Dem Leben entgegen – Kindertransporte nach Schweden
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Dem Leben entgegen – Kindertransporte nach Schweden

Dem Leben entgegen
„Dem Leben entgegen – Kindertransporte nach Schweden“ // Deutschland-Start: 3. März 2022 (Kino) // 2. September 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Unter den schrecklichen Folgen von Kriegen und Schreckensherrschaft haben letztendlich alle Bewohner eines Landes zu leiden, eine Gruppe von ihnen trifft es meistens jedoch ganz besonders, da sie fast ihr ganzes Leben noch vor sich haben und dementsprechend lange unter den Folgen des Erlebten leiden müssen: die Kinder. Eine wenig beleuchtete Seite des Dritten Reichs sind die Transporte von Kindern aus jüdischen Familien in die Sicherheit anderer Länder. Der Dokumentarfilm Dem Leben entgegen widmet sich nun dem Thema anhand von Interviews mit einigen Überlebenden, die Ende der 1930er Jahre im Kindesalter und vollkommen auf sich allein gestellt nach Schweden geschickt wurden, um dort bei Pflegefamilien aufzuwachsen.

Das plötzliche Leben in der Fremde

In Nahaufnahmen ihrer vom Alter zerfurchten Gesichter und teils mit Tränen in den Augen erzählen die Interviewpartner von ihrer Kindheit. Schulklassen wurden von SS-Männern überprüft, um jüdische Kinder zu finden; Mitschüler oder Lehrer verschwanden plötzlich, ohne dass man wusste, ob sie geflohen oder im Konzentrationslager gelandet waren. Im Gegensatz zu anderen Ländern nahm Schweden nur eine streng begrenzte Anzahl von 500 Kindern aus Nazideutschland auf. Ihnen blieben so zwar die Kriegserfahrungen erspart, sie wurden aber auch mit einem Schlag aus ihrer gewohnten Umgebung und ihren Familien entrissen, um in einem fremden Land anzukommen, dessen Sprache sie nicht beherrschten.

In den Erzählungen kommen der eigentliche Aufbruch aus Deutschland und die Reise nach Schweden kaum vor, was daran liegen mag, dass alles eben äußerst schnell und überstürzt geschehen musste. Die Schilderungen beschäftigen sich vor allem mit dem Leben nach der Flucht. So erzählt eine der Interviewpartnerinnen etwa, dass sie sich schnell eingelebt und als Schwedin gefühlt habe, aber irritiert gewesen sei, weil sie immer wieder als „Judenkind“ bezeichnet worden sei, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeute. Auch die erfolglosen Versuche, später die eigenen Eltern nachkommen zu lassen, werden thematisiert.

Emotional, aber etwas eintönig

Der Film verzichtet vollkommen auf ein Voice Over und erzählt die Schicksale allein über die Interviews sowie immer wieder eingeblendete Texttafeln, was recht anstrengend ist. Abgesehen von den vom Leben und den Erinnerungen an die durchgemachten Erfahrungen gezeichneten Gesichtern hat die Dokumentation leider nicht viel Relevantes zu zeigen. Immer wieder werden Naturaufnahmen dazwischen geschnitten, was den Erzählfluss des Films aber nicht abwechslungsreicher macht. Er wirkt insgesamt recht eintönig, was schade ist, da die erzählten Geschichten äußerst persönlich, tragisch und sehr emotional sind. Dem Leben entgegen zeigt eine von unzähligen Perspektiven auf die schlimme Zeit der Dreißiger und Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Europa. Auch die Nachwirkungen werden angesprochen – Traumata, Verdrängung, Verwerfungen zwischen Geschwistern und selten gewordener Kontakt mit den eigenen Eltern (sofern die Betroffenen sie überhaupt jemals wieder gesehen haben).

Die vier Protagonisten wirken in ihren Erzählungen authentisch und emotional offen. Dennoch hätte man sich noch einige ergänzende Perspektiven gewünscht, wie etwa über die Texttafeln hinausgehende historische Einordnungen durch Experten. Ja, die geschilderten Erlebnisse gehen dem Zuschauer manchmal sehr nah, insgesamt ist der Film aber zu wenig abwechslungsreich, um einen über 90 Minuten zu fesseln. Das Fehlen von interessantem visuellem Material drängt den Verdacht auf, dass eine Podcastserie die bessere Form gewesen wäre, um diese Geschichte zu erzählen. Denn letztendlich sind das Wichtigste hier die Stimmen der vier Interviewpartner, die ihre Geschichten erzählen. Dass sie alle überlebt und in ein neues Leben gefunden haben, stimmt einen natürlich positiv. Ganz am Ende des Films äußert eine der Überlebenden dann auch noch die Hoffnung, Geschehnisse wie die, die zu ihrer Flucht geführt haben, mögen sich niemals wiederholen. Im nächsten Satz ergänzt sie jedoch, sie sei angesichts der Lage der Welt skeptisch, was diese Hoffnung betrifft. Dem muss man sich leider anschließen, wenn man zum Zeitpunkt des Kinostarts von Dem Leben entgegen auf die Situation in Europa blickt. Umso wichtiger ist es aber, dass solche Geschichten erzählt werden.

Credits

OT: „Kindertransports to Sweden“
Land: Schweden, Österreich
Jahr: 2019
Regie: Gülseren Sengezer
Musik: Rickard Age
Kamera: Mathias Toivonen

Bilder

Trailer

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Dem Leben entgegen – Kindertransporte nach Schweden
Fazit
Während „Dem Leben entgegen“ zweifellos beeindruckende und wichtige Lebensgeschichten erzählt und einen bisher wenig beleuchteten Aspekt des Dritten Reichs in den Mittelpunkt stell, ist die Dokumentation in ihrer filmisch-visuellen Erzählweise leider etwas eintönig. Das macht das Anschauen mühsam, wenn auch lohnenswert.
Leserwertung1 Bewertung
9.8