
Harri Bhavsar (Chaneil Kular) erlebt einen Albtraum, den er sich nie hätte vorstellen können: Er wird unschuldig für einen Terroristen gehalten, der einen Sprengstoffanschlag auf einen Londoner Bahnhof verübt hat. Nachdem er sich von seiner Freundin Chloe (Lauryn Ajufo) verabschiedet hat, um für einige Tage auf das Haus und den Hund seiner Eltern (Nila Aalia, Nitin Ganatra) aufzupassen, erfährt er per Push-Nachricht von einer Explosion an dem Bahnhof, den er gerade verlassen hat. Ein erster Schock, doch was folgt, ist weitaus schlimmer. Ein Fahndungsfoto des mutmaßlichen Täters kursiert online – und Harris Freundin scherzt noch darüber, dass er dem Verdächtigen ähnlich sehe. Doch aus diesem vermeintlich harmlosen Kommentar wird bitterer Ernst, als eine ehemalige Schulkameradin den Verdächtigen auf dem Bild identifiziert: Es sei Harri. Sein Name wird veröffentlicht, und das Internet beginnt seine gnadenlose Arbeit. Binnen kürzester Zeit gerät Harri ins Fadenkreuz eines digitalen Mobs. Drohungen erreichen ihn, Hassnachrichten überschütten seine Accounts, und als sein Aufenthaltsort bekannt wird, eskaliert die Situation auch in der realen Welt. Harri ist gefangen – im Haus seiner Eltern und in einem Netz aus Lügen und Vorverurteilungen.
Die Dynamik einer digitalen Hexenjagd
Philip Barantini, der mit Yes, Chef! einen Blick hinter die Kulissen eines Sterne-Restaurant als One-Shot-Film inszenierte, verzichtet diesmal auf derlei formale Kunstgriffe. Dennoch zeigt er auch in Accused – Tödliche Ähnlichkeit eine eigene inszenatorische Handschrift, insbesondere in der Darstellung der Online-Welt. Social-Media-Posts und Chatverläufe werden visuell clever in die Handlung eingebaut, statt bloß auf Bildschirmen präsentiert zu werden. So entsteht eine Atmosphäre, die die wachsende Bedrohung greifbar macht.
Großen Anteil an der Spannung hat die Montage, für die erneut Alex Fountain verantwortlich ist. Während in Yes, Chef! der Reiz in der völligen Abwesenheit sichtbarer Schnitte lag, arbeitet er hier geschickt mit der Kontrastierung von Online- und Offline-Welt. Die digitale Hatz gegen Harri läuft parallel zu seinem physischen Rückzug in das elterliche Haus, das sich von einem sicheren Zufluchtsort in eine düstere Falle verwandelt. Jede neue Nachricht, jede Benachrichtigung verstärkt das Gefühl der Beklemmung.
Starke erste Hälfte
In der ersten Filmhälfte entwickelt sich eine immense Identifikation mit Harri. Chaneil Kular, bekannt als Anwar aus der Serie Sex Education, trägt den Film fast im Alleingang. Seine physische Präsenz und die überzeugende Darstellung von Angst, Verzweiflung und Wut lassen das Publikum in seine Situation eintauchen. Die Entscheidung, sich lange auf das Haus seiner Eltern als einzigen Handlungsort zu beschränken, verstärkt die Intensität der Erzählung. Doch genau in dem Moment, in dem der Film die Schwelle zur realen Gewalt überschreitet, verliert er an Raffinesse. Während die digitale Hetzjagd beklemmend realistisch inszeniert ist, wirkt die physische Bedrohung, die schließlich auf Harri hereinbricht, formelhafter. Die Spannung, die sich über weite Strecken des Films meisterhaft aufbaut, wird im letzten Drittel durch konventionelle Horror- und Thriller-Elemente ersetzt, die dem zuvor gesehenen nicht gerecht werden. Das Finale bleibt schließlich auch hinter den Erwartungen zurück: Fragen bleiben unbeantwortet, mögliche Konflikte werden zu schnell aufgelöst oder gar nicht erst weiter verfolgt.
Trotz dieser Schwächen ist Accused – Tödliche Ähnlichkeit ein aufwühlender Film, der einen wichtigen Nerv der Zeit trifft. Er zeigt, wie leicht sich Falschinformationen verbreiten und welche fatalen Folgen es haben kann, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr zwischen Verdacht und Gewissheit unterscheidet. Die Online-Welt wird zur parallelen Realität, in der Moral und Wahrheitsfindung sekundär werden. Philip Barantini beweist erneut sein Gespür für beklemmende soziale Dramen. Auch wenn Accused – Tödliche Ähnlichkeit nicht die inszenatorische Brillanz von Yes, Chef! erreicht, ist es ein sehenswerter Film – und vielleicht auch den einen oder anderen Zuschauer dazu bringt, das nächste vorschnelle Urteil im Netz zu überdenken.
OT: „Accused“
Land: UK
Jahr: 2023
Regie: Philip Barantini
Drehbuch: Barnaby Boulton, James Cummings
Musik: Aaron May, David Ridley
Kamera: Matthew Lewis
Besetzung: Chaneil Kular, Robbie O’Neill, Jay Johnson, Lauryn Ajufo, Frances Tomelty, Nitin Ganatra, Nila Aalia, Kimberley Marren
Amazon (DVD „Accused – Tödliche Ähnlichkeit“)
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