Vaterlandsverräter
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Vaterlandsverräter

Vaterlandsverräter
„Vaterlandsverräter“ // Deutschland-Start: 20. Oktober 2011 (Kino) // 6. April 2012 (DVD)

Inhalt / Kritik

Paul Gratzik war ein deutscher Schriftsteller, der als wichtiger Autor der DDR-Literatur bekannt wurde. In diesem ihm gewidmeten dokumentarischen Porträt Vaterlandsverräter beleuchtet die Filmemacherin Annekatrin Hendel (Schönheit & Vergänglichkeit) seine interessante Persönlichkeit der Extreme. Neben seiner kreativen Tätigkeit als Dichter und Schriftsteller war er auch als „Inoffizieller Mitarbeiter“ für das Ministerium für Staatssicherheit tätig und informierte über Jahre über enge Bekannte und Freunde. Gratzik erzählt in intimen Interviews mit der Kamera von seiner belebten Vergangenheit, seinen Fehlern, Errungenschaften und seinen andauernden inneren Konflikten. Der überzeugte Kommunist verrät viel über seine Beweggründe und persönliche Werte, die sich mit den westlichen Ansichten nicht so recht vertragen wollen.

Schwierige Ausgangslage

Vaterlandsverräter ist ein Kino-Dokumentarfilm aus dem Jahr 2011 – zu diesem Zeitpunkt lebe der Protagonist Paul Gratzik noch in seinem abgeschiedenen Haus in der Uckermark und stand en Fragen der Regisseurin Hendel Rede und Antwort, soweit er das mochte. Erst 2018 im Alter von 82 Jahren starb er in einem Krankenhaus in Eberswalde.

Wenn man den Erzählungen des alternden Mannes lauscht, spürt man den Schmerz, den er zu DDR-Zeiten erlebt haben muss. Sein alleinstehendes, altes Landhaus irgendwo in der Uckermark ist Zentrum der Erzählung der Filmemacherin. Mit langen Aufnahmen aus der Ferne malt das Haus samt Grundstück ein Bild aus Einsamkeit und Müdigkeit. Im Sommer läuft Annekatrin Hendel zu ihm über die Wiese, im Winter sieht man auch den gebrechlich wirkenden Gratzik durch den Schnee stapfen.

Ein spannendes Leben liegt hinter ihm, gegensätzlicher könnte es kaum sein. Der Kreative wurde in schwierige Verhältnisse geboren, der Vater starb kämpfend an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg, seine Mutter und fünf Geschwister flohen vor Kriegsende von Ostpreußen nach Mecklenburg. Man ist schockiert, wie kann ein Schriftsteller, der mit seiner sehr eigenen Schreibweise aneckte und unter der strengen Zensur der DDR dennoch versuchte seine regierungskritischen Ansätze zu präsentieren denn nur für die Stasi arbeiten und seine eigenen Mitintellektuellen, Geliebte und Bekannten überwachen?

„Heute scheint die Sonne so schön“

Doch schnell ist auch denen, die die damaligen Begebenheiten nur paraphrasiert aus dem Geschichtsunterricht kennen, klar, dass er genau wie viele anderen kaum eine andere Wahl hatte. Dennoch arbeitete er beinahe aus Überzeugung für die DDR-Sache an der Spionage der eigenen Kollegen. Denn das Konzept des Kommunismus war tief in seinem Herzen verankert – umso härter traf es ihn damals, als er nach und nach realisieren musste, wofür er wirklich einstand.

In seinem einfachen Zuhause während des Drehs des Dokumentarfilms ist er weiterhin an seiner Schreibmaschine tätig, er pflegt den künstlerischen Alkoholismus mit eingelagertem Spirituosen aus seinem Keller und frönt der Nikotinsucht mit exzessivem Rauchen. Ein schräges Bild eines geschafften Mannes, den das Leben und seine Laster stark geprägt haben. Gratzik schätzt die Natur, genießt den Sonnenschein und will sich oft gar nicht mit den tiefgreifenden Fragen der Regisseurin auseinandersetzen, die ihn aus dem Off an die alten Zeiten erinnert und mit unangenehmen Erinnerungen konfrontiert. Er habe seine persönliche Seite der Geschichte bereits in seinen Romanen aufgearbeitet – was damals wirklich und im Detail vor sich ging werden er und Hendel nicht mehr aufklären können, meint er. Da müssen junge Leute ran, sagt er, die Generation von heute, die sich wirklich intensiv mit diesem Teil der Vergangenheit beschäftigen müssen für eine echte Wahrheit.

Ein hartes Stück Geschichte

Es ist durchaus interessant zu sehen, wie viele seiner Kollegen, die er für die Stasi beschattet hatte, selbst einmal Inoffizieller Mitarbeiter waren. Gerade unter den Künstlern und Autoren, die aus dieser Zeit bekannt sind, gibt es nur wenige, die nicht irgendwann einmal als Informanten Berichte verfassten. Die archivierten Berichte von Gratzik, die teils vom Tonband von einer Sekretärin abgetippt wurden, spielten eine wesentliche Rolle in Hendels Recherche für ihren Dokumentarfilm. Einige der schmerzhaften Zeilen liest Gratzig sogar erneut vor, beginnt sich zu erinnern. Tränen stehen ihm im faltigen Gesicht, in Form schwerer Schuldgefühle reißen die Aufzeichnungen alte Wunden wieder auf. Doch nur an diesen selteneren guten Tagen findet er augenscheinlich die Kraft für diese Art der Konfrontation. Er ist das Thema leid, hat es alles schon erzählt, verdrängt – er spricht von einem Selbstschutzmechanismus seiner eigenen Psyche, die tragischsten Geschehnisse hat er teils sogar vergessen können bzw. beobachtet sie aus der Ferne.

Überzeugter Kommunist bleibt er trotzdem: Wie verrückt es doch ist, dass dasselbe Land mit Nationalsozialismus und Kommunismus zwei so extreme Konzepte gelebt hat, findet er. Beinahe so verrückt und gegensätzlich wie sein eigenes Leben.

Credits

OT: „Vaterlandsverräter“
Land: Deutschland
Jahr: 2011
Regie: Annekatrin Hendel
Musik: Louis Rastig
Kamera: Jule Cramer, Can Elbasi, Johann Feindt, Martin Langner

Trailer

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Vaterlandsverräter
Fazit
Eine schwerwiegende Doku über eine harte Zeit mit einem noch härteren Protagonisten. Der Mann, der älter scheint als er ist, ist ebenso ein grantiger Gesprächspartner wie ein gefühlvoller Künstler. Ein komplizierter, sozial unmöglicher Mensch mit vielen Fehlern, zu dem man dennoch eine Beziehung aufbauen kann. Empfehlenswert sind diese 90 Minuten am ehesten für Geschichtsinteressierte, die schon einiges an Vorwissen mitbringen – teils wirkt dieses Werk sonst überfordernd.
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