Das blutrote Kleid In Fabric
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Das blutrote Kleid

Inhalt / Kritik

Das blutrote Kleid
„Das blutrote Kleid“ // Deutschland-Start: 27. Mai 2021 (DVD/Blu-ray)

Seit ihrer Scheidung lebt die Bankangestellte Sheila (Marianne Jean-Baptiste) alleine mit ihrem Sohn Vince (Jaygann Ayeh). Richtig toll ist das Leben nicht. Immer wieder muss sie sich bei der Arbeit absurde Vorwürfe gefallen lassen. Und auch Vince macht ihr die Situation nicht unbedingt leicht – von dessen neuer Freundin Gwen (Gwendoline Christie), die bei ihnen ein und aus geht, ganz zu schweigen. Als sie in einem Luxuskaufhaus im Schlussverkauf ein rotes Abendkleid entdeckt, beschließt sie deshalb zuzugreifen. Sie braucht ohnehin eine neue Garderobe für ein geplantes Date. Warum sich da nicht einmal etwas richtig Schönes gönnen? Aber schon bald beginnt sie, diesen Kauf zu hinterfragen. Denn irgendetwas stimmt nicht damit, immer wieder kommt es zu unerklärlichen Ereignissen …

Der besondere Horror

So richtig oft dreht Peter Strickland ja leider keine Filme. Dafür darf man sich jedes Mal auf etwas ganz Besonderes freuen. Erst bescherte er uns mit Katalin Varga eine traumartige Rachethriller-Variante. Im Horrorfilm Berberian Sound Studio schwelgte er in akustischen Giallo-Alpträumen. Duke of Burgundy wiederum blickte in die Mechanismen einer ungewöhnlichen Frauenbeziehung, bei der ebenfalls vieles nicht das ist, was es zu sein scheint. Anschließend dauerte es einige Jahre, bis sich der Brite mit seinem vierten und derzeit letzten Langfilm In Fabric zurückmeldete. Noch einmal zweieinhalb Jahre hieß es im Anschluss warten, bis dieser, nun unter dem Titel Das blutrote Kleid, nach diversen Festivalteilnahmen regulär bei uns erscheint.

Aber die Wartezeit hat sich rentiert, zumindest für ein Publikum, das etwas andere Genrefilme zu schätzen weiß. Die Merkmale von Stricklands bisherigen Werken sind dabei erhalten geblieben. Da wäre zum einen die betont unwirkliche Atmosphäre, welche bereits die ersten drei Langfilme prägte. Selbst bei den anfänglichen Szenen, in denen noch gar nichts wirklich geschieht, lassen einen spüren, dass da etwas nicht ganz stimmt. Vor allem ab dem Zeitpunkt, wenn Sheila einen Fuß in das Kaufhaus setzt und die sonderbare Miss Luckmoore (Fatma Mohamed) trifft, gewinnt Das blutrote Kleid eine surreale Note. Offen bleibt dabei nur, ob die Menschen von sich aus eigenartig sind, oder ob der begehrte Stoff diesen Einfluss auf sie hat.

Luxus als Fetisch

Antworten braucht man sich von dem Film ohnehin nicht zu erhoffen. Selbst wenn Strickland zwischendurch ein wenig über die Vorgeschichte oder Hintergründe spricht, für richtig viel Klarheit sorgt das nicht. Das blutrote Kleid bleibt selbst dann ein Werk der Bilder und Assoziationen, weniger des Wortes. Das bedeutet jedoch nicht, dass der vornehme Horror, der auf dem Toronto International Film Festival 2018 Weltpremiere hatte, nichts zu sagen hätte. Da steckt durchaus einiges an Inhalt darin, sogar mehr als in früheren Werken. Vor allem die Ausführungen des Regisseurs und Drehbuchautors zu einer Konsumgesellschaft und einer Fetischisierung von Luxus sind kaum zu übersehen. Ich kaufe, also bin ich. Manchmal komme ich dabei auch.

Das ist besonders in der ersten Hälfte zu beobachten, in der es um Sheila geht. Die müht sich durchs Leben, verspottet von den Arbeitgebern, ignoriert vom Sohn, verachtet von dessen Freundin. Sie ist ein Niemand, der trotz allem höflich bleibt und irgendwie hofft, damit heil durch die Welt zu kommen – was nicht funktioniert. Das Kleid ist für sie damit mehr als nur eine Fassade, mit der sie sich bei dem geplanten Date schmücken kann. Das blutrote Kleid inszeniert es als das Tor zu einer anderen Welt. Die Sehnsucht der alleinstehenden, einfachen Frau, etwas Besonderes zu sein oder wenigstens tatsächlich wahrgenommen zu werden, lässt sie zu einem willigen Opfer werden für etwas, das von einer solchen Sehnsucht lebt. Ein typisches verfluchtes Objekt eben.

Ein Genuss für ein offenes Publikum

Ob es noch unbedingt eine zweite Hälfte gebraucht hätte, in der Reg Speaks (Leo Bill) und Babs (Hayley Squires) im Mittelpunkt stehen, darüber kann man sich streiten. Thematisch bringt es den Film nicht sonderlich voran. Auch bei der Inszenierung kommt es zu keinen nennenswerten Neuerungen. Zudem ist der Film mit einer Laufzeit von zwei Stunden schon am oberen Limit. Dafür darf man sich auf ein furioses Finale freuen, bei dem Strickland der Geschichte noch einmal besonders einheizt. So oder so ist Das blutrote Kleid der Abstieg in eine sehr sinnliche Hölle, in der man sich vor lauter Staunen zunehmend verliert. Wer bei Horrorfilmen darauf verzichten kann, dass die Handlung das Geschehen dominiert, sollte sich einmal diese stärker Arthouse ausgerichtete Variante anschauen. Denn zu sehen gibt es hier jede Menge.

Credits

OT: „In Fabric“
Land: UK
Jahr: 2018
Regie: Peter Strickland
Drehbuch: Peter Strickland
Musik: Cavern of Anti-Matter
Kamera: Ari Wegner
Besetzung: Marianne Jean-Baptiste, Jaygann Ayeh, Gwendoline Christie, Fatma Mohamed, Barry Adamson, Leo Bill, Hayley Squires

Bilder

Trailer

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In „Das blutrote Kleid“ kauft sich eine von allen Seiten missachtete oder unterdrückte ein Kleid, in der Hoffnung, dadurch jemand zu werden. Stattdessen erlebt sie einen absoluten Alptraum. Der ist wie immer bei Peter Strickland schön anzusehen und atmosphärisch. Die Handlung ist bei dem Horrorfilm eher überschaubar. Vielmehr erwartet das Publikum eine sinnliche Hölle, aus der es kein Entkommen gibt.
8
von 10