Wittgenstein
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Wittgenstein

Wittgenstein
„Wittgenstein“ // Deutschland-Start: 10. Februar 1994 (Kino) // 11. Februar 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Als Sohn einer reichen, jüdischen Industriellenfamilie soll der junge Ludwig Wittgenstein (Clancy Chassay) eigentlich  das Erbe übernehmen und ebenfalls in die Wirtschaft gehen. Jedoch zeigen sich früh im Kind wie auch im jungen Mann (dann gespielt von Karl Johnson) Züge, sich von diesem Erbe zu distanzieren, zunächst nur geografisch, beispielsweise durch sein Studium der Philosophie in England, doch nicht zuletzt auch auf emotionaler Ebene. In Cambridge besucht er die Vorlesungen des Philosophen Bertrand Russell (Michael Gough), der in dem eigenwilligen Denker als Erster jemanden erkennt, der gefördert werden muss. Zugleich entdeckt Wittgenstein seine Homosexualität, sieht sich aber durch den Umgang mit Intellektuellen immer mehr in einer Sackgasse, scheint es ihm doch unmöglich zu arbeiten oder gar seine Idee zu entwickeln. Zum Entsetzen seiner Familie wie auch Russells lässt er sich in Finnland nieder, wo er in völliger Einsamkeit seiner Arbeit nachgeht, und verpflichtet sich später als Soldat im Ersten Weltkrieg. In Gefangenschaft dann schreibt er an seinem ersten philosophischen Werk, dem Tractatus, einem radikalen Werk, welches mit den Normen der Philosophie bricht und welches er selbst veröffentlicht.

Reine Logik

Ursprünglich gedacht als ein Beitrag zu einer Filmreihe über berühmte Philosophen, ihr Leben und ihr Werk, gehört Derek Jarmans Wittgenstein vielleicht gerade wegen seiner Eigenwilligkeit zu den interessantesten Beiträgen der Reihe, von der letztlich nur vier Drehbücher auch verfilmt wurden. Ähnlich an seiner Herangehensweise bei Caravaggio geht es Jarman und Koautor Ken Butler mitnichten um eine chronologische Aneinanderreihung von Lebensstationen, sodass sich ihre Fassung des Skripts drastisch von Terry Eagletons ursprünglicher Idee unterscheidet. Schon alleine der Essay zu Beginn der finalen Version kündigt an, worum es Butler und Jarman ging, nämlich um Logik, wie es der Regisseur beschreibt.

Der Vergleich zu Caravaggio lohnt sich in vielerlei Hinsicht, wenn es um Jarmans Herangehensweise bei Wittgenstein geht. Abermals ist es nicht die Abbildung einer historischen Realität, welche im Fokus steht, auch wenn diese immer wieder durchscheint, beispielsweise in den Kostümen oder einzelnen Requisiten, sondern die Auslegung dieser Realität. Dies muss auf zweierlei Weise verstanden werden, verweist diese Idee doch auf die Gedankenwelt Ludwig Wittgensteins sowie die Sichtweise des Künstlers, in diesem Falle Jarmans, auf den Philosophen und dessen Werk. Beide Perspektiven vermischen sich in Wittgenstein, der zwischen den einzelnen Lebensstationen des Philosophen springt, Wittgenstein als Kind und als Erwachsener in einer Szene zeigt und schließlich Aspekte, dessen Biografie in den Vordergrund rückt, die bei Eagletons Drehbuch nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, wie beispielsweise Wittgensteins Homosexualität. Teils mag dies für den Zuschauer ebenso kryptisch anmuten wie die Ausführungen des historischen Wittgensteins, doch paradoxerweise kommt dies dem Wesen von dessen Ideenwelt bisweilen näher als es ein handelsübliches Biopic hätte tun können.

Anti-Biografie

Abermals inszeniert Derek Jarman also gewissermaßen eine „Anti-Biografie“, bei welcher die Interpretation einer Person sowie dessen Werk eine viel gewichtigere Rolle spielt. Dabei verzichtet der Regisseur, wie schon in seinen vorherigen Filmen, auf detailverliebte Sets und setzt auf einen formalen Minimalismus, welcher den Fokus immer wieder auf die Figuren setzt. Insbesondere Karl Johnson überzeugt als erwachsener Ludwig Wittgenstein, der im ständigen Streit mit sich und der Welt zu sein scheint. Gezwungen, sich den Sitten und Erwartungshaltungen seiner Umwelt irgendwie anzunähern, distanziert er sich immer weiter, findet Zuflucht in den Armen seines Liebhabers und in der Dunkelheit des Kinos, wobei sein Faible dem Spielfilm, weniger aber den Wochenschauen gilt, die ihn aus der Fantasiewelt des Filmes herauswerfen.

Credits

OT: „Wittgenstein“
Land: UK, Japan
Jahr: 1993
Regie: Derek Jarman
Drehbuch: Terry Eagleton, Ken Butler, Derek Jarman
Musik: Jan Latham-Koenig
Kamera: James Welland
Besetzung: Karl Johnson, Clancy Chassay, Michael Gough, Tilda Swinton

Bilder

Trailer

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Wittgenstein
Fazit
„Wittgenstein“ ist eine sehr eigenwillige Mischung aus Komödie und Drama. Derek Jarman erzählt auf eine Weise, die Biografisches mit Interpretation mischt, von dem großen Philosophen Ludwig Wittgenstein, indem er den Fokus auf die Darsteller legt. Der Zuschauer wird sich auf dieses Experiment einlassen müssen, genauso wie auf die Möglichkeit, dies abzulehnen.
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