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© Kino Krokodil

Berlin JWD

„Berlin JWD“ // Deutschland-Start: 12. Januar 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Schwarze Schornsteine ragen am Heizkraftwerk Lichterfelde in den Himmel. Davor führt still der Fluss vorbei. Irgendwoher rumpelt es. Das Bild ist statisch, es zwingt einen zum Hinsehen, auch wenn es auf den ersten Blick nichts Interessantes oder „Schönes“ zu sehen gibt. Gestrüpp ragt vom Flussufer ins Bild, aber das Zentrum der minutenlang gehaltenen Einstellung ist die hinter der Natur drohend wirkende Architektur und Technik. In weiteren lang gehaltenen Einstellungen sieht man Bagger bei der Arbeit und deprimierend wirkende Fabrikgelände. Mit solchen Bildern beginnt Bernhard Sallmanns Dokumentation Berlin JWD. Die drei Buchstaben stehen für „janz weit draußen“, wie man in Berlin sagt. Gerade für die meisten Nicht-Berliner sind die Außenbezirke der Hauptstadt eine unbekannte, befremdliche Welt, die nichts mit dem Bild von Berlin zu tun hat, wie man es aus den Medien oder von Wochenendtrips in die Hauptstadt kennt. Alexanderplatz, Reichstag oder Brandenburger Tor sucht man hier ebenso vergeblich wie überfüllte Straßen oder Partyvolk. Berlin JWD porträtiert auf nüchterne Weise die Randgebiete der Stadt.

Man muss sich von dem Film in einen fast schon meditativen Zustand hineinsaugen lassen, um sich hier nicht nach wenigen Minuten zu langweilen und desinteressiert abzuwenden. Denn die Dokumentation scheint weder unterhalten noch informieren zu wollen – jedenfalls nicht auf herkömmliche Weise. Einzig eine Texttafel zu Beginn des Films bietet eine Einordung zu den danach folgenden Bildern: „Das kleine Berlin wuchs zum Ende des 19. Jahrhunderts rasch. Es war das Freizeitvergnügen der proletarischen Massen JWD zu fahren. Nach Janz weit draußen. An den Wannsee, auf die Stralau, in die Schönholzer Heide.“ Von Freizeitvergnügen oder Menschenmassen sieht man hier aber erst einmal keine Spur. Stattdessen starrt die Kamera auf Fabriken, Bürogebäude, graue Betonwände. Drumherum von Pflanzen überwucherte Ebenen, von Schnee bedeckt und dadurch noch kälter und noch weniger einladend wirkend. Immer wieder fangen die Bilder interessante architektonische Details ein, zum Beispiel etwas, das wie ein riesiges Betonei aussieht. Menschliche Stimmen hört man nur ab und zu aus der Ferne, eine begleitende Voice Over-Erklärung zur Einordung und Erklärung des Gezeigten bietet der Film ebenso wenig wie Musik. Er lässt die Bilder für sich sprechen.

Das Leben in der Trostlosigkeit

Erst allmählich erkennt man, dass zwischen den so trostlosen und still wirkenden Gebäuden auch Leben herrscht. Scheinbar mitten in der Ödnis stehen Wohngebäude zwischen riesigen Schornsteinen. Ein Kind läuft aus einem Haus heraus dem Zuschauer entgegen, spielt im Schnee. Soziologisch zeichnen sich Städte in ihrer Entwicklung dadurch aus, dass durch Zuwanderung und zunächst hohe Geburtenraten die Einwohnerzahlen steigen und sich die Stadt so in ihr Umland ausdehnt. Es findet eine räumliche Reorganisation der Stadt statt: Aufgrund der gestiegenen Bodenpreise und der mangelnden Expansionsmöglichkeiten wird die Produktion häufig an den Rand der Stadt verlagert. Dort entstehen dann auch neue Großwohnanlagen. Letztere sind es, die man in Berlin JWD schließlich mehr und mehr zu Gesicht bekommt. Allerdings stehen hier nicht die Menschen im Mittelpunkt, sondern von ihnen geschaffene Strukturen. Straßen, Wohnblöcke, Bürokomplexe, Denkmäler oder Parkplatzflächen. Darunter häufig nicht fertig gestellte Infrastruktur und andere verlassen wirkende Bereiche.

Anfangs fühlt man sich noch erdrückt von der oft hässlichen Architektur und den trostlosen, meist menschenleeren Winteraufnahmen. Als in einer Aufnahme Sonnenstrahlen den wolkenverhangenen Himmel durchbrechen und tatsächlich einmal keine monotonen Bauten zu sehen sind, sondern Grün und etwas Weite, wirkt das befreiend. Insgesamt kommt man sich meist verloren vor inmitten der Einsamkeit. Doch nach und nach lernt man, genauer hinzusehen und entdeckt Details. Die Gedanken schweifen bisweilen ab – man fragt sich, wie diese Orte zu dem werden konnten, was man hier sieht. So ganz ohne erklärende Worte lernt man die Bilder nach einer Weile zwar zu schätzen, doch fühlt man sich gleichzeitig auch in einer Diashow gefangen. Wenn der Film in weiten Teilen die Trostlosigkeit der gezeigten Teile Berlins darstellen will, dann hat er sein Ziel erreicht. Aber es wäre interessant gewesen zu erfahren, warum diese Orte so trostlos geworden sind (oder zumindest auf den ersten Blick so wirken).

Credits

OT: „Berlin JWD“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Bernhard Sallmann

Bilder

Trailer



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Berlin JWD
fazit
Berlin, wie es die meisten gar nicht kennen – das zeigt „Berlin JWD“. Zynisch könnte man die Dokumentation als stumme Diashow bezeichnen, aber wenn man sich darauf einlässt, entdeckt man hin und wieder Interessantes, Schönes und Absurdes.
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