Mit der Faust in die Welt schlagen
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Mit der Faust in die Welt schlagen

Mit der Faust in die Welt schlagen
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ // Deutschland-Start: 3. April 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Der sommerliche Familienausflug verheißt glückliche Tage: Nach dem Baden am See radeln der zwölfjährige Philipp (Anton Franke) und sein drei Jahre jüngerer Bruder Tobi (Camille Moltzen) mit Mutter Sabine (Anja Schneider) vergnügt nach Hause. Es scheint aufwärts zu gehen in der Oberlausitz rund 17 Jahre nach der Wende. Aber schon die Badeszene verrät einen Riss in der Familie. Vater Stefan (Christian Näthe) ist nicht dabei. Die Gründe für die fortschreitende Entfremdung zwischen den Eltern erschließen sich den Kindern wie auch dem Publikum erst nach und nach in der alltagsnahen, aus Kindersicht gedrehten Erinnerung an die Verwerfungen im Nachwendeleben der ehemaligen DDR.

Ein wandelndes Gespenst

Zum familiären Nestbau gehört in Ost wie West oft der Hausbau. Auch Elektriker Stefan will seiner Frau und seinen Kindern ein trautes Heim bieten. Fünf Jahre lang hat er daran geschuftet, fast alles in Eigenarbeit geleistet. Aber Ehefrau Sabine, die als Krankenschwester mit ihren Nachtschichten nicht unerheblich zum Familieneinkommen beiträgt, hält ihrem Mann vor allem sein Versagen vor. Zum Beispiel, als Stefan stolz die Elektrik vorführen will. Das Licht geht kurz an, flackert dann aber und erlischt. Der Mann, dessen Alkoholproblem wie im Vorbeigehen angedeutet wird, muss seinen ehemaligen Arbeitskollegen Uwe (Meinhard Neumann) um Hilfe bei den Stromleitungen bitten, eine traurige, heruntergekommene Gestalt, ebenfalls mit Eheproblemen und Hang zur Flasche, aber anders als Stefan inzwischen ohne festes Einkommen. Uwe taucht manchmal wie ein Gespenst vor der intensiven Kamera von Florian Brückner auf. Er ist das Menetekel, das wie eine Warnung über den Leuten im Osten schwebt. Die Zeiten des Umbruchs verlangen allen viel ab, manchmal zu viel. Jeder kann so scheitern und zerbrechen wie Uwe.

Regisseurin Constanze Klaue (Jahrgang 1985), die auch als Schriftstellerin tätig ist, verarbeitet in ihrem Langfilmdebüt nicht nur den gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, sondern auch eigene Erfahrungen aus der Nachwendezeit. Es sei „fast unheimlich, wie sich manche Geschichten decken, manche Details übereinstimmen, ohne zuvor jemals voneinander gewusst zu haben“, sagt sie im Interview für das Presseheft. Sie konnte deshalb recht frei mit der Vorlage umgehen, von der sie vor allem das Handlungsgerüst übernimmt, um es mit persönlichen Erlebnissen anzureichern. Wie der Roman will auch der Film die Geschichte von Kindern erzählen, deren Eltern durch Identitätsbrüche, vergebliche Arbeitssuche und vorübergehende Aushilfsjobs im Westen nicht für ihre Söhne und Töchter da sein konnten. Und wie sich Väter und Mütter stattdessen in Alkohol und Affären flüchteten. Was das für die Persönlichkeitsentwicklung Heranwachsender bedeutet und warum es den Boden für rechtsextremes Gedankengut bereitet, ist das leider wieder höchst aktuelle Thema des Films.

Ungeschützte Kinderseelen

Sehr zu seinem Vorteil konstruiert der Mix aus Sozialdrama und Coming-of Age aber keine Kausalkette. Nicht jeder, der eine solche Kindheit hatte, wird unweigerlich zum Neonazi. In ihren lakonischsten, wie nebenbei hingehauchten Momenten spürt die dokumentarisch inspirierte Erzählung aber dem Umschlagen von sprachloser Wut in die Lust an der Zerstörung nach. Der Film bemüht dafür keine Gewaltexzesse, sondern leuchtet detailgenau die vielen kleinen Demütigungen aus, die sich in ungeschützte Kinderseelen fressen. Selbst wenn dabei nur eine Puppe zu Schaden kommt, gehen solch erfahrungsgesättigte Szenen tief unter die Haut.

Regisseurin Constanze Klaue bemüht sich sehr, der emotionalen Abwärtsspirale heitere Momente entgegenzusetzen. Sie feiert kleine Abenteuer und Vergnügungen. Auch die Schönheit der Landschaft dient als Kontrast zur tristen Lebensrealität. Aber letztlich driftet die Handlung auf einen Abgrund zu – und teilt damit ein Problem vieler realistischer Sozialdramen. Deshalb ist es schade, dass die Filmemacherin nicht auf die Gründe eingeht, warum sich der ältere Bruder letztlich doch von der Neonazi-Clique emanzipieren kann, während der jüngere immer tiefer im braunen Sumpf versinkt. Sicher ist es verdienstvoll, aus eigener Erfahrung von den Zumutungen und Beschädigungen zu berichten, die zum heutigen Fremdenhass in Ostdeutschland beigetragen haben. Aber es wäre auch interessant zu wissen, warum einige – darunter die Regisseurin und der Romanautor –  die Belastungen ihrer Kindheit trotz schwieriger Bedingungen hinter sich lassen konnten.

Credits

OT: „Mit der Faust in die Welt schlagen“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Constanze Klaue
Drehbuch: Constanze Klaue
Vorlage: Lukas Rietzschel
Musik: PC Nackt
Kamera: Florian Brückner
Besetzung: Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe, Katrin Röver, Hannes Wegener, Meinhard Neumann, Steffi Kühnert, Johannes Scheidweiler

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Mit der Faust in die Welt schlagen
fazit
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ beleuchtet die schwierige Kindheit zweier Brüder in der Nachwendezeit. Alltagsnah und fragmentarisch, vermeidet der Film kausale Erklärungen. Dank seiner Aktualität angesichts der Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern dürfte er aber trotzdem für politische Diskussionen sorgen. Die könnten sich im besten Falle um eigene Erlebnisse drehen und so die wachsende Polarisierung überwinden.
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