Gondola
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Gondola
„Gondola“ // Deutschland-Start: 7. März 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Der Empfang für Iva (Mathilde Irrmann) könnte herzloser nicht ausfallen. Fensterläden werden vor ihr geschlossen, man rempelt sie an, Beerdigungsgäste verlassen fluchtartig die Trauerstätte. Nach einiger Zeit in der Fremde kehrt die junge Frau heim in ihr georgisches Dorf. Ihr Vater ist gestorben, der als Gondelführer bei der Seilbahn gearbeitet hatte. Nun will Iva seine Nachfolge antreten, der namenlose „Chef“ (Zviad Papuashvili) der Betreibergesellschaft ist vermutlich der einzige im Dorf, der nichts dagegen hat. Und so lernt Iva die etwa gleichaltrige Nino (Nino Soselia) kennen, Führerin der zweiten Gondel und eine ebenso einsame Frau wie sie. Immer wenn sich die Gondeln für einen kurzen Moment treffen – die eine bergauf, die andere bergab – ergibt sich die Möglichkeit für einen kleinen Gruß. Das nutzen die beiden ausgiebig und höchst kreativ, denn schon bei der ersten Begegnung hatte es zwischen den beiden kräftig gefunkt. Wie durch ein Wunder fallen mit der öffentlich zu bestaunenden Liebe auch die Schranken, die Iva bisher von der Dorfgemeinschaft trennten.

Kosmos ohne Smartphone

Wären Iva und Nino Figuren aus unserer modernen Kommunikationswelt, würden sie einander wohl eine Whatsapp schicken oder sonst wie auf dem Smartphone tippen und wischen. Aber gerade in dieser Hinsicht wirken die jungen Frauen wie aus der Zeit gefallen, selbst wenn sie in ihrer Rebellion gegen patriarchalische und sexistische Zumutungen hochaktuell agieren. Es ist der ganz eigene, zeitlose Kosmos, der so betörend wirkt, dass er auch den beiden Liebenden den Kopf verdreht zu haben scheint. Man könnte ihn auch den Veit-Helmer-Kosmos nennen. Spätestens seit seinem vierten Langfilm Absurdistan zieht es den Berliner Regisseur (Jahrgang 1968) gen Osten, in eine Gegend zwischen Europa und Asien, in den Kaukasus, nach Aserbaidschan und Georgien. Hier findet er die Landschaften für seine nostalgisch überhöhten Romanzen, für die einfachen Dinge des Lebens und einen lakonischen Humor. Ähnlich wie kürzlich Wim Wenders in Perfect Days die Sehnsucht nach erfülltem Dasein ohne Hetze und Hamsterrad nach Japan verlegte, (er)findet Helmer in Georgien ein beneidenswertes Paradies.

Schon im Vorgängerfilm Vom Lokführer, der die Liebe suchte… (2018) kam der Regisseur und Drehbuchautor ohne Dialoge aus, denn der Stummfilm ist sein großes Vorbild und für ihn die visuellste Art, Geschichten zu erzählen. Die spezielle Ausgangslage von Gondola kommt diesem Bedürfnis natürlich entgegen. Die beiden Seilbahnschaffnerinnen haben überhaupt keine Zeit, einander viel zuzurufen. Stattdessen verlegen sie sich auf Gesten, auf Bildmotive und auf Musik. Vor allem über die vielen kreativen Einfälle für Kostüme und Ausstattung sollte man vorab nicht zu viel verraten. Denn die optische Ausformulierung immer neuer Botschaften der Zuneigung ist das Herzstück des Films und Spannungsmotor für die eher minimalistische Handlung. Nicht verschweigen sollte man jedoch eine kleine Parallel- und Nebenhandlung, für die Veit Helmer zwei zauberhafte Kinderdarsteller gefunden hat. Ihre großen Augen und gewitzten Gesichter verstärken noch den Eindruck eines modernen Märchens, das vor Charlie Chaplin und anderen Stummfilmheroen den Hut zieht.

Für unverbesserliche Romantiker

Mit seiner überschäumenden Nostalgie ist Gondola ein Film für unverbesserliche Romantiker. Nach dem harschen Beginn geht die Fahrt warmherziger Gefühle stetig bergan, nur kurz unterbrochen von einem kleinen dramatischen Hindernis. Dennoch heißt das Gondelziel des poetisch fotografierten Films keineswegs „Weltflucht“, denn der nostalgische Kosmos erinnert in jeder Sekunde daran, mit welchen Verlusten die angebliche Modernisierung der westlichen Gesellschaften erkauft wurde. Man muss nur die altertümliche, etwa 50 Jahre alte, real in Georgien existierende Gondel betrachten, um sich ein halbes Jahrhundert zurückversetzt zu fühlen und sich an die ersten Seilbahnen in den Alpen zu erinnern. Was ist wirklich an Lebensqualität gewonnen, wenn wir heute mit High-Tech-Bahnen in Rekordzeit die Berge hochrasen, als wäre Zeit auch im Urlaub Geld?

Credits

OT: „Gondola“
Land: Deutschland, Georgien
Jahr: 2023
Regie: Veit Helmer
Drehbuch: Veit Helmer
Musik: Malcolm Arison, Sóley Stefánsdóttir
Kamera: Goga Devdariani
Besetzung: Mathilde Irrmann, Nino Soselia, Zviad Papuashvili, Niara Chichinadze, Vachagan Papovian, Luka Tekladze, Elene Shavadze

Bilder

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Gondola
fazit
„Gondola“ ist ein Film von einem unverbesserlichen Romantiker für alle unverbesserlichen Romantiker im Kinosaal. Veit Helmer bleibt seiner künstlerischen Linie treu und verfeinert in seiner neuesten Arbeit noch einmal die filmischen Mittel, die seinen ganz eigenen Kosmos ausmachen.
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von 10