Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story
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Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story

Inhalt / Kritik

Zu schön um wahr zu sein Die JT LeRoy Story
„Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story“ // Deutschland-Start: 22. Juli 2021 (DVD/Blu-ray)

Anfang der 00er Jahre ist JT LeRoy zu einer Sensation in Literaturkreisen geworden. Die semiautobiografischen Geschichten eines jungen Mannes, dessen Leben von Armut, Drogen und Missbrauch geprägt sind, treffen beim Publikum einen Nerv. Die Sache hat nur einen Haken: Es gibt JT LeRoy überhaupt nicht. Stattdessen steckt dahinter die Autorin Laura Albert (Laura Dern), die unter einem Pseudonym ihre Romane schreibt. Als der Erfolg immer größer wird und dadurch das Bedürfnis entsteht, dem scheuen Wunderkind zu begegnen, muss ein Double her. Dieses findet Albert in Savannah Knoop (Kristen Stewart), der Schwester ihres Partners Geoffrey (Jim Sturgess). Von nun an geht diese auf Pressetermine und andere Veranstaltungen, während sich Albert als deren Managerin Speedie ausgibt. Tatsächlich hat die Täuschung Erfolg, geht jedoch mit zahlreichen Einschränkungen einher …

Über das Leben als Kunstfigur

Natürlich hat es schon früher eine Diskrepanz zwischen dem gegeben, wie wir uns nach außen hin präsentieren und wie es in uns drinnen aussieht. Unser öffentliches Ich und unser privates Ich sind nicht zwangsläufig deckungsgleich. Durch das Internet hat sich diese Diskrepanz aber noch einmal deutlich verstärkt, wir sind es heute gewohnt, uns in der Öffentlichkeit als etwas zu inszenieren, das es so nicht gibt. Der Fall von JT LeRoy hängt zwar nicht direkt mit dem Internet zusammen. Er ist auch nicht ganz aktuell, sondern fand bereits vor zwanzig Jahren statt. Umso faszinierender ist es, wie die Kreation einer Kunstfigur spätere Entwicklungen vorwegnimmt und damit sehr viel zeitgemäßer ist, als es ein historischer Fall vermuten ließe. Nicht nur die Bücher des Autors sind eine Geschichte. Der Autor selbst ist eine.

Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story zeichnet den Weg dieser Kunstfigur nach, von einem reinen Pseudonym auf dem Buchcover hin zu einem real auftretenden Menschen. Öffentliche Künstler, die gar keine sind, hat es zuvor klar auch schon gegeben. Milli Vanilli waren ein berühmtes Beispiel, die 1989/1990 zu einem Pop-Phänomen wurden und Millionen von Platten verkauften – bis sich herausstellte, dass die beiden Männer gar nicht selbst sangen. Der Fall LeRoy ist aber noch ein bisschen dreister, wenn sich eine Frau als Mann verkleidet, während die eigentliche Autorin nebendran sitzt und Interviewfragen beantwortet. Zumal das vermeintliche Wunderkind mit riesigem Hut und Sonnenbrille auch noch grotesk zurechtgemacht wurde.

Aus Freude an der Farce

Regisseur und Co-Autor Justin Kelly (King Cobra) scheint dann auch an genau diesem Aspekt besonders viel Freude zu haben. Er inszeniert die Geschichte um das Alter Ego als Farce, bei der nie ganz klar ist, warum sie nicht auffliegt. Zwischendurch gibt es zwar schon mal Situationen, in denen jemandem auffällt, dass irgendwas an der Sache nicht stimmt. Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story spielt da schon auch mit der Spannung, man wartet hier als Zuschauer und Zuschauerin nur darauf, dass das alles den Leuten um die Ohren fliegt. Aber irgendwie geht das dann doch alles gut, zumindest lange Zeit. Und wenn doch mal jemand auf die Absurdität einer Situation hinweist, etwa als ein Journalist klar sagt, dass LeRoy eine Frau ist, wird er von anderen verspottet. Wer die Wahrheit anspricht, der hat in dieser Kunstwelt das Nachsehen.

Daraus hätte man sicherlich einen interessanten Film über das menschliche Bedürfnis nach Geschichten machen können, sowohl auf das Zuhören wie auch das Erzählen bezogen. Die Medien haben in Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story schließlich einen großen Anteil daran, dass der falsche Protagonist zu einer solchen Sensation wurde. Anstatt nach der Wahrheit zu suchen, basteln sie selbst fleißig an dem Bild, bis irgendwann nicht mehr klar ist, wer dieses eigentlich entworfen hat. Der Anspruch auf Authentizität wird durch das kollektive Artifizielle ad absurdum geführt. Leider verfolgt Kelly dieses Thema aber nicht sonderlich weit. Er blickt nicht hinter die Farce, sondern begnügt sich mit einem Film, der ständig zu sagen scheint: „Ist das nicht alles ganz unglaublich hier?“

Sehenswertes Ensemble

Das macht dann schon auch Spaß. Das Drama, das als Abschlussfilm auf dem Toronto International Film Festival 2018 Weltpremiere feierte, profitiert dabei nicht nur von der wahnsinnigen Geschichte, die seinerzeit zu einem großen Skandal wurde. Es ist vor allem das Ensemble, welches den Film sehenswert macht. Laura Dern als ungehemmte und egozentrische Erzählerin ist dabei sicherlich die Auffälligste im Cast. Kontrastiert wird sie dabei von einer zurückhaltenden Kristen Stewart auf der Sinn- und Identitätssuche. Allein dafür lohnt sich schon ein Blick auf Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story. Trotzdem ist es schade, dass aus diesem spannenden Stoff nicht mehr wurde als ein vergleichsweise nichtssagendes Biopic, das weder so wild noch so bissig ist, wie es die Vorlage hergegeben hätte.

Credits

OT: „JT LeRoy“
Land: USA, UK, Kanada
Jahr: 2018
Regie: Justin Kelly
Drehbuch: Justin Kelly, Savannah Knoop
Vorlage: Savannah Knoop
Musik: Tim Kvasnosky
Kamera: Bobby Bukowski
Besetzung: Laura Dern, Kristen Stewart, Diane Kruger, Jim Sturgess, Kelvin Harrison Jr.

Bilder

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Eine Autorin versteckt sich hinter dem Pseudonym eines jungen Mannes und lässt irgendwann die Schwester ihres Partners in dessen Rolle schlüpfen. Die wahre Geschichte hinter „Zu schön um wahr zu sein – Die JT LeRoy Story“ ist schon wahnsinnig und greift das Thema auf, wie wir uns selbst zu einer Geschichte machen, aber auch welche Rolle das Publikum dabei spielt. So richtig viel wird aber nicht draus gemacht, trotz eines erstklassigen Ensembles ist das hier ein recht gewöhnliches Biopic geworden.
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