Lisa Azuelos I Love America Interview
Von links nach recht: Djanis Bouzyani, Lisa Azuelos und Sophie Marceau beim Dreh von "I Love America" (© Amazon Prime Video)

Lisa Azuelos [Interview]

In I Love America erzählt Lisa Azuelos die Geschichte der Filmemacherin  Lisa (Sophie Marceau), die noch einmal etwas Neues im Leben anfangen will und zu dem Zweck in die USA zieht. Dort will sie sich neu orientieren, ihre Familiengeschichte auf die Reihe bekommen, macht gleichzeitig aber auch dank Dating-Plattformen interessante Erfahrungen. Zum Start der Komödie auf Amazon Prime Video haben wir uns mit der Regisseurin und Drehbuchautorin über ihr Werk, den Unterschied zwischen der amerikanischen und französischen Filmbranche und die Doppelfunktion von Mutter und Tochter unterhalten.

 

Könntest du uns ein wenig über die Entstehungsgeschichte von I Love America erzählen? Wie bist du auf die Idee dafür gekommen?

Tatsächlich hatte ich gar nicht vor, den Film zu schreiben. Eigentlich war ich gerade im Urlaub und hatte beschlossen, in meinem Leben etwas zu ändern und nach Los Angeles zu gehen, wie in dem Film. Dann starb meine Mutter und ich musste das irgendwie verarbeiten. Gleichzeitig kamen dann die ganzen Lockdowns und ich begann, die Dating-Plattform Tinder zu verwenden. Diese beiden Ereignisse, der Tod meiner Mutter und meine Erfahrungen mit Tinder, brachten mir irgendwann die Erkenntnis: Das ist wäre ein toller Film! Beide Themen handeln von dem Thema Liebe. Meine Mutter, die die Liebe meines Lebens hätte sein soll, verschwindet. Dafür tritt eine andere Form von Liebe in mein Leben. Und die Frage war: Wie kann ich beides miteinander verbinden?

Und warum bist du ausgerechnet in die USA gegangen? Wenn du ein neues Leben suchst, wäre das prinzipiell ja überall möglich.

Das stimmt. Aber ich habe hier schon gelebt und hatte immer das Gefühl, dass Los Angeles mein Zuhause ist, vielleicht auch weil mein Name Lisa Azuelos die Initialen L.A. ergibt. (lacht) Jedes Mal, wenn ich hierhergekommen bin, habe ich so interessante Leute getroffen. Ich liebe es, auf Englisch zu reden. Ich liebe die Landschaften und die Sonnenuntergänge. Die Stadt ist für mich mit einem Spaß verbunden, den ich in der Form in Frankreich nicht so wiederfinde. Wenn ich in Paris geblieben wäre, wäre es darauf hinausgelaufen, dass ich bis an mein Lebensende sonntags auf meine Kinder gewartet und für sie gekocht hätte. Davon wollte ich weg. Ich wollte nicht diese Art Mutter sein. Stattdessen wollte ich ein eigenes Leben, wo ich auch ich selbst sein darf und mehr als nur eine Mutter sein darf. Das bedeutete für mich, eine ganz neue Beziehung zu meinen Kindern aufzubauen. Als ich nach einem Ort suchte, wo ich das umsetzen kann, war für mich klar, dass es die USA sein müssen.

Wenn du es in den USA so toll findest, warum drehst du dann nicht mehr Filme dort?

Wenn ich die Chance hätte, würde ich das auf jeden Fall machen. Ich liebe es hier zu arbeiten. Ich liebe die Schauspieler und auch die Drehbücher. Du bekommst hier unglaubliche Drehbücher.

Wenn du US-amerikanische Filme mit französischen vergleichst, wie unterscheiden sie sich?

US-amerikanische Filme verlassen sich weniger aufs Glück, um am Ende gut zu sein. Die Drehbücher, die ich zu lesen bekomme, sind alle von vornherein sehr gut durchstrukturiert und geschrieben, die überlassen nichts dem Zufall. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass es in den USA Leute gibt, deren einziger Beruf der ist, Drehbücher zu schreiben. Wenn du in Frankreich als Regisseur nicht auch deine Drehbücher schreibst, wirst du es schwer haben, eine Finanzierung zu bekommen. Dabei haben manche ein größeres Talent fürs Regieführen, andere schreiben besser. Dass jemand wirklich beides gleich gut kann, ist eher die Ausnahme. Zum Glück verbessert sich die Situation gerade und macht es leichter, Regisseure und Autoren zusammenzuführen. Und auch bei den Schauspielern gibt es Unterschiede: In Frankreich wird stärker improvisiert, während in den USA alle sehr professionell arbeiten. Das Improvisieren kann zu fantastischen Ergebnisse führen. Aber es kommt auch vor, dass die Schauspieler ihre Texte nicht können und am Ende gar nichts dabei rauskommt. Das wäre in den USA undenkbar.

Was sind denn deine Lieblingsfilme? Dein Alter Ego in I Love America nennt einige. Doch wie sieht es mit denen der echten Lisa aus?

Leider habe ich nicht genug Fantasie, um mir für den Film welche auszudenken, weshalb wir denselben Filmgeschmack haben. (lacht) Neben denen, die ich in I Love America genannt habe, würde ich noch Vom Winde verweht, Die durch die Hölle gehen und So wie wir waren. Ich liebe auch die Filme von Woody Allen, Nancy Meyers und Paul Thomas Anderson.

I Love America ist eine Art Liebeserklärung an das Kino, wird selbst aber gar nicht dort gezeigt, sondern auf Amazon Prime Video. Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft von Filmen aus?

Ich befürchte, dass das Kino in Zukunft die Heimat von großen Filmen sein wird. Also Filme, die von Spezialeffekten leben oder mit großen Namen verbunden sind wie Christopher Nolan oder David Fincher. Für den Rest von uns wird es schwieriger werden. Die Menschen wachsen heute in einer Welt auf, in der alles sofort verfügbar ist. Das Essen wird dir sofort nach Hause geliefert. Du hast innerhalb von fünf Minuten einen Uber. Alles muss immer dann da sein, wenn du es gerade brauchst oder willst. Das Kino passt nicht mehr in diesen Lebensentwurf: Du hast dort feste Spielzeiten, du hast eine Anfahrt, du musst vor Ort warten, du musst dich vorher entscheiden und kannst nicht mittendrin wechseln. Das werden immer weniger auf sich nehmen wollen. Hinzu kommt, dass diese Online-Plattformen mittlerweile ein wirklich fantastisches Programm haben. Wobei natürlich auch die an ihre Grenzen stoßen, wie man aktuell an Netflix sieht. Umso wichtiger wäre es, dass die Plattformen und Kinos sich auch selbst hinterfragen und einzigartige Erlebnisse schaffen. Das können auch Kooperationen sein.

Kommen wir zu deinem Film zurück. Deine Figur geht in die USA, um dort ein neues Leben zu beginnen. Dabei merkt sie aber, dass sie sich erst mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss. Ist es überhaupt möglich, ein komplett neues Leben zu beginnen, oder basiert dieses immer auf dem, was man vorher erlebt und erfahren hat?

Für mich ist jeder Morgen ein neues Leben. Und es liegt an dir, wie viel du von dem Abfall mitnimmst. Meine Philosophie ist, dich immer am stärksten auf die Gegenwart zu konzentrieren und im Idealfall jeden Tag so zu leben, als wäre es gleichzeitig dein erster und letzter. Das musst du aber erst lernen und später trainieren. So wie manche in Fitnessclubs gehen, um sich Muskeln anzutrainieren, versuche ich mich so zu trainieren, mich nicht zu sehr von der Vergangenheit und der Zukunft abhängig zu machen. Das ist aber natürlich einfacher, wenn du an einem Ort bist, den du noch nicht so gut kennst. Paris ist für mich mit so vielen Erinnerungen verbunden, dass ich dort kein neues Leben mehr führen könnte. Das müssen keine schlechten Erinnerungen sein. Manche sind völlig banal: „In der Straße habe ich mal getankt.“ Erinnerungen erschweren es, dass du dich weiterentwickelst und jemand Neues wirst.

Die Frage der Vorbestimmung kommt auch in der Szene vor, in der deine Figur eine Wahrsagerin trifft und sich von ihr die Zukunft vorhersagen lässt. Glaubst du an Schicksal?

Ich würde das mit meiner Arbeit als Regisseurin vergleichen. Du hast ein vorgefertigtes Drehbuch, auf dessen Basis du arbeiten musst. Was du aber daraus machst, das liegt an dir. Du hast immer die Wahl, Szenen zu verändern oder sogar wegzulassen und damit maßgeblich zu bestimmen, wie es weitergeht. Es gab auch diesen Film Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht, in dem wir zwei verschiedene Möglichkeiten sehen, wie sich ein Leben abspielt. Doch trotz der zwei Entscheidungsmöglichkeiten und den Veränderungen, die sich daraus ergeben: Am Ende landet die Hauptfigur am selben Ort mit denselben Leuten. Du hast also immer eine Wahl, aber eine, die innerhalb eines bestimmten Rahmens stattfindet.

Ein anderes Thema in deinem Film ist, wie deine Figur gleichzeitig Mutter und Tochter ist und mit beiden Rollen klarkommen muss. Schon in Ausgeflogen hast du erzählt, wie eine Frau sich nach dem Auszug ihrer Kinder als Individuum neu finden muss. Welche Aspekt prägt deiner Meinung nach mehr: ein Kind von jemandem zu sein oder Kinder zu haben?

Leider habe ich nie das Leben gehabt, in dem ich mich selbst als Tochter fühlen durfte. Das ist jetzt einfacher, da meine Eltern tot sind. Ich denke, dass ich durch meine Mutterschaft erst gelernt habe, was es heißt, eine Tochter zu sein. Vieles, was mit deiner eigenen Kindheit zusammenhängt, wird dir erst durch das Leben deiner Kinder bewusst.

Ein weiteres Thema in deinem Film ist das der Liebe. Deine Figur macht mittels Tinder eine Reihe von neuen Erfahrungen. Generell geben dir diese Apps und Plattformen die Möglichkeit, Leute zu treffen, die du auf reguläre Weise nie getroffen hättest. Gleichzeitig ist die Auswahl so groß, dass man von ihr überwältigt werden kann. Ist es heute leichter oder schwieriger, Liebe zu finden?

Ich muss gestehen, dass ich Tinder nicht nutze, um die Liebe zu finden. (lacht) Diese Plattformen helfen mir aber dabei, mich selbst zu finden. Ob ich nun dadurch Sex habe, jemanden date oder auch einfach nur Leute treffe, all das trägt dazu bei, dass ich mich selbst neu erfahre und andere Facetten von mir entdecke. Was mir dabei so gefällt: Ich kann wirklich die unterschiedlichsten Menschen kennenlernen. Da ist schon ein großer Zufälligkeitsaspekt dabei, den du im Leben da draußen nicht hättest. Aber auch da hängt es letztendlich an dir, was du daraus machst. Ob du dabei die große Liebe finden kannst, weiß ich nicht. Aber du wirst sie auch nicht finden, wenn du immer nur daheim bleibst und immer wieder dasselbe machst.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Lisa Azuelos wurde am 6. November 1965 in Neuilly-sur-Seine geboren. Sie ist die Tochter der Sängerin und Schauspielerin Marie Laforêt, wuchs aber nicht bei ihr auf. Sie begann in den 1990er, als Regisseurin und Drehbuchautorin fürs Fernsehen zu arbeiten. Ihren Durchbruch hatte sie mit der Liebeskomödie LOL (2008). Später drehte sie unter anderem das Künstlerinporträt Dalida (2017) sowie Ausgeflogen (2019) über eine Frau mit Empty-Nest-Syndrom.



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