
Als Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) mit ihrem Mann Harry Matthews (John Robinson) und dem gemeinsamen Kind von den USA nach Frankreich zieht, ihre alte Heimat, freuen sie sich auf einen neuen Lebensabschnitt. Die beiden sind glücklich miteinander verheiratet, nichts kann die große Liebe trügen. Zumindest dachte Harry das. Umso größer ist der Schock, als er feststellt, dass Niki unterm Bett ein Messer versteckt. Viele, viele Messer sogar. Aus Angst um den mentalen Zustand seiner Frau beschließt er, sie in eine psychiatrische Anstalt zu bringen, wo sie wieder zur Ruhe kommen soll. Dort geht sie aber bald ein vor Langeweile, da man ihr auch jede Beschäftigung untersagt. Per Zufall entdeckt sie dafür einen künstlerischen Schaffungsdrang in sich, dem sie auf ungewöhnliche Weise nachgeht …
Erinnerung an eine außergewöhnliche Künstlerin
Als Schauspielerin hat Céline Sallette natürlich viel Erfahrung gesammelt. Unter anderem spielte sie in der Kultserie The Returned über wiedergekehrte Tote mit, auch in der Science-Fiction-Serie Infiniti konnte man sie hierzulande sehen. Wie so viele Kollegen und Kolleginnen auch wuchs in ihr jedoch mit der Zeit der Wunsch, auch eigene Geschichten zu erzählen. Und so drehte sie 2020 einen ersten Kurzfilm namens L’Arche des canopées, mit Niki de Saint Phalle kommt nun auch ihr Langfilmdebüt zu uns. Auf eine eigene Rolle, wie man es von vielen Schauspiel-Regie-Wechselnden kennt, verzichtet sie dabei jedoch. Im Film ist sie nicht zu sehen. Sie beschränkt sich lieber auf die Inszenierung und das Drehbuch, das sie gemeinsam mit Samuel Doux geschrieben hat.
Wobei man das mit der eigenen Geschichte in Anführungszeichen setzen darf. Anstatt sich etwas Eigenes auszudenken, nutzt sie ihren ersten Langfilm in der neuen Position, um an eine andere Künstlerin zu gedenken, die titelgebende Niki de Saint Phalle. Den meisten dürfte die Französin für die sogenannten Nana-Figuren ein Begriff sein, farbenfrohe weibliche Körper, die schon mal etwas voluminöser sein dürfen. Wer deshalb aber erwartet, dass diese auch in dem Film eine große Rolle spielen, wird enttäuscht: Die Nanas sind weit und breit nicht zu sehen. Allgemein verzichtete Sallette darauf, die künstlerischen Arbeiten zu zeigen. Möglich, dass dies aus lizenzrechtlichen Gründen geschehen ist. Es könnte aber auch an dem unerwarteten Fokus liegen, den sie legt, wenn der Film von der Zeit vor ihrem Durchbruch erzählt.
Mehr Personendrama als Kunstporträt
Tatsächlich geht es in der Geschichte auch nur zum Teil um die Sachen, die sie erschaffen hat. Stattdessen erfahren wir viel über die familiären Umstände. Da ist die Ehe, die eine gewisse Ambivalenz aufweist. Zwar wird Niki nicht von ihrem Mann unterdrückt, wie man es auch solchen Szenarien oft kennt. Er liebt seine Frau, will für sie da sein. Aber er bringt eben nur bedingt Verständnis für sie auf. Gerade aber auch ein lang zurückliegendes Trauma wird in Niki de Saint Phalle zu einem bedeutenden Element. Ein Schlüsselmoment des Films ist, wenn sich die Protagonistin endlich ihrer Vergangenheit stellen kann. Die Kunst wird bei ihr zu einer Möglichkeit, sich selbst auszudrücken und die inneren Dämonen zu kämpfen – nicht mit stiller Introspektion, sondern als wütender Aufschrei mit verschiedensten Materialien und Farben.
Das ist teilweise schon sehenswert, auch weil Charlotte Le Bon (Falcon Lake) in der Titelrolle wieder ihr schauspielerisches Talent beweisen darf. Bei ihr wird Niki zur einer Frau zwischen Zusammenbruch und Totalangriff. Überhaupt überzeugt das Ensemble. Und doch ist das Drama, das 2024 in der Sektion Un Certain Regard in Cannes Premiere hatte, manchmal etwas unbefriedigend, gar frustrierend. Da ist nicht nur der angesprochene Mangel an gezeigten Kunstwerken, weshalb man nur schwer das Gefühl entwickelt, dass sie tatsächlich eine Künstlerin ist statt einer labilen Ehefrau. Auch an anderen Stellen geht Niki de Saint Phalle nicht so sehr in die Tiefe, wie man sich das wünschen könnte, da bleibt manches bloße Behauptung. Themen wie der Umgang mit psychischen Erkrankungen bleiben an der Oberfläche. Dennoch ist das ein solides Debüt geworden, weitere Regiearbeiten von Sallette dürfen folgen.
OT: „Niki de Saint Phalle“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Céline Sallette
Drehbuch: Céline Sallette, Samuel Doux
Musik: Para One
Kamera: Victor Seguin
Besetzung: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, Judith Chemla, Alain Fromager, Virgile Bramly, Grégoire Monsaingeon, Nora Arnezeder
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Chance, uns mit Regisseurin Céline Sallette zu unterhalten. Im Interview zu Niki de Saint Phalle sprechen wir über die Arbeit an dem Drama und Kunst als Mittel, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten.
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