalb dieser Bubble, die damit nichts anfangen können oder sogar Angst davor haben, was gerade passiert. Und die wirken manchmal wie die Lauteren. Als Filmschaffende können wir da Geschichten erzählen, die Möglichkeitsräume aufmachen, über Toleranz erzählen und auf Diversität achten, sowohl vor wie auch hinter der Kamera, bis es dann irgendwann hoffentlich einfach normal ist.

Du glaubst also, dass es eine tolerante Gesellschaft geben kann?

Ich muss es glauben. Sonst wäre das alles sinnlos.

The Ordinaries
Die Sehnsucht nach dem großen Auftritt: In „The Ordinaries“ träumt Paula (Fine Sendel) davon, eine Hauptfigur werden zu dürfen. (© Bandenfilm)

Kommen wir auf deinen Film zurück. Wie bist du auf deine Hauptdarstellerin Fine Sendel gekommen?

Unser Caster Karl Schirnhofer hat sie bei einem Vorsprechen entdeckt. Unser Casting mit ihr war wahnsinnig erfrischend und sie hatte eine ganz wunderbare offene Energie. Sie hat etwas Mädchenhaftes, was für diesen Film sehr gut gepasst hat. An ihrer Seite können wir zusammen mit ihr wir die Filmwelt entdecken.

Nachdem du dich durch deinen Film so sehr mit Filmen allgemein beschäftigt hast, hat sich dein Blick auf Filme dadurch verändert?

Ich glaube nicht wesentlich. So ein paar kleine Spleens beim Zuschauen hat man glaube ich immer schon. Ich liebe zum Beispiel Kompars:innen und schau ganz gerne während der Szene auch einfach mal im Hintergrund, was da so passiert. Grundsätzlich kann ich mir aber auch als Filmemacherin noch Filme ganz normal anschauen, ohne sie zu analysieren. Wenn mich ein Film reinzieht, zieht er mich rein.

Was sind denn Filme, die dich so reingezogen haben, dass du sie einfach nur genießen konntest?

Aktuell war das Blackberry. Dann der Dokumentarfilm The Act of Killing. Oder Dog Day Afternoon ist auch ein Film, für den ich mich ins Feuer werfen würde.

Hast du denn in der Hinsicht auch Vorbilder?

Es sind eher Eigenschaften, die ich bewundere, als wirklich Menschen. Ich bewundere die Wahrhaftigkeit, die Ruben Östlund in seinen Filmen zeigt, wenn er will. Ich liebe auch den französischen Film „Little Tickles“, der so wunderbar ehrlich und authentisch ist und zugleich Mut zum Kitsch hat. Ehrlicher Kitsch ist für mich etwas Großartiges. Ich heule bei dem Film schon, wenn ich den Trailer sehe.

Und wie geht es bei dir selbst filmisch weiter? Hast du schon neue Projekte, über die du reden kannst?

Ich freue mich erst einmal, dass The Ordinaries jetzt ins Kino kommt und ich mich danach wieder anderen Themen zuwenden kann.

Vielen Dank fürs Gespräch!



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