
Früher waren die Verhältnisse rund ums Ableben klar oder sagen wir: zumindest klarer geregelt. Starb ein Mensch, setzte eine religiöse Routine ein. In einer säkularen Welt, in der Gott und der Glaube an ein Leben nach dem Tod jedoch eine immer geringere Rolle spielen, greifen auch diese Routinen nicht mehr. Es entstehen Lücken, die von anderen, den Tod und die Trauer begleitenden Angeboten gefüllt werden. Und auch unser Verhältnis zum Tod selbst scheint sich verändert zu haben. Fragt man Menschen auf der Straße, so geben viele zu Protokoll, zwar Angst vor dem Sterben, aber keine Angst vor dem Tod zu haben. Wie kommt das? Wir leben in einer Welt, in der der Tod immer stärker an den Rand ge- und aus dem Alltag verdrängt wird, in der Unterhaltungskultur dafür omnipräsent ist, so die These des Regisseurs Moritz Terwesten. Worin wurzelt dieser Widerspruch? Wie stirbt man ohne Gott? Und ist die Angst vor dem Tod, aller gegenteiliger Behauptungen zum Trotz, nicht doch unausweichlich? Diese und weitere Fragen erörtert Terwesten mit verschiedenen Experten.
Ein kurzer Film über das Sterben
Eine bekannte Redewendung lautet wie folgt: „Umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben.“ Womit scherzhaft umschrieben wird, dass nichts in dieser Welt gratis ist, trifft umso mehr auf den Tod zu. Auch der kostet letztlich ja mehr als nur das Leben. Die sich daran anschließenden Bestattungskosten sind nicht gerade günstig. In Moritz Terwestens Dokumentarfilm geht es um alles drei, darum, was der Tod uns physisch, psychisch und pekuniär kostet. Vor allem aber geht es dem Regisseur um die Frage, wie wir mit dem Tod und der Angst vor ihm in unserer Gesellschaft umgehen.
Dafür hat Terwesten mehrere Menschen, allesamt übrigens (weiße) Männer, die sich in ihrer Arbeit auf die eine oder andere Weise mit dem Tod beschäftigen, aufgesucht. Die einen wie den Sozialpsychologen Sheldon Solomon, den Physiker Lawrence Krauss und den TV-bekannten Biologen und Forensiker Mark Benecke platziert er allein in der Einstellung, mit anderen wie dem Philosophen und Ethiker Franz Josef Wetz, dem Bestatter Eric Wrede, dem Regisseur Jörg Buttgereit (Nekromantik, Der Todesking) und dem Film- und Kulturkritiker Wolfgang M. Schmitt hat Terwesten gemeinsam vor der Kamera Platz genommen. Zu einem Dialog, den man sich als Zuschauer wünschen würde, kommt es trotzdem nicht. Viele drängende Fragen bleiben offen, weil Terwesten in entscheidenden, durchaus zu Widerspruch anregenden Momenten nicht nachhakt, sondern meist nur zustimmend zuhört. Stattdessen gibt er zwischendurch dann eigene Thesen zu Protokoll, hat sich also, wenn man so will, für seinen Dokumentarfilm auch selbst interviewt.
Mehr Gedankenaustausch als Philosophiestunde
Ästhetisch hat sich der Regisseur für Schwarz-Weiß entschieden, was seinem Film trotz unterschiedlicher Meinungen einen einheitlichen Look verleiht und der Bedeutung des Themas angemessen scheint. Zwischendurch wird der Film durch kleine, größtenteils analog entstandene Animationen aufgelockert, was wiederum gut zum Tenor des Films passt. Denn so bedrückend die Beschäftigung mit dem Tod allein schon aufgrund seiner Unausweichlichkeit sein könnte, die im Film interviewten Experten begegnen dem Thema mit geistreicher Leichtigkeit.
Fragen über Leben und Tod, über die die Philosophie seit Jahrtausenden streitet, wird selbstredend auch dieser Film, zumal nicht einmal 80 Minuten lang, nicht abschließend beantworten können. Dafür stellt er neben vielen bekannten und manchen banalen, auch einige spannende Thesen in den Raum und regt zum Nachdenken an. Die kurze Laufzeit ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits können viele Themen, zu denen neben dem Sterben unter anderem der Transhumanismus und alternative Bestattungs- und Trauerrituale zählen, in der Kürze der Zeit nur angeschnitten werden. Andererseits sorgt sie dafür, dass sich der Film nie wie eine langatmige Philosophiestunde anfühlt, sondern wie ein kurzweiliger Gedankenaustausch, den man im Anschluss an den Kinobesuch gern vertiefen möchte.
OT: „Sterben ohne Gott“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Moritz Terwesten
Drehbuch: Moritz Terwesten
Musik: Abdel Lamar, Salah Lamar
Kamera: Christopher Uhring
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