Marie Kreutzer Interview
Regisseurin Marie Kreutzer (© Pamela Rußmann)

Marie Kreutzer [Interview]

In Corsage (Kinostart 7. Juli 2022) erzählt Regisseurin und Autorin Marie Kreutzer noch einmal die bekannte Geschichte um die österreichisch-ungarische Kaiserin Elisabeth, welche auch durch die Sissi-Filme in den 1950ern unsterblich wurde. Dabei präsentiert sie eine ganz eigene Fassung der Ikone. Vicky Krieps spielt die berühmte Monarchin als Frau, die sich gegen das System und starre Geschlechterbilder auflehnt und ihre eigenen Bilder sucht. Wir haben uns auf dem Filmfest München 2022, wo das historische Drama als Eröffnungsfilm lieg, mit der Filmemacherin getroffen und im Interview über die Recherchen, die Frage der Objektivität und Vorbildfunktionieren unterhalten.

 

Viele werden sich bei Corsage fragen: Warum die Geschichte um Kaiserin Elisabeth noch einmal neu erzählen?

So oft ist die bislang gar nicht erzählt worden. Richtig prominent waren eigentlich nur die drei Sissi-Filme von Ernst Marischka in den 1950ern. Es ist also nicht so, dass es schon zehn interessante Filme zu dem Thema gab. Bei Corsage war es so, dass Vicky Krieps auf mich zukam und mir vorschlug, einen Film über Elisabeth zu drehen. Ich hielt das zuerst für einen Scherz, weil sie für uns in Österreich eine Klischeefigur aus dem Souvenirshop ist. Deswegen hat mich das zuerst nicht sonderlich interessiert. Mit der Zeit ist diese Idee aber in mir weitergewachsen und ich habe mich viel mit Elisabeth beschäftigt, immer mit dem Anspruch, ich muss da etwas finden, das mich interessiert. Etwas, das die Geschichte heute noch relevant macht. Eine einfache Biografie wollte ich nicht drehen, das war mir zu wenig.

Auffällig ist, dass derzeit mehrere Projekte zu Elisabeth anstehen. Letztes Jahr kam die Serie Sisi auf RTL, jetzt steht Corsage an, Netflix arbeitet parallel an einer eigenen Fassung. Was macht diese Figur so besonders, dass ausgerechnet sie so oft zum Thema gemacht wird? Es gab schließlich viele andere Monarchinnen, über die man bestimmt etwas hätte sagen können.

Ich kann natürlich nicht für die anderen sprechen und weshalb sie das Thema aufgegriffen haben. Elisabeth ist aber eine dieser ikonischen Frauen wie Lady Di oder Marilyn Monroe, die ein Mysterium umweht, auch weil man vieles nicht so genau weiß. Es gibt viele Geschichten zu ihnen, die dann aber auch nur Geschichten sind und keine Fakten. Sie sind auch alle auf eine rätselhafte Weise gestorben. Das macht sie alle spannend. Außerdem sind sie gute Projektionsflächen. Schöne, traurige Frauen, das mögen die Menschen einfach.

Sind unglückliche Frauen interessanter als glückliche Frauen?

Man kann an einer unglücklichen Frau besser von den Kämpfen erzählen, die Frauen noch immer austragen müssen, um ihren Platz in der Welt zu finden und wahrgenommen zu werden.

Corsage
In „Corsage“ spielt Vicky Krieps die berühmte österreichisch-ungarische Kaiserin Elisabeth, die sich in ihrem Leben zunehmend eingeengt fühlt (© Alamode Film)

Ganz grundsätzlich: Findest du es einfacher, eine alte Geschichte neu zu erzählen oder eine komplett neue Geschichte zu erfinden?

Weder noch. Das hängt sehr von der Geschichte ab. Wenn man wie ich in meinem letzten Film Der Boden unter den Füßen von einer Welt erzählt, die man persönlich gar nicht kennt, dann kann die Recherche wahnsinnig aufwendig sein. Ob du einen Film über die Monarchie des 19. Jahrhunderts drehst oder über eine Unternehmensberaterin, das gibt sich nicht sehr viel. Du musst immer viel recherchieren, wenn du ein Thema annimmst, bei dem du dich nicht auskennst. Du musst Fakten sammeln und sortieren, entscheiden, was du davon in deinen Film packen willst und was nicht. Was bei einer historischen Figur anders ist: Die Menschen wissen bereits viel über sie oder meinen zumindest viel zu wissen. Du musst dich immer mit dem Bild vergleichen lassen, dass sie bereits von der Figur haben. Das ist bei einer fiktiven Figur natürlich anders.

Wie sahen denn bei Corsage diese Recherchen aus? Bei einem historischen Thema gibt es schließlich viele verschiedene Quellen, die zum Teil ganz unterschiedliche Perspektiven haben.

Das stimmt. Eine Freundin von mir ist Historikerin und ein wenig auf die Habsburger spezialisiert. Sie konnte mir Tipps geben, welche Bücher ich lesen sollte und welche wirklich gut sind. Dann gibt es verschiedene Museen, etwa das Sisi Museum in Wien, wo man auch durch ihre Wohnräume gehen kann. Da war ich sehr oft und habe auch mit der Kuratorin ein sehr langes Gespräch geführt. Ich habe allgemein mit vielen Leuten gesprochen, weil alle Historiker und Historikerinnen letztendlich eine eigene Geschichten erzählen und nie wirklich objektiv sind. Das sind alles keine reine Fakten, sondern Interpretationen. Jedes Gespräch hat zu etwas Neuem geführt und mit der Zeit entstand aus diesen vielen verschiedenen Bestandteilen ein Bild.

Das Thema Objektivität sprichst du in Corsage selbst an, als es um Bilder und Filme geht. Du sagst darin, dass Bilder nie objektiv sind, auch wenn sie so erscheinen. Historische Filmen müssen aber zumindest so tun, als seien sie eine objektive Wahrheit, wenn sie auf einer wirklichen Geschichte basieren. Hattest du diesen Anspruch der Objektivität bei dem Film?

Nein. Filme sind nie objektiv. Auch ein Dokumentarfilm ist nicht objektiv. Nicht einmal ein Nachrichtenbericht ist objektiv. Sobald du mit bewegten Bildern arbeitest, musst du dich von dem Anspruch verabschieden. Jede Geschichte, die wir erzählen, prägen wie automatisch mit. Deswegen war Objektivität für mich kein Ziel.

Wenn du Corsage aufdröseln müsstest: Wie viel davon ist original Sisi, wie viel ist Marie Kreutzer?

Dafür müssten wir erst einmal klären: Was heißt original Sisi? Ich habe sie ja nicht kennengelernt, sondern nur sehr viel über sie gelesen und mir ein Bild gemacht. Ich versuche, diesem Bild, das in mir entstanden ist, treu zu bleiben. Mehr als das kann ich nicht tun.

Wie würdest du dieses Bild von ihr beschreiben?

Elisabeth war eine sehr komplexe und widersprüchliche Frau. Sehr klug. Sensibel. Sie war feinfühlig, vermutlich zu feinfühlig für diese Welt und diese Position, die sie ausfüllen musste. Sie war aber auch unberechenbar und im Zwischenmenschlichen schwierig. Was mich an ihr so gereizt hat, war, dass sie etwas so Widerständiges und Rebellisches hatte. Dem wollte ich in meinem Film mehr Raum verschaffen.

An einer Stelle im Film sieht sich Elisabeth das Bild ihrer verstorbenen Tochter an und fragt sich, ob es ihr gerecht wird. Kann ein Bild, das wir uns von einem anderen Menschen machen, diesem überhaupt gerecht werden?

Gute Frage. Wenn sich jemand ein Bild von mir macht, kann ich natürlich sagen: So sehe ich mich oder so sehe ich mich nicht. Das ist vielleicht noch am ehesten ein Kriterium, ob du einem Menschen gerecht wird. Andererseits ist mein Bild von mir auch nicht objektiv. Wer soll das also entscheiden?

Du hast vorhin gemeint, dass Elisabeth eine Projektionsfläche für die Menschen ist. Was können wir von ihr lernen?

Was wir glaube ich auf jeden Fall von Sisi oder Lady Di lernen können: Es kann kein Ziel sein, Prinzessin zu werden. Ich finde es sehr schwierig, dass wir noch immer kleine Mädchen als Prinzessinnen bezeichnen, wenn sie süß sind. Dass wir noch immer in den Kinderabteilungen überall Prinzessinnen draufdrucken. So als wäre es ganz toll eine Prinzessin zu sein. Dabei haben diese Frauen sehr unter ihren jeweiligen Lebensbedingungen leiden müssen.

Du meintest bereits, dass Frauen heute noch immer um ihren Platz in der Welt kämpfen müssen. Wann hast du heute noch das Gefühl, durch eine Corsage eingeengt oder eingesperrt zu sein?

Physisch bin ich natürlich nicht eingeengt. Gesellschaftlich läuft da aber noch immer vieles verkehrt. Frauen müssen noch immer mit so hohen Erwartungen kämpfen. Das ist dann aber ein Systemproblem, weil wir das in der Form gar nicht leisten können. Selbst im postemanzipatorischen Zeitalter wird von uns erwartet, dass wir Mütter werden. Dass wir gute Mütter werden. Gute Partnerinnen. Wir müssen schön sein, am besten immer jung bleiben. Frauen leisten deutlich mehr unbezahlte Arbeit als Männer, sei es in der Familie oder im Sozialen. Wir dürfen zwar inzwischen auch beruflich Karriere machen. Die anderen Pflichten sind aber geblieben, weshalb wir konstant doppelt belastet und oft überfordert werden.

Und wie sind deine Erfahrungen als Frau im Filmbereich? Da wurde in den letzten Jahren viel darüber gesprochen, dass es keine Gleichberechtigung gibt.

Das stimmt, das habe ich selbst erlebt. Wenn du als junge Frau versuchst, in diesem Bereich Fuß zu fassen, musst du dir einiges gefallen lassen. Es gab auch Übergriffe. Da war nichts Hochdramatisches. Aber da waren schon viele kleine Übergriffe, die ich damals noch nicht gewagt habe, als solche wahrzunehmen. Du denkst da: Du musst das aushalten, das gehört dazu! Später hat sich das gewandelt, nachdem ich mich etabliert hatte und auf einmal selbst Chefin wurde. Das halten viele Männer nicht so ganz gut aus, wenn ihnen eine Frau sagt, dass sie etwas anders machen sollen. Das ist eine Erfahrung, die ich bis heute mache. Natürlich schaue ich schon, dass ich mit solchen Männern nicht zusammenarbeite. Aber du bist trotzdem immer mal wieder in einer solchen Situation und merkst deutlich, dass du als Mann anders behandelt würdest.

Wie würdest du allgemein deine Rolle als Filmemacherin beschreiben?

Das Wichtigste für mich ist, dass ich als Filmemacherin die Filme machen kann, die ich auch machen will und bei denen du nicht zu viele Einschränkungen hast. Natürlich gehören Einschränkungen immer dazu. Wenn wir alle völlig frei wären in dem, was wir machen, hätten wir alle 100-Millionen-Projekte. Aber ich empfinde es schon als Erfolg, dass ich kontinuierlich in diesem Beruf arbeiten und meine Geschichten erzählen kann. Viele können das nicht. Sie müssen dann sehr lange um Finanzierungen kämpfen oder haben lange Pausen zwischen ihren Filmen. Insofern bin ich schon glücklich mit dem, was ich erreicht habe. Ich brauche keine Preise für das, was ich tue. Ich brauche auch keine großen Hits. Wichtiger ist mir, wenn die richtigen Leute in meine Filme kommen.

Nach Corsage haben viele diskutiert: Hat Elisabeth am Ende triumphiert oder war dies eine Niederlage? Den ganzen Film über rebelliert sie gegen das System und die Erwartungen, scheitert dabei aber auch immer wieder. Selbst ihre eigenen Kinder sagen ihr, dass sie so nicht sein darf.

Für mich hat sie am Ende gewonnen, ganz eindeutig. Sie hat sich befreit und wieder die Kontrolle über ihr Leben zurückgewonnen. Sie hat ihr Lächeln zurück, das sie verloren hatte. Und das macht sie für mich zu einer Siegerin, weil sie sich von niemandem mehr sagen lässt, wie sie ihr Leben zu führen hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Marie Kreutzer wurde am 4. Dezember 1977 in Graz, Österreich geboren. Von 1997 bis 2005 studierte sie Buch und Dramaturgie an der Filmakademie Wien bei Walter Wippersberg. 2011 erschien ihr erster Spielfilm Die Vaterlosen über eine Kommune. Zu ihren weiteren Regiearbeiten zählen die Dramen Was hat uns bloß so ruiniert? (2016), Der Boden unter den Füßen (2019) und Was wir wollten (2020).



(Anzeige)