Jakob Mader (Cast), Adrian Goiginger (Regie), Harald Windisch (Cast) bei der Deutschland-Premiere von "Märzengrund" beim Filmfest München (© Filmfest München / Bojan Ritan)

Adrian Goiginger [Interview 2022]

Adrian Goiginger erzählt in Märzengrund (Kinostart: 25. August 2022) die Geschichte eines Aussteigers,  der seine Freiheit in der österreichischen Natur sucht. Inwiefern persönliche Ansichten in sein Drama hineingeflossen sind und inwieweit dieser Film mit beispielsweise Into The Wild vergleichbar ist, fragten wir den Regisseur einmal ganz persönlich im Gespräch bei der Deutschlandpremiere während des Filmfest München 2022.

Was war die Intention hinter der Filmproduktion, wo doch das Drehbuch auf einem Theaterstück basiert?

Das Projekt wurde an mich herangetragen durch den Produzenten Michael Cencig und wir wollten erkunden, warum ein Mensch sein ganzes Leben hinter sich lässt, obwohl er materiell alles hat. Er ist der einzige Sohn vom reichsten Bauern im Zillertal und er lässt alles hinter sich und sucht dann die Freiheit auf den Bergen – die wahre Geschichte war einfach sehr reizvoll in meinen Augen. Hierbei spielt aber auch natürlich die Heimat eine Rolle, denn ich bin ein totaler Berg-Mensch. Ich spielte früher manchmal auch mit dem Gedanken, einfach wegzugehen und alles hinter mir zu lassen. Dadurch, dass das nur bei der Vorstellung blieb, hatte ich mit Märzengrund aber eine tolle Gelegenheit, dies einmal filmisch aufzuarbeiten.

Haben Sie eine persönliche Note in das Drehbuch miteinfließen lassen bzw. mit dem Co-Autor Felix Mitterer einige Sachen geändert?

Wir haben da schon einiges geändert, da sich das Theaterstück sehr stark auf die Figuren und Dialoge konzentriert. Interessanterweise hatte Mitterer, der Autor der Vorlage, diese Geschichte aber immer als Film im Kopf. Wir haben uns viel mehr auf das Visuelle fokussiert. Riesengroße Berge und beispielsweise auch die eine Lawine schaffen so einfach eine viel ausdrucksstärkere Atmosphäre. Die Natur, die mit Weitwinkel etc. festgehalten wird, die wird so zu einem regelrechten Hauptdarsteller, darum ging es mir von Anfang an.

Der Film ist zu Beginn in den 60er Jahren angesetzt. Warum ausgerechnet diese Zeit?

Das ist einfach die wahre Geschichte, die zu dieser Zeit im Zillertal in Tirol stattfand. Ich habe mich da eins zu eins einfach an die realen Begebenheiten gehalten.

Ist der Film nicht in gewisser Weise zeitlos?

Der Protagonist Elias, der würde ja sagen: Die Zeit die gibt es nicht. Aber ja, da ist natürlich etwas dran, da ich immer versuche Filme zu machen, die auch in ein paar Jahren noch funktionieren. Das Ausbrechen aus der Zivilisation und der Drang, alles hinter sich zu lassen, das ist schon ein universelles Thema, schon vor 100 Jahren, wie auch heute noch. Vielleicht wird es sogar noch bedeutsamer, gerade durch die mediale Dauerbeschallung, die wir heutzutage erleben.

Angenommen man würde den Film in die Gegenwart übertragen, was würde sich ihrer Meinung nach ändern?

Eine gute Frage. Wahrscheinlich würde das in Österreich heutzutage noch sehr viel schwieriger funktionieren, da der Tourismus an jeder Ecke vorhanden ist und sich immer weiter ausbreitet. Jedes Jahr kommen noch mehr Wege und Lifte hinzu, wodurch man erst einmal einen Punkt finden müsste, an dem man alleine abschalten kann. Auf der anderen Seite glaube ich aber, dass ein heutiger Elias sehr viel schneller von allem Abstand nehmen würde, gerade weil wir im Zeitalter von Social-Media leben und viele Menschen erkennen, dass dieser ständige Vergleich mit anderen Menschen nicht glücklich macht, im Gegenteil. Vor dem Hintergrund könnte ich mir vorstellen, dass man heutzutage sehr viel schneller alles hinter sich lassen kann.

Wir erleben im Film die Transformation eines Individuums. Ist dies das Kernstück bzw. die Essenz oder geht es in erster Linie um etwas anderes?

Für mich ist die Geschichte offen für Interpretationen. Ich würde sagen es geht darum, dass man den Sinn des Lebens oder die absolute Freiheit nicht auf der Erde finden kann. Die Essenz besteht meiner Meinung nach in der Suche nach Freiheit und Wahrheit. Während beispielsweise Into The Wild die Suche nach Wahrheit thematisiert, so geht Märzengrund mehr in die Richtung Freiheit.

Der alte Elias macht streckenweise den Eindruck, dass ihm im Leben etwas fehlt. Was käme Ihrer Meinung nach hierbei am ehesten infrage?

Das tragische bei der Geschichte ist, dass Elias nie eine tiefe menschliche Verbindung zu jemanden aufbauen konnte. Der echte Elias, der trauerte ja sowohl einer romantischen Beziehung als auch einer familiären Beziehung nach, da ihn keiner verstanden hat. Die romantische Liebe als auch die Liebe zu den Eltern könnte man also hier schon anbringen. Ich denke aber, dass das ein wichtiger Punkt war, denn nur wegen dieser Distanziertheit konnte er mit seiner Vergangenheit so schnell abschließen.

Im Zeitalter von digitaler Massenbeschallung möchten Sie mit ihrem Werk auch ein Stück weit für eine digitale Auszeit appellieren?

Eher weniger, da das belehrend wirkt. Ich denke aber, dass viele Menschen solche Sehnsüchte wie Elias haben und auch erkennen, was Social-Media mit uns anstellt. Wenn ich merke, dass bei Menschen, die den Film geschaut haben, die Sehnsucht oder der Drang nach Natur oder direkt Berglandschaften geweckt wird, dann erfreut mich das aber schon.

Märzengrund erinnert teilweise an Into The Wild und auch an The Tree of Life – nicht nur wegen der fantastischen Bilder sondern auch z.B. in Hinblick auf den großen Zeitsprung. Haben Sie sich an diesen Werken filmisch ein wenig orientiert und inwiefern orientieren sie sich generell an anderen Filmen?

Das freut mich natürlich, wenn jemand, der sich mit Filmen auskennt, diese Vorbilder direkt erkennt (lacht). Tatsächlich habe ich mich an genau diesen zwei Filmen orientiert, bei Into The Wild in puncto Charakterzeichnung und bei Tree of Life mehr in Richtung der visuellen Gestaltung. Mittlerweile sage ich, dass der Film sogar noch ein wenig radikaler hätte sein können. Also mehr Tree of Life und mehr Weitwinkel hätten Märzengrund meiner Meinung nach nicht geschadet. Gerade die Kameraarbeit in Terence Malick-Filmen finde ich immer sehr toll, deswegen habe ich da auch ein Faible für solche Bilder, die ich auch in meinem neuen Film, Der Fuchs, der nächstes Jahr erscheinen wird, wieder aufgreifen möchte.

In Tree of Life wird mit Kommentaren aus dem Off, um die Gedanken der Figuren festzuhalten, nicht gespart. In Märzengrund ist eher das Gegenteil der Fall, denn nur ab und zu gibt es hier einen Off-Sprecher. Führt dies nicht ein wenig dazu, dass die Gedanken von Elias ein Rätsel bleiben?

Natürlich, wobei das nichts Schlechtes meiner Meinung nach ist. Wir hatten ursprünglich tatsächlich ein paar mehr Off-Kommentare eingebaut, die wir dann aber wieder rausgenommen haben. Ich finde, es braucht so viele Off-Kommentare gar nicht unbedingt, da besonders der Schauspieler des alten Elias ganz fantastisch spielt und er stets so einen großartigen Ausdruck und eine tolle Präsenz in den Augen mitbringt. Ich bin daher wirklich ein großer Fan von Johannes Krisch, dem Schauspieler des alten Elias. Diese Verletzlichkeit, die dadurch an die Oberfläche dringt, braucht meiner Meinung nach also gar keinen Off-Sprecher, um die Gedanken festzuhalten. Etwas Rätsel ist sogar gut!

Die beste aller Welten trägt autobiografische Züge, ist dies bei Märzengrund ein wenig ähnlich? Und wie stark spielt dieser Faktor bei der Auswahl ihrer Filmprojekte auch in Zukunft eine Rolle?

Märzengrund ist nicht autobiographisch aber trägt durch die Sehnsucht nach Natur schon eine kleine persönliche Note von mir in sich. Ich würde das aber gar nicht so sehr auf meine Person beziehen, da jeder Mensch sich ja damit mehr oder weniger identifizieren kann, gerade wenn man sagt, man hat die Schnauze von der Gesellschaft voll. Da ich aber sehr arm aufgewachsen bin, gab es schon eine Sehnsucht nach so einem Leben, welches Elias erlebte. Mein nächster Film, Der Fuchs, wird aber auch wieder biografischer Natur sein, denn hier will ich die Geschichte meines Urgroßvaters im Krieg auf die Leinwand bringen. Biografische Aspekte werden bei meinen Filmen daher immer irgendwo ein Rolle spielen, auch wenn ich bei meinen übernächsten Film in Richtung Komödie gehen will und der wahrscheinlich ganz anders sein wird als die vorherigen.

Vielen Dank für das tolle Gespräch!

(c) Patrick Langwallner

Zur Person
Adrian Goiginger (geb. 22. Februar 1991 in Salzburg) ist ein österreichischer Filmemacher. Sein Langfilm Die beste aller Welten wurde bei der Berlinale 2017 mit dem Kompass-Perspektive-Preis ausgezeichnet.



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