© Krumma films, Hrafnhildur Gunnarsdóttir

Hrafnhildur Gunnarsdóttir [Interview]

In der Dokumentation Ein Tag ohne Frauen (Kinostart: 13. März 2025) erfahren wir von einem einzigartigen Moment in der Geschichte Islands: Am 24. Oktober 1975 einigten sich die verschiedenen Frauenorganisationen und -Bewegungen in Island darauf, einen Streik einzulegen. Oder „Frauenruhetag“, wie er offiziell genannt wurde. 90% der isländischen Frauen legten die Arbeit nieder – in Supermärkten oder Banken ebenso wie auf hoher See oder bei der Kinderbetreuung daheim. Heute gilt Island als das fortschrittlichste Land in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Wir hatten die wunderbare Gelegenheit, uns dazu mit Hrafnhildur Gunnarsdóttir zu unterhalten, Isländerin und Produzentin des Films.

Ich habe gelesen, dass du als junges Mädchen zum 24. Oktober 1975 selbst am Frauenruhetag teilgenommen hast. Wie erinnerst du dich an diesen Tag und vielleicht auch an die Zeit davor?

An die Zeit vor dem freien Tag kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich erinnere mich nur daran, dass ich mit meiner Mutter auf den Platz ging. Meine Mutter arbeitete im Finanzministerium und war eine recht anständige Frau, aber ihre Jugendfreundin Gudrún Erlendsdóttir war Gastgeberin der Veranstaltung auf dem Platz, also wollte sie unbedingt hingehen. Ich erinnere mich, wie ich dort stand und von der Energie auf dem Platz überwältigt war. Mir war klar, dass dieses Ereignis einen großen Wandel in Island herbeiführen würde… und das, obwohl ich noch so jung war. Ich kannte die Ungleichheit sehr gut aus der Zeit, als ich Zeitungen auf dem Platz verkaufte. Manchmal gab ich mich als Junge aus, und wenn ich dann ein Junge war, war die Kameradschaft und Unterstützung durch die anderen Jungen unglaublich. Die Mädchen wurden beim Abholen der Zeitung ans Ende der Schlange geschoben.

Du bist nicht nur Produzentin, sondern auch Kamerafrau und Regisseurin. Wie kommt es, dass du bei diesem Film nicht selbst Regie geführt, sondern es Pamela Hogan überlassen hast?

Zunächst einmal kam die Idee von Pamela. Sie rief mich eines Tages an und sagte, sie wolle einen Film über den „Day Off“ – den Streik – machen. Ich bin sofort damit herausgeplatzt: „Haben wir das nicht schon gemacht?“ Und dann fing ich an, darüber nachzudenken, was ich und meine Dokumentarfilmkolleg:innen hier in Island gemacht hatten. Und mir wurde klar, dass wir tatsächlich noch keine Dokumentation geschaffen hatten, die sich dezidiert mit dem Streik beschäftigte. Kurzfilme ja, aber nichts in Spielfilmlänge. Also sagte ich, dass wir uns treffen sollten. Ich dachte, der Blickwinkel einer amerikanischen Produzentin/Regisseurin wäre interessant, und ich erkannte sofort, dass sie gute Instinkte hatte und den Vorteil, als Außenstehende auf die Dinge zu schauen. Ich finde oft, dass diese Perspektive Dinge aufdecken kann, die Einheimische nicht sehen. Auf jeden Fall ist die Arbeit an Filmen und insbesondere an Dokumentarfilmen ein sehr gemeinschaftlicher Prozess. Ich glaubte und wusste, dass ich etwas beitragen würde, also war ich sehr gespannt darauf, mit einer so erfahrenen Dokumentarfilmerin zusammenzuarbeiten. Es gab ein paar Dinge, die am Anfang über die Wikinger geklärt werden mussten, aber alles in allem war ihre klare Vision ein großer Vorteil für den Film.

Jetzt muss ich natürlich fragen: Was waren das für Sachen mit den Wikingern?

[Lacht] In dem Vorschlag bezog sich Pamela auf unser Erbe als Wikingerfrauen und dass wir möglicherweise wegen dieser Herkunft so stark sein könnten. Die Wahrheit ist, dass ein Großteil der weiblichen Gene auf unsere keltischen Wurzeln zurückgeht, da die Wikinger Schottland und Irland überfielen und auf ihrem Weg zur Besiedlung Islands Frauen raubten. Jedenfalls stimme ich nicht zu, dass die Stärke der Frauen in Island von den Wikingern herrührt.

Wie haben Pamela und du dann zusammengearbeitet? Inwiefern hast du Einfluss darauf genommen, wie der Film geworden ist, welche Stellen sind sozusagen „deine“?

Als ich Pamela traf, dachte ich sofort: „Das ist eine Frau, mit der ich arbeiten kann.“ Ich wusste, was für eine Amerikanerin sie ist. Es war wirklich hauptsächlich eine wunderbare Zusammenarbeit. Meine Perspektive verleiht dem Film natürlich Glaubwürdigkeit, aber ich muss sagen, dass ich von Pamelas Interviewfähigkeiten total beeindruckt war und sogar viel von dieser Zusammenarbeit gelernt habe. Ich hatte Einfluss darauf, wen sie für den Film interviewte, aber ihre Recherche war wirklich tadellos. Über die Struktur und die Schwerpunkte waren wir uns völlig einig.

Eine entscheidende Stärke des Films ist, dass er einige Erinnerungen der Interviewten mit Animationen zum Leben erweckt. Wer ist auf diese Idee gekommen und warum? Und kannst du mir mehr über die Person erzählen, welche die Animation umgesetzt hat?

Als wir begannen, nach Archivmaterial zu suchen, wusste ich, dass es knapp war, aber wir stellten fest, dass nur etwa 15 Minuten Filmmaterial aus dem isländischen Archiv übrig geblieben waren, obwohl die meiste Zeit des 24. von mehreren Teams gefilmt wurde. In dieser Zeit war Bandmaterial offenbar teuer, und viel davon wurde recycelt. Wir fanden einige in Schweden und den USA, aber das war nicht genug. Von Einzelpersonen wurde kein weiteres unabhängiges Filmmaterial gefunden. So blieben uns nur wenige Möglichkeiten, die Zeit wiederzugeben. Dann kam Pamela auf die Idee, das mit Animationen auszugleichen, was meiner Meinung nach eine hervorragende Ergänzung war. Ich hatte Angst vor den Kosten, aber wir haben es geschafft, sehr talentierte Leute zu finden. In einer gemeinsamen Anstrengung von isländischen Künstlerinnen und einem sehr enthusiastischen jungen amerikanischen Animator, haben wir es hinbekommen: Joel Orloff entwarf das Aussehen der Figuren und die Bewegungen in den animierten Sequenzen. Ich glaube, dass er in Zukunft sehr berühmt und erfolgreich werden wird. Zwei isländische Animatorinnen trugen zur Stimmung und Farbgebung der Animation bei: Halla Sólveg Þorgeirsdóttir und Alexandra Steinþórsdóttir. Es hat so viel Spaß gemacht, Szenen zu entwerfen, die wir sonst nie zu Gesicht bekommen hätten. Wir haben uns auf den Humor gestützt, der die isländische Frauenbewegung der damaligen Zeit umrahmte, was ein sehr schlauer Schritt war.

Szenenbild Ein Tag ohne Frauen

Da Island im Vergleich zu anderen Ländern eine so kleine Gemeinschaft ist, kann ich mir vorstellen, dass du einige der interviewten Personen im Film persönlich kennst? Welche sind das und woher kennst du sie?

Ich kannte die meisten von ihnen. Obwohl viele davon einer anderen Generation angehören als ich. Ich kannte Vigdís [Finnbogadóttir, die ehemalige Präsidentin Islands]. Ich hatte sie oft gefilmt, als ich in den frühen neunziger Jahren für die Nachrichten drehte. Guðrún Erlendsdóttir war eine Jugendfreundin meiner Mutter, da sie in der gleichen Straße aufgewachsen sind. Guðrún Ögmundsdóttir war eine gute Freundin, und wir hatten eng zusammengearbeitet, als ich Vorstandsvorsitzende des isländischen Homosexuellenverbands war. Gemeinsam brachten wir einen Gesetzentwurf durch das Parlament, der das Adoptionsrecht und das Recht lesbischer Paare und alleinstehender Frauen auf künstliche Befruchtung sicherte. María Sigurðardóttir kannte ich aus der Filmwelt, da sie als Regisseurin für Filme und das Theater arbeitete. Guðrún Ágústsdóttir ist die Mutter von zwei meiner Freunde. Und die Archivforscherinnen und akademischen Beraterinnen Ragnheiður Kristjánsdóttir und Erla Hulda Halldórsdóttir haben mich bei all meinen archivarischen Frauenprojekten beraten. Hier in Island ist wirklich alles auf Tuchfühlung. [lacht]

Es scheint, als habe dieser historische Tag Island an die Spitze der Gleichstellungsleiter katapultiert. Nach dem „freien Tag“ öffneten sich viele isländische Organisationen für Frauen, und nur fünf Jahre später gab es mit Vigdís – die du eben erwähnt hast – die erste weibliche Präsidentin auf Island und in der ganzen Welt. Aber es waren wohl mehr Kämpfe und Auseinandersetzungen für Gleichberechtigung nötig, um das zu erreichen. Die Männer sind wahrscheinlich nicht einfach nach dem 24. Oktober umgekippt, haben den Frauen Recht gegeben und ihnen alles ermöglicht, oder? Wie ging dieser Fortschritt vonstatten?

Wie viel Zeit haben wir? [lacht]

Ich war zum Zeitpunkt des Streiks elf Jahre alt und wachte am nächsten Tag auf und dachte: „Ok, jetzt wird sich alles sofort ändern.“ Und natürlich war es nicht so. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass der Streik mir und meiner Generation etwas gegeben hat, auf dem wir aufbauen konnten. Er gab mir die Gewissheit, dass Frauen Gleichberechtigung verdienten, und gab mir Hoffnung.

Als Vigdís 1980 für das Präsidentenamt kandidierte, war das Land noch sehr konservativ. Vigdís war eine alleinstehende Frau mit einem Adoptivkind und hatte Brustkrebs gehabt. Irgendwie brachte all dies das Schlimmste in manchen Menschen hervor und das Beste in anderen. Tatsächlich unterstützte die Frauenbewegung als Ganzes ihre Kampagne nicht öffentlich, bis sich einige der „Roten Socken“ zu einem sehr späten Zeitpunkt anschlossen. Aðalheiður Bjarnfreðsdóttir [eine bekannte Frauenrechtsaktivistin] sprach sich öffentlich gegen sie aus, da sie der Meinung war, sie – eine gebildete Akademikerin in der Kunst – gehöre zu einer anderen Klasse. Für Vigdís war also nicht alles prima. Ein älterer Herr stand bei einer ihrer Kundgebungen auf und sagte: „Ich bin so froh, dass Sie nicht verheiratet sind. Sonst würden die Leute denken, ihr Mann hätte ihnen all das vorgesagt.“ Bei einer anderen Veranstaltung wurde sie von einem Mann gefragt, ob sie das Land wirklich mit nur einer Brust regieren könne und sie brachte ihn mit der geistreichen Antwort zum Schweigen: „Ich hatte nicht vor, die Nation zu stillen!“ Aber genug zu Vigdís …

1982 kandidierte dann eine Frauenpartei für den Stadtrat, das war das zweite Mal in einem Jahrhundert, das andere Mal war in 1907. Dies inspirierte andere politischen Parteien, Frauen ebenfalls auf ihre Listen zu setzen. Ein Jahr später kandidierten sie dann für das Parlament. In den nächsten Jahren wurden Themen wie Kinderbetreuung, Mutterschaftsurlaub, Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung in diesen hohen Ämtern zur Sprache gebracht. Die Frauenbewegung inspirierte auch die Homosexuellenbewegung. So wurden viele Institutionen umgestaltet.

Heute haben wir Frauen in allen hohen Positionen: Als Präsidentin, Premierministerin, als Leiterinnen der Regierungsparteien und als Bischöfin. Es gibt 49 % Frauen und 51 % Männer im Parlament und 7 von 12 Ministerien sind unter weiblicher Führung. Wir sind weiter gekommen, und es hat diese ganzen 50 Jahre gedauert. Das ist ein Beweis dafür, dass wir Gleichstellung erreichen können.

Glaubst du, es gibt einen bestimmten Grund dafür, dass ein so breit unterstützter Frauenstreik (oder offiziell „freier Tag“) ausgerechnet in Island möglich war? Gibt es etwas, das spezifisch für isländische Frauen ist, das dies möglich machte? Und warum hat sich diese Idee, dass Frauen einen Tag frei nehmen, um den Wert ihrer Arbeit zu unterstreichen, nicht auf andere Länder übertragen?

Nun, ich weiß nichts über andere Länder. Aber ich weiß, dass die isländischen Frauen, die im Kampf für Gleichberechtigung und in der Frauenbewegung aktiv waren, 1975 das Gefühl hatten, ins Hintertreffen geraten zu sein. Sie wollten eine Aktion ins Leben rufen, die uns vorwärts bringen würde. Die Strategie, sich über politische Grenzen hinweg zu vereinen und die gesamte Gemeinschaft anzusprechen, ja, Kompromisse einzugehen, um alle mit ins Boot zu holen, war wichtig. Und der Einsatz von Humor. Pamela ist anderer Meinung als ich, aber ich denke, dass die Tatsache, dass wir damals eine homogene Gesellschaft und keine große Nation waren, dazu beigetragen hat. Aber es ist eine Tatsache, dass man auch heute noch buchstäblich zu fast jedem Verbindungen finden kann, wenn nicht durch Verwandtschaft, dann durch Freundschaft. Die damalige Gesellschaft war nicht sehr kompliziert. Das Fernsehen war 9 Jahre alt und machte einen Tag pro Woche und einen Monat in der Sommerzeit Pause. Nur ein einziger Radiosender hielt alle auf dem Laufenden. Ich glaube auch, dass die Männer in Island alles in allem an starke Frauen gewöhnt sind und keine Angst vor ihnen haben. Sie sind nicht rückständig, was auch geholfen hat. 

Der Film deklariert, dass der Kampf um Gleichstellung noch lange nicht vorbei ist – selbst in einem Land wie Island, das seit 15 Jahren auf Platz 1 des globalen Gender Gap Index steht (d.h. dass es der Gleichstellung der Geschlechter am nächsten kommt). Was ist deiner Meinung nach das dringlichste Thema in der Gleichstellung auf Island?

Im Moment müssen wir die Gewalt gegen Frauen angehen. Ich denke, das ist das dringendste Problem.

Glaubst du, dass sich so etwas wie dieser „freie Tag“ heute wiederholen ließe?

In Island sofort. Im Jahr 2023, zum 48. Jahrestag, wurde der Frauenruhetag wiederholt. Es gab eine massive Beteiligung und das Land wurde gelähmt. Andere Länder sind meines Erachtens kurz davor, bereit zu sein. Deutschland, Frankreich und Teile Amerikas auf jeden Fall.

Das kann man nur hoffen! Aber lass uns noch kurz zu einem anderen Thema kommen: Die Filmindustrie ist bekannt dafür, dass sie eher von Männern dominiert wird. Wie siehst du das als Frau in diesem Bereich?

Nun, ich arbeite im Dokumentarfilm und dort ist es ziemlich gleichberechtigt. Frauen, die in der Spielfilmbranche arbeiten, haben noch einen langen Weg vor sich. Es gibt grundlegende Probleme, und selbst in Island werden weniger Projekte finanziert, die von Frauen geleitet und produziert werden. Das muss behoben werden.

Gibt es noch eine letzte Botschaft, die du dem Publikum des Films und/oder Frauen, die heute für Gleichberechtigung kämpfen, noch mit auf den Weg geben möchten?

Setzt Humor ein und nicht die Faust. Das gibt den Menschen die Möglichkeit, die Dinge anders zu sehen. Und versucht, über politische Grenzen hinweg zu gehen – manchmal sind Kompromisse notwendig, um die Dinge voranzubringen. Und denkt daran, dass der stete Tropfen den Stein schließlich höhlt. Gleichberechtigung kann erreicht werden, aber wie bei jedem Kampf handelt es sich um eine lebenslange Verpflichtung.

Ich danke dir sehr für dieses spannende Gespräch!



(Anzeige)