Blue Moon
© Sabrina Lantos / Sony Pictures Classics

Blue Moon

Blue Moon
„Blue Moon“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Der Name Lorenz Hart wird wohl wenigen etwas sagen. Bekannter hingegen ist sein Vermächtnis: Zusammen mit Komponist Richard Rodgers bildete er ein erfolgreiches Songwriting-Duo, welches in den 20er bis 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zahlreiche Broadway-Musicals und Musikklassiker schuf, darunter Songs wie My Funny Valentine, The Lady Is a Tramp und Blue Moon, der dem Film auch seinen Titel verleiht. Regisseur Richard Linklater begibt sich darin auf eine Zeitreise zum Abend des 31. März 1943 in die Bar Sardi’s in New York (die es übrigens noch gibt). Hier findet die Premierenfeier von „Oklahoma!“ statt, der ersten Musical-Kollaboration von Harts (Ex-)Partner Rodgers (Andrew Scott) und Oscar Hammerstein II (Simon Delaney). Und hier muss sich Lorenz Hart (Ethan Hawke) im Verlauf des Abends mehr und mehr mit der Tatsache arrangieren, dass seine beruflichen und privaten Wünsche wohl nicht in Erfüllung gehen werden …

Die Zeit und der Monolog des alten weißen Mannes

Das Spiel mit der Zeit hat in den Werken von Regisseur Richard Linklater schon eine gewisse Tradition. In Boyhood filmte er über zwölf Jahre das Leben seiner Hauptfigur Mason von früher Kindheit bis zum Studium, so dass man diesem auf der Leinwand tatsächlich beim Aufwachsen zuschauen konnte. In seiner Before-Trilogie wiederum sieht man in drei Momentaufnahmen, welche sich größtenteils in Echtzeit und in Abständen von 9 Jahren voneinander abspielen, die Entwicklung einer Liebesbeziehung. Und so spannt auch Blue Moon ein interessantes Echtzeit-Geschehen um seine Figur Lorenz Hart auf, das in 100 Minuten abgewickelt wird. Doch so klar bemessen der zeitliche Rahmen ist, so weit fächert sich die inhaltliche Erzählung auf.

Diese folgt einer klaren Struktur: Im ersten Part werden Harts Charakter und der Stand seiner Beziehungen zu den später auftretenden Personen etabliert: Die brüchige Partnerschaft zu Rodgers, seine brennende Eifersucht auf Hammerstein als Rodgers neuem Texter, sowie seiner überschwänglichen Zuneigung zu seiner Protegée Elisabeth (Margaret Qualley). Während Hart in der Bar auf das Eintreffen der Premierengäste wartet, unterhält er sich darüber mit einem am Piano klimpernden Musiker, einem anwesenden Autor und seinem Freund, dem Barkeeper. Wobei man es eigentlich nicht Unterhaltung nennen kann. Vielmehr rattert Hart ausufernde Monologe herunter, die thematisch hin und her springen, vielfache Kommentare über das Wesen von Freundschaft, Liebe und der Kunst im Allgemeinen enthalten, und nur von kurzen Interjektionen der anderen unterbrochen werden. Man kann nur den Hut ziehen vor Drehbuchautor Robert Kaplow, dem es mit scharfsinnigen Worten und sehr viel Humor gelingt, die endlosen geistigen Ergüsse des sprichwörtlichen alten weißen Mannes über weite Teile des Films nicht unerträglich werden zu lassen.

Hawke, Scott & Qualley – ein fantastisches Dreiergespann

Natürlich ist dies auch dem Hauptdarsteller geschuldet. Ethan Hawke liefert eine selten intensive und eindringliche Performance, welche die Widersprüche seiner Figur meisterlich zur Geltung bringt: Hart ist selbstbewusst und verunsichert, eloquent und konfus, amüsant und bedauernswert, charismatisch und doch auch ermüdend. Und in demselben Maße, wie seine eigene Nervosität beim Warten steigt, nimmt auch die Spannung beim Publikum bis zum Eintreffen der Premierengäste zu. Mit der sich dann zusammendrängenden Gesellschaft wird zudem ein Bild der damaligen Broadway-Szene gezeichnet, das sich mühelos auf die heutige Zeit übertragen lässt.

Und darauf folgt der zweite Part: Die Konfrontation. Hart erhält nicht nur Gelegenheit für einige herrlich unaufrichtige Glückwünsche zu Oklahoma!, sondern ebenso für die ihm so wichtigen persönlichen Unterredungen mit Rodgers und Elisabeth. Andrew Scott glänzt hier in der Darstellung des Mannes, der einerseits für die langjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit mit Hart dankbar ist und dessen Talent zu würdigen weiß, andererseits nicht mehr willens ist, sich Harts unzuverlässiger Arbeitsweise und engstirnigen Vorstellung davon unterzuordnen, was er als die einzig wahre Art von Musik bzw. Musicals ansieht. Auch Margaret Qualley findet für ihre Figur genau das richtige Maß zwischen zugewandtem Liebreiz und unabsichtlicher Rücksichtslosigkeit gegenüber dem älteren Verehrer Hart. Und für eine Weile scheint es, als sei womöglich die Partnerschaft unseres Protagonisten noch zu retten und seine Liebe nicht unerwidert. Doch letztendlich bleibt er allein zurück, seine Hoffnung zerstört.

Raum für Emotionen und ein bisschen Casablanca

Erwähnenswert ist neben dem fantastischen Schauspiel, Storytelling und Drehbuch auch Linklaters gekonnter Einsatz des Raumes und der darin platzierten Figuren, welcher dem Quasi-Kammerspiel Abwechslung und Lebendigkeit verleiht. Harts angespannte Nervosität zeigt sich nämlich nicht nur im Redefluss, sondern auch in seiner rastlosen Bewegung: Er pendelt zwischen den Barhockern, begibt sich an den kleinen Tisch des Autors, folgt Rodgers hinauf auf den Treppenabsatz oder zieht sich mit Elisabeth in die abgeschottete Intimität der Garderobe zurück. Auch die räumliche Beziehung zwischen den Figuren wird immer wieder verändert. So blickt Elisabeth in der Garderobenszene zunächst im Stehen auf Hart herab, nimmt sodann Platz und schaut zu ihm auf, worauf er vor ihr niederkniet, et cetera. In diese Dynamik wird auch Harts geringe Körpergröße mit einbezogen.

Nicht zuletzt verweist Blue Moon auf einen Klassiker der Filmgeschichte: Casablanca. Der Film wird von Hart mehrfach zitiert, interpretiert und zur Veranschaulichung seiner philosophischen Gedanken über z.B. Freundschaft genutzt. Dazu zeigen sich sich einige inhaltliche und erzählerische Parallelen zwischen den beiden Filmen: Die Bar als wichtige Szenerie, zwei Männer und eine Frau als Dreh- und Angelpunkt, sowie das melancholische Finale, bei welchem der Protagonist zurückbleibt, während die anderen beiden gemeinsam abreisen. Zusammenfassend kann man festhalten: Linklater hat es mal wieder geschafft. Mit Blue Moon bringt er dem Publikum einen Film, der mit recht einfachen Mitteln anspruchsvoll und vielschichtig ist, gleichzeitig aber mit viel Humor und nachvollziehbaren Gefühlen auch zu unterhalten und zu bewegen versteht.

Credits

OT: „Blue Moon“
Land: USA
Jahr: 2025
Regie: Richard Linklater
Drehbuch: Robert Kaplow
Musik: Graham Reynolds
Kamera: Shane F. Kelly
Besetzung: Ethan Hawke, Margaret Qualley, Bobby Cannavale, Andrew Scott

Filmfeste

Berlinale 2025

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Blue Moon
fazit
Ein Abend, eine Bar, ein Leben im Umbruch: Richard Linklater zeigt mit seinem neuen Film, wie tief sich Gefühle über 100 Minuten Echtzeit und in einem begrenzten Raum entfalten können. „Blue Moon“ erzählt die Geschichte des ambivalenten Songtexters Lorenz Hart, der durch Ethan Hawkes brillante Darstellung gleichermaßen geistreich, bitter und zutiefst menschlich wirkt. Ein Film, der nachklingt.
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