Vater Otac
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Inhalt / Kritik

Vater Otac
„Vater – Otac“ // Deutschland-Start: 2. Dezember 2021 (Kino)

Nikola (Goran Bogdan) wurde vor zwei Jahren entlassen, hat aber noch immer nicht den ausstehenden Lohn und die versprochene Abfindung erhalten. Das hat Folgen: Die Kindern hungern, der Vater findet nur Gelegenheitsjobs, die Familie ist am Ende. Nikolas verzweifelte Frau Biljana (Nada Šargin) greift zu fatalen Mitteln. Als sie nicht zum Direktor der ehemaligen Fabrik ihres Mannes vorgelassen wird, übergießt sie sich mit Benzin und zündet sich an, als Zeichen ihrer ohnmächtigen Wut. Sie überlebt schwer verletzt, aber nun fängt das Drama erst an. Der Leiter des Jugendamtes (Boris Isaković) gibt die Kinder in eine Pflegefamilie, weil der Vater zu arm sei, um für sie sorgen zu können, und die Mutter längere Zeit im Krankenhaus bleiben müsse. Nun schreitet Nikola zur Tat, weniger selbstzerstörerisch, aber ebenso radikal. Er läuft 300 Kilometer zu Fuß nach Belgrad, um dem zuständigen Minister persönlich einen Beschwerdebrief zu übergeben.

Basierend auf wahrer Begebenheit

Um die auf einem wahren Fall beruhende Geschichte für glaubwürdig halten zu können, muss man in das Gesicht des Hauptdarstellers schauen. Goran Bogdans Figur verzieht keine Miene angesichts der Hiobsbotschaften, die auf ihn einprasseln. Aber etwas verändert sich bei seinen beiden Besuchen im Jugendamt. Beim ersten Mal hält er den Kopf gesenkt, scheint stur einen Punkt am Boden zu fixieren, schicksalsergeben wie ein Schaf. Zwei Tage später erscheint seine Miene genauso unbeweglich, aber tief im Innern kommt etwas in Bewegung, das nur seine Augen verraten: Zorn, Kampfgeist, Entschlossenheit.

Das Drehbuch, das der Regisseur Srdan Golubović (Circles) zusammen mit dem Kroaten Ognjen Sviličić geschrieben hat, lässt keinen Zweifel an der Qual des fünftägigen Fußmarschs. Blutige Füße, Übernachtungen auf nacktem Waldboden, Erschöpfung bis zum Zusammenbruch. Doch die meist statische Kamera von Aleksandar Ilić gibt sich mit dem dokumentarischen Realismus verfallender Fabriken, verrottender Tankstellen und aufgegebener Bushäuschen nicht zufrieden. Die Art der Blickwinkel, die Ausschnitte und die Ruhe der Einstelllungen erschaffen eine zweite Ebene, insbesondere in den Naturaufnahmen. Sie strahlen etwas Tröstliches aus. Sogar die Wölfe, die der Wanderer überraschend trifft, haben Respekt vor dem Durchhaltewillen des sanften Heiligen.

Einmal bittet der Wanderer einen Tankwart, ihn irgendwo in einer Ecke der Station schlafen zu lassen. Der Mann ist freundlich und hilfsbereit. Er fragt Nikola, ob er derjenige sei, von dessen Marsch nach Belgrad inzwischen die Zeitungen berichten, weil der Fall in seinem Dorf und darüber hinaus so viel Aufsehen erregte. Nein, antwortet Nikola wahrheitswidrig. Der Fußgänger will kein Held sein, er möchte weder auf soziale Missstände aufmerksam machen noch eine Rebellion gegen Vetternwirtschaft anzetteln. Er will einfach nur seine Kinder wiederhaben.

Humanistische Botschaft

In diesem Zusammenhang schafft der Film etwas Wunderbares: Er lässt dem Mann seine begrenzten Ziele und feiert ihn dennoch – unausgesprochen – als humanen, politischen und vielleicht auch religiösen Helden. Ganz einfach dadurch, dass die Kamera nicht von seiner Seite weicht, dass sie mit ihm die gesellschaftlichen Verwerfungen durchwandert, ohne mit dem Zeigefinder auf sie zu deuten. Nie verlassen die Filmbilder die naturalistische Ebene. Sie zeigen keine Tagträume, keine Halluzinationen und auch keine On-the-Road-Romantik. Trotzdem öffnet Vater – Otac eine weitere Dimension inmitten des Realismus. Vielleicht deshalb, weil das beständige, monotone, ermüdende Gehen den Zuschauer in eine dafür empfängliche Stimmung versetzt. Wird hier nicht auch eine Heiligenlegende erzählt? Klingen da nicht christliche Motive an? Handeln die Bilder nicht von einer Welt, in der das Wünschen noch hilft? In der man nicht verzweifeln muss, weil es den einen gibt, der das Richtige tut, weil er auf sein Herz hört?

Credits

OT: „Otac“
Land: Serbien, Frankreich, Deutschland, Slowenien, Kroatien, Bosnien
Jahr: 2020
Regie: Srdan Golubović
Drehbuch: Srdan Golubović, Ognjen Sviličić
Musik: Mario Schneider
Kamera: Aleksandar Ilic
Besetzung: Goran Bogdan, Boris Isaković, Nada Šargin, Milica Janevski, Muharem Hamzić, Ajla Šantić

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Europäischer Filmpreis 2020 Bester Hauptdarsteller Goran Bogdan Nominierung

Filmfeste

Berlinale 2020

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„Vater – Otac“ gewann bei der Berlinale 2020 den Publikumspreis der Sektion Panorama, trotz der Tristesse des postsozialistischen Serbiens. Aber Regisseur Srdan Golubović setzt die Geschichte so betörend und hypnotisch in Szene, dass inmitten des harten Realismus eine wunderbar optimistische und berührende Botschaft aufscheint.
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