Gritt

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Inhalt / Kritik

Gritt
„Gritt“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Selbst- und Fremdwahrnehmung sind für Gritt (Birgitte Larsen) einfach nicht in Einklang zu bringen. Im Gespräch mit einer befreundeten Künstlerin, Marte (Marte Wexelsen Goksøyr), äußert Gritt jovial Ratschläge und kritisiert deren Projekt als zu persönlich bzw. zu unpolitisch. Kurz darauf stellt sich jedoch heraus, dass Gritt mehr oder weniger Martes Assistentin ist und sich nur ihretwegen überhaupt in den elitären Theaterkreisen bewegen kann. An kreativen Ideen mangelt es der eigenwilligen Einzelgängerin indes wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil: Sie plant ein großes (bzw. überambitioniertes bis größenwahnsinniges) Kunstprojekt mit dem Arbeitstitel „The White Inflammation“. Die Performance soll, nach Gritts Vorstellung, einem kollektiven Ritual ähneln und ein Zeichen gegen Bequemlichkeit und Apathie in der (westlichen) Welt setzen. Voller Tatendrang besucht Gritt Theatervorstellungen und sammelt dort Inspiration.

Selbst- und Fremdwahrnehmung

Von Beginn an muss man Gritts Selbstbewusstsein bewundern und über ihre Unbedarftheit den Kopf schütteln, durch die sie sich in eine (berufliche) Sackgasse manövriert hat. Das vielschichtige Spielfilmdebüt der norwegischen Autorenfilmerin Itonje Søimer Guttormsen begleitet die Titelheldin auf dieser Odyssee und macht die existenzielle Verzweiflung der Figur auch für das Publikum spürbar. Immer wieder werden auch Gedanken bzw. ihre politisch-künstlerischen Manifeste per voice-over dargelegt; mitunter auf Bildebene kontrastiert mit den banalsten Alltagsszenen, was dem Ganzen einen leicht ironischen Einschlag verleiht. Insgesamt aber nimmt der Film seine Hauptfigur und ihre Probleme sehr erst und versteht sich als (einziger) Verbündeter der jungen Frau. Diese enge Verbindung von Form und Inhalt äußert sich insbesondere in der Ästhetik: Die stets bewegliche, unstete Kameraführung in Kombination mit zahlreichen jump cuts spiegelt das rastlose, erratische Wesen der Hauptfigur wider. Dadurch, sowie durch weitere bewusst eingesetzte Stilmittel wie Unschärfe und Zooms, entsteht ein beinahe dokumentarischer Eindruck, der eine gewisse Komplizenschaft zwischen Figur und Publikum herstellt.

Kritik an der Kulturindustrie

Gritts großen Träumen wird allerdings alsbald ein jähes Ende bereitet, da der Förderantrag für ihre Performance vom Kultusministerium aus formellen Gründen abgelehnt wird. Spätestens hier eröffnet der Film eine größere, gesellschaftspolitische Ebene: Denn keineswegs scheitert Gritt nur an sich selbst; auch das gatekeeping der (größtenteils männlich dominierten) Kulturinstitutionen, die junge Frauen oftmals nicht ganz für voll nehmen, wird hier kritisch thematisiert. Die willkürlich erscheinenden Formalitäten und Konventionen der Kultur-Bürokratie verwehren Gritt die (finanzielle) Förderung und ihre hoch kreativen – wenn auch noch nicht ganz ausgereiften – Ideen stoßen auf taube Ohren. Das ist hier jedoch kein wehleidiges Anklagen eines Unrechts, sondern schlicht eine nüchterne Zustandsbeschreibung. Auch von ihrem privaten Umfeld, sofern sich Privat- und Berufsleben in diesem Fall überhaupt getrennt betrachten lassen, vermisst Gritt ein funktionierendes „support network“, das sie bei solchen Rückschlägen auffängt. Ihre Familie versteht ihren Lebensstil nicht; Gritt macht es den anderen allerdings auch nicht leicht.

Bei aller Wut und Frustration lässt sich Gritt jedoch nicht entmutigen und beginnt, bei einer norwegischen Theatergröße Lars (Lars Øyno, der hier sich selbst spielt) zu hospitieren. Der Job ist allerdings alles andere als glamourös; Gritt putz den Bühnenboden, kocht Kaffee und darf sich nur sehr begrenzt kreativ einbringen. Zu allem Überfluss ist Gritt inzwischen wohnungslos, wofür sie sich schämt, und muss zugleich mit ansehen, wie ihre Bekannte Marte von Erfolg zu Erfolg eilt. Gritt empfindet zwar ehrliche Hochachtung für Marte, neidet ihr aber zugleich ihren Erfolg, ihre Kontakte und ihre Zielstrebigkeit. In dieser tiefen emotionalen Krise bietet ihr der wohlwollende Lars seine Hilfe an und überträgt Gritt die Betreuung eines seiner Theaterprojekte. Das geplante Stück soll in Zusammenarbeit mit Geflüchteten entstehen, die ihre jeweiligen Fluchterfahrungen einbringen und verarbeiten. Zunächst scheint es, als würde Gritt diese sinnstiftende Arbeit guttun, doch auch hier kann sie sich wieder nicht von ihrer fixen Idee „The White Inflammation“ lösen und versucht krampfhaft, die beiden ungleichen Projekte zu verquicken.

Der Wunsch nach Anerkennung

Dass das kein gutes Ende nehmen kann, ist relativ klar. Gritts mangelnde Kompromissbereitschaft in Bezug auf ihre künstlerische Vision, so idealistisch und ehrenhaft sie auch sein mag, macht ihr wieder einmal einen Strich durch die Rechnung. Im krassen Gegensatz zu ihrem eigenen Rat zu Beginn des Films, stellt sie sich und ihre Selbstverwirklichung in den Fokus. Ihr alles überlagernder Wunsch nach Anerkennung und das unmöglich zu erreichende Ziel der Versöhnung von Theorie und Praxis, ihrer künstlerischen Ideale und dem „wahren Leben“, drohen sie zu erdrücken. Gritt zieht sich immer mehr von ihrer Umgebung zurück; schließlich auch geografisch, und macht in der freiwilligen Isolation vielleicht sogar ihren Frieden mit sich und der Welt. Man möchte es ihr von Herzen gönnen.

Credits

OT: „Gritt“
Land: Norwegen
Jahr: 2021
Regie: Itonje Søimer Guttormsen
Musik: Erik Ljungren
Kamera: Patrik Säfström
Besetzung: Birgitte Larsen, Marte Wexelsen Goksøyr, Lars Øyno, Andrine Sæther, Maria Grazia de Meo

Trailer

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„Gritt“ erzählt die Geschichte eines erratischen Freigeists, der an spießbürgerlicher Bürokratie und Konventionen scheitert und verzweifelt. Die Hauptfigur macht dabei kein einfaches Identifikationsangebot, doch die dokumentarisch anmutende, wenn auch durchaus fordernde Art der Inszenierung lässt das Publikum mit ihr mitfühlen. Die Erkenntnisse des Films gehen dabei über das persönliche Einzelschicksal hinaus und kritisieren die prekären Arbeitsbedingungen in der Kulturbranche und ihre Auswirkungen auf die Kulturschaffenden.
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