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Die Kritikeranalyse #2: Die Kinotagesstätte [Interview]

Nachdem letztes Mal der ideologiekritische Kinogänger Wolfgang M. Schmitt zu Gast war, ist im zweiten Teil Christian Neffe dabei, der sich als Filmkritiker vieler Medien im Internet bedient und mit seinem Blog demnächst das 7-jährige Jubiläum feiert. Die Beiträge des studierten Kommunikations- und Medienwissenschaftlers aus Leipzig beschränken sich dabei aber nicht nur auf einen Kanal, sondern gleich mehrere. Auf der einen Seite führt er seinen Blog audiovisuellblog.com und schreibt für kino-zeit.de, auf der anderen Seite kann man ihn aber auch im Podcast Die Kinotagesstätte zuhören. Sein Ziel dabei: den Dialog anregen und die Empfehlung von Filmen, die in der Masse eher untergehen.

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Für Menschen, die dich nicht kennen: Was kann man konkret von deinen Filmkritiken erwarten und in welcher Hinsicht hebst du dich von anderen Filmkritikern ab?

Ich würde sagen, dass ich mich gar nicht so großartig abhebe. Wenn ich eine Filmkritik schreibe, dann versuche ich ein möglichst breites Publikum anzusprechen und eher weniger auf einen spezifischen Aspekt abzuzielen oder das Ganze unter einem gewissen Schlaglicht zu betrachten. Stattdessen steht für mich bei einer Kritik ganz klar die Beantwortung der Frage im Raum: „Lohnt es sich, meine wertvolle Zeit für diesen einen Film bereitzustellen?“ Meine Kritiken sollen deshalb im Idealfall einfach verständlich sein. Dafür bringe ich einen sehr lockeren Schreibstil mit, der sich eher wie das gesprochene Wort liest.

Welche Menschen möchtest du am ehesten mit deinem Kanal ansprechen?

Am ehesten Menschen mit einem gewissen filmischen Interesse. Es ist da aber auch schwer vom Durchschnittsschauer oder von der -schauerin auszugehen. Mir geht es mitunter auch darum, ein breiteres Publikum anzusprechen, das vielleicht nicht die große Passion für den Film mitbringt. Es muss in der Hinsicht ja nicht immer um große, intellektuelle Werke gehen. Wenn man den Anspruch hat, man möchte im Kino „nur“ gut unterhalten werden, dann kann man mit solchen Leuten ja auch in einen Diskurs treten oder mit einer Kritik ein Gespräch anregen. Genauso aber auch bei anderen, die gern schauen möchte, was es denn abseits der großen Mainstreamfilme noch so gibt.

Was bedeuten Filme persönlich für dich und warum gerade dieses Medium und nicht beispielsweise andere Medien wie Theater, Oper, Musik oder Literatur?

Bei mir war es lange so, dass ich Filme gern konsumiert habe, ohne viel nachzudenken. Im Studium wurde die Leidenschaft dann aber so richtig geweckt. Meine eigentliche Passion sind Videospiele, bei Filmen aber hat man den Vorteil, dass sie im Rahmen von zwei bis drei Stunden schön kompakt sind. Dadurch kann ich dann sehr viel mehr Abwechslung herausschöpfen, eben durch diese kompakte Form. Nach dem Film ist das Thema dann abgeschlossen und man kann sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Und das Thema Aufmerksamkeit ist natürlich auch so eine Sache, das funktioniert bei einem Film einfach besser als bei einer 50-Stunden-Serie, bei der man lange am Ball bleiben muss. Im Vergleich zur Literatur bin ich dann aber doch mehr der visuelle Typ, weswegen ich auch die visuellen Medien eher bevorzuge. Durch diese Faktoren nehmen Filme einfach eine größere Rolle in meinem Leben ein.

Gab es schon einmal eine Situation, in der du dich mit jemand über einen Film streiten musstest? Wenn ja, was genau ist dein Anspruch? Geht es dir – auch in deinen Kritiken – um den Dialog, um Aufklärung oder um etwas ganz anderes?

Klar kommt es im Podcast mitunter zu Situationen, wo wir streiten. Once Upon a Time in … Hollywood ist da so ein Beispiel, den ich nicht gut fand, meine beiden Mit-Podcaster aber schon. Und da muss ich mich in gewisser Weise eben verteidigen, warum ich den nicht mochte. Das ist ja die Krux im Leben eines Kritikers, seine Meinung gut in Worte fassen zu können. Genau das bietet aber auch jede Menge Potential für Erkenntnisse, erst einmal herauszufinden, warum es denn so unterschiedliche Meinungen teilweise gibt. Uns dreien gefällt es in der Hinsicht aber immer am meisten, wenn eine gewisse Auseinandersetzung zwischen uns herrscht. Wenn wir uns bei einem Film oder Thema stattdessen alle einig sind, wird es oftmals schnell langweilig. Da ist es schon besser, man hat unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen, so entstehen einfach die interessanteren Diskussionen mit der größten Substanz. Das ist wie bei Filmen an sich: Du brauchst einen Konflikt oder eine Reibung, damit es dich packt. Das ist letztlich immer der größte Mehrwert, auch im Dialog.

Kannst du das nachvollziehen, wenn jemand einen Film aufgrund einer gänzlich anderen Herangehensweise gut findet, während du diesen Film aus deiner Sicht als schrecklich empfindest? Und denkst du, dass beide Meinungen gleich viel wert sind?

Zu beidem: Ja! Es ist wie in jeder Diskussion, jede Meinung hat ihre Berechtigung, solange sie nicht beispielsweise im politischen Kontext rassistisch oder faschistisch ist. Solange gewisse menschliche Grundwerte respektiert werden, ist jede Meinung legitim. Da sind wir beim Film jetzt natürlich in einer ganz anderen Richtung, aber auch hier ist jede Meinung berechtigt, sofern die Person, die dahinter steht, das in irgendeiner Form begründen kann. Einfach zu sagen: „Dieser Film ist dämlich!“, reicht mir da nicht. Ich habe es aber eine Zeit lang auch als schwierig empfunden, wenn ein Film unter spezifischen Gesichtspunkten betrachtet wird, zum Beispiel in einem politischen Schlaglicht. Inzwischen sehe ich das anders: Natürlich ist so etwas berechtigt, wenn man sich bewusst ist, dass auch andere Sichtweisen auf Filme existieren und dass meine Betrachtungsweise nur eine von mehreren möglichen ist. Ein Beispiel dazu: Wolfgang M. Schmitt von Die Filmanalyse am Beispiel des Der König der Löwen. Er mochte den eher weniger und hat das mit politisch-gesellschaftlichen Argumenten begründet, weil am Ende einfach die anfängliche Ordnung wieder hergestellt wird und er das, zumindest in meiner Erinnerung, als politisch konservative Botschaft deutet. Eine Freundin von mir, die Biologin ist, sieht den Film aber unter ökologischen Gesichtspunkten und meint, dass da eine dementsprechende Botschaft durchscheint, nach dem Motto „Die Natur muss im Gleichgewicht bleiben, um zu funktionieren“. Diese unterschiedlichen Perspektiven können im Endeffekt zu den unterschiedlichsten Deutungen und Wahrnehmungen führen. Jede davon ist berechtigt, aber keine kann meines Erachtens einen Anspruch auf Absolutheit erheben.

Was genau muss ein herausragender Film bei dir mitbringen?

Für mich sind beim Film drei Sachen wichtig, ich nenne es „Die drei H’s“: Hirn, Herz und Handwerk. Hirn heißt: ein Film muss mich im Kopf ansprechen und zum Nachdenken bringen. Herz ist die emotionale Komponente, wir Menschen sind ja schließlich alle gefühlsgeleitet und keine rationalen Maschinen. Und Handwerk ist das Technische. Ein guter Film kann alle drei Aspekte erfüllen, er kann aber auch nur zwei erfüllen oder eine Sache richtig brillant machen. Es muss also nicht alles zusammenkommen. Irgendetwas davon muss aber schon vorhanden sein.

Ein wichtiger Faktor, den ein Film für mich aber auch mitbringen muss, ist ein Überraschungseffekt. Das ist nämlich das Problem, wenn man schon viele Filme gesehen hat – viele laufen nach dem gleichen Schema ab. Ein guter Film sollte in der Gesamtheit etwas anders machen, sodass ich nicht schon nach 20 bis 30 Minuten ganz genau weiß, in welche Richtung der Film gehen wird.

Welche Rolle spielen Gefühle bei der Filmrezeption bei dir? Und ist ein Film automatisch gut, wenn man bspw. Gänsehaut verspürt oder feuchte Augen bekommt?

Gut ist er damit nicht automatisch, es gibt ja die Art von Film, die das sehr forcieren. Bei den ganz großen Liebesschnulzen merkt man das, da wird mit entsprechender Musik und Bildern gearbeitet, sodass man eben diese Reaktion beim Zuschauer fast schon erzwingt. Nichtsdestotrotz sehe ich Emotionen als einen wichtigen Faktor an, wir Menschen sind wie gesagt keine Maschinen. Gefühle im Kino sind wichtig, auch um mich als Zuschauer auf einer ganz grundlegenden menschlichen Ebene anzusprechen. Die Gefühlsbandbreite kann dabei aber total breit sein: von Angst und Trauer bis hin zu positiven Emotionen ist beim Film einfach so viel möglich. Um das zusammenzufassen: Ein Film sollte mich auf irgendeiner emotionalen Ebene schon packen. Wenn ich da beispielsweise mitlache, einen Kloß im Hals verspüre oder der Film mich erschüttert zurücklässt, dann ist das schon eine Kunst, die nicht jedem Film gelingt.

Wie würdest du die Wichtigkeit von Emotionalität, Storytelling, Ideologie (Was sagt ein Film über unsere Welt aus?), Inszenierung, Virtuosität, Ästhetik und weiteren Aspekten bei der Filmrezeption sortieren?

Da kann man keine Reihenfolge festlegen, weil das ganz davon abhängt, was ein Film für einen Anspruch mitbringt. Bei einem Anti-Kriegsfilm zum Beispiel ist so etwas wie Ideologie und Storytelling meiner Meinung nach wichtiger als die Inszenierung. Actionfilme wie John Wick oder Mad Max: Fury Road dagegen, da ist wiederum Inszenierung das wichtigste. Ästhetik ist eine weitere Komponente und die Charaktere, zu denen ich im besten Fall eine gewisse Bindung aufbauen kann. Es gibt aber auch Filme, die ich gut finde, einfach weil sie etwas Überwältigendes in ihrer Visualität mitbringen. Nicht in einer überfordernden Art und Weise wie bei den Transformers-Filmen, sondern eher nach dem Motto: man wird in den Sessel gedrückt, wie beispielsweise bei Dunkirk. Das war damals im Kino eine wirklich extreme Erfahrung, gerade wenn der bombastische Sound aus den Boxen dröhnt und man dadurch komplett in den Sessel gepresst wird. Diese Art der Überwältigung zählt für mich zum Herz-Aspekt.

Wenn man auf die Entstehungsgeschichte eines Films schaut, angefangen bei der Idee bis hin zur Umsetzung und dem fertigen Resultat, welche Faktoren spielen die größte Rolle, wenn man den Anspruch hat, ein filmisches Meisterwerk zu kreieren?

Das Drehbuch ist natürlich elementar. Das ist aber auch das schwere Los von Drehbuchautoren und -autorinnen, dass ihre Arbeit mitunter in der Gesamtwahrnehmung eines Films so schwer dezidiert wahrnehmbar ist. Wenn man da mal in der Historie kramt, entdeckt man einige interessante Anekdoten, wer denn was geschrieben hat. In den letzten Jahrzehnten sehen wir aber, dass die Studios, vor allem aber die Regisseure und Regisseurinnen im Vordergrund stehen. Tatsächlich sind aber die Drehbuchautoren die wichtigsten Personen, einfach weil das Drehbuch das Skelett eines Films darstellt. Danach spielen für mich Kamera und Schnitt eine ganz wichtige Rolle. Aber auch da lässt sich schwer generalisieren. Bei The Trial of the Chicago 7 beispielsweise war die Kameraarbeit ziemlich gewöhnlich und folgte den Standardregeln einer guten Inszenierung. Trotzdem war es für mich aufgrund der erzählten Geschichte ein toller Film. Bei Ad Astra wiederum hatten die Bilder eine fantastische Schönheit, also optisch ist der wirklich gelungen. Dafür hatte er an anderen Stellen massive Schwächen, unter anderem bei der Figurenzeichnung und -entwicklung, weshalb er mich eher enttäuscht hat.

Schaut man auf Hollywood, hat es den Anschein, dass in manchen Kreisen die Stimmen immer lauter werden und viele Fans mit den neuen Star Wars-Filmen oder selbst mit einem Fast and Furious 9 sehr unzufrieden sind. Bewegt sich Hollywood in Richtung eines Tiefpunkts oder denkst du es braucht solche Filme auch, sodass Regisseure daraus lernen?

Aussagen wie „Hollywood ist am Tiefpunkt“ oder „Hollywood macht nur noch Schwachsinn“ halte ich für schwierig, zumal solche Aussagen schon seit vielen Jahrzehnten getätigt werden und Hollywood noch immer da ist. Ich bin kein Freund dieser fast schon fatalistischen Sichtweise. Nehmen wir das Beispiel Marvel. Klar ist das komplett auf Profit ausgerichtete Massenware, die sich über die Jahre kaum verändert hat und die tatsächlich auch mal eine Frischzellenkur bräuchte. Gleichzeitig bin ich aber ein kleiner Fan von narrativen Universen, die als vertraute erzählerische Spielplätze dienen können, egal ob das jetzt Star Wars, Der Herr der Ringe oder eben Marvel ist. Und wenn ein gewisses Budget bei den großen Studios da ist, können die es sich im Idealfall auch leisten, mal ein paar neue Sachen zu riskieren und kreativere Produktionen in Auftrag geben. Bei Star Wars ist die Anime-Serie Visions in der Hinsicht ja ein gutes Beispiel, da damit ein kleines Experiment gewagt wurde und die Marke ein wenig geöffnet wird. Solche Experimente passieren zugegeben aber eher selten, das könnte gern häufiger geschehen. Dass Hollywood an einem Tiefpunkt wäre, sehe ich aber nicht. Das hat man wie gesagt schon öfter behauptet, zum Beispiel in den 50er Jahren, und dann kamen Easy Rider und New Hollywood. Hollywood ist einfach unfassbar anpassungsfähig. Die meisten Studios merken, was auf dem Markt los ist und passen sich an, zuletzt hat man das beim Thema Diversität gemerkt – wenn auch mit einem nicht unumstrittenen Ergebnis, siehe Amazon.

Wie vergleichst du die Filmrezeption, muss ein Film gleich bei der Erstsichtung direkt überzeugen oder würdest du doch eher sagen, dass man einen Film erst im Laufe der Zeit zu schätzen lernt?

Für mich ist die Erstsichtung sehr relevant. Ein Film kann, wenn man nicht weiß, worauf er hinausläuft, völlig anders wirken. Hier kommt auch wieder der Punkt Überraschung zum Tragen, besonders wenn man ohne Erwartungen ins Kino geht. Wenn ein Film meine Erwartungen unterwandert und das auf eine Art und Weise, die mir gefällt, dann ist das sehr erfrischend. Tarantinos Once upon a time in Hollywood fällt mir da als Gegenbeispiel ein, da hat mir speziell das Ende beim ersten Mal überhaupt nicht gefallen. Beim zweiten Mal konnte ich mich aber etwas besser darauf einlassen. Daran sieht man einfach, dass die Erstsichtung ganz essentiell ist, sie bestimmt ja auch gleichermaßen, ob ich mir einen Film überhaupt nochmal ein zweites oder drittes Mal anschauen werde.

Womit kannst du dich in der Hinsicht eher anfreunden und warum: ein Film, den du nach der Erstsichtung grandios findest, der aber mit jeder weiteren Sichtung abnimmt oder ein Film, der von Sichtung zu Sichtung immer weiter wächst?

Aus rein persönlich-menschlicher Perspektive würde ich das erste bevorzugen. Weniger als Kritiker, sondern mehr als Filmfreund habe ich lieber einen Film, der mich beim ersten Mal begeistert und der sich beim zweiten Mal als weniger gut herausstellt. In dem Fall habe ich zumindest noch das gute Erlebnis beim ersten Mal gehabt. Leon der Profi ist da ein gutes Beispiel, den empfand ich in meiner Jugend als brillanten Film. Inzwischen muss ich aber sagen, dass er nicht gut gealtert ist. Ich habe aber zumindest noch diese nostalgisch-positiven Gefühle und zumindest diese positiven Emotionen kann ich noch mitnehmen. Bei der anderen Situation, also dass man einen Film beim ersten Mal eher schlecht und erst nach der dritten oder vierten Sichtung gut findet, da fällt mir jetzt spontan kein Beispiel ein.

Kritik ist und bleibt immer subjektiv. Man kann jedoch trotzdem den Anspruch haben, ein wenig Objektivität miteinfließen zu lassen. Sollte da eher eine goldene Mitte gefunden werden oder spielt Objektivität keine so große Rolle?

Das hat beides seine Berechtigung. Eine inhaltliche Analyse ist, wenn es nicht gerade eine rein filmwissenschaftliche Herangehensweise samt Filmprotokoll etc. ist, ja auch subjektiv gefärbt und abhängig etwa von der gewählten Perspektive und Fragestellung. Kritik hingegen verstehe ich zu weiten Teilen eher als Service, um die eingangs erwähnte Frage zu beantworten: „Lohnt es sich, diesen Film anzuschauen?“ Es gibt da aber natürlich auch Filme, zum Beispiel The 800, da lohnt es sich etwas analytischer hinzublicken, gerade im Hinblick auf dessen Entstehungs- oder Zensurgeschichte. Klar muten Kritiken in ihrem Ton oftmals etwas Absolutes an, aber sie sind ja trotzdem einem subjektiv denkenden Verstand entsprungen. Nach meinem Empfinden ist es im Kulturjournalismus aber von Vorteil, wenn in einem Beitrag eine starke und deutlich artikulierte Meinung durchscheint. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Das heißt aber nicht, dass das nicht offen für Gegenmeinungen wäre. Es ist und bleibt nur ein einzelner Beitrag in einem großen Feld von Meinungsbeiträgen.

Wie sieht deine Meinung generell über andere Kritiker aus? Was genau zertifiziert jemanden zu einem guten Kritiker und gibt es da Kanäle, die du gern verfolgst?

Privat lese ich nur selten Kritiken, bevor ich einen Film sehe. Beruflich hingegen komme ich vor allem bei Kino-Zeit viel damit in Kontakt, wenn ich Texte von unseren Autorinnen und Autoren gegenlese und online stelle. Da bekomme ich relativ viel mit. Aber was einen Kritiker ausmacht? Ganz pragmatisch könnte man sagen: Eine Person ist ein professioneller Kritiker, wenn sie dafür bezahlt wird. Davon abgesehen finde ich es aber schwierig irgendeine Grenze zwischen Hobbykritiker, Blogger und professionellem Kritiker zu ziehen. Und Freund von irgendwelchen Ausschlusskriterien wie „Du musst diese und jene Klassiker gesehen haben“ oder „Du musst mindestens 3000 Filme gesehen haben“ bin auf grundsätzlich gar nicht. Das ist mir zu absolut. Stattdessen sollte man Talent und Leidenschaft für das Schreiben mitbringen sowie die Fähigkeit, seine Gedanken so gut wie es geht in Worte fassen zu können. Das Ziel sollte sein, dass ein Rezipient etwas mitnehmen kann und irgendeinen Mehrwert am Ende erhält, sei es nun eine Empfehlung, einen analytischen Ansatz oder einfach nur Vergnügen beim Lesen oder Zuhören.

An Kanälen verfolge ich auf YouTube unter anderem Kino+, David Hain und Cinema Strikes Back. Und bei Wolfgang M. Schmitt schaue ich auch gern mal rein. Ich stimme ihm zwar nicht immer zu, aber bei Tenet zum Beispiel hat er mir sehr interessante neue Aspekte in seiner Analyse präsentiert. Selbst wenn ich ihm nicht zustimme, hat auch das für mich einen Mehrwert. In dem Fall muss ich mich dann mit seinen Argumenten auseinandersetzen und für sich selbst herausfinden, was ich denn anders sehe und vor allem warum. Und an Podcasts verfolge ich „Zwei wie Pech & Schwafel“ und „Show me the meaning“ von Wisecrack, der geht aber auch eher in die analytische Richtung.

Je nach Publikumserfolg reden die meisten Menschen immer nur über die „relevantesten“ Filme oder die, die gerade „in“ sind. Wie siehst du das an, ist das ein Problem? Und was fallen dir für grandiose (Neu-)Produktionen ein, bei denen du vermutest, dass diese wahrscheinlich nur die allerwenigsten kennen?

Das liegt nun mal in der Natur der Sache: Das, was am populärsten ist, wird am meisten wahrgenommen und umgekehrt. Das ist die Kommerzspirale, je mehr Menschen darüber sprechen, desto bekannter wird es. Kritik kann und sollte in der Hinsicht auch ein Gegengewicht schaffen, um auch Empfehlungen abseits der großen Produktionen zu liefern. Ein aktuelles Beispiel: Dark Day von Farhad Shahed, der komplett in Eigenregie entstand, aber ein absoluter Geheimtipp ist und der auch viel mehr Beachtung bei der Kritik verdient hätte. Wenn man sieht, dass ein Mensch Regie, Drehbuch, Schauspiel, Kamera und Schnitt übernimmt, ist das schon erstaunlich. Aber um fair zu bleiben, inszenatorisch ist da Luft nach oben. Ich bin aber schon sicher, dass der in den Kinos seine Schwierigkeiten hätte die Massen mitzureißen, obwohl das Drehbuch großartig ist. Besonders schön ist es dann aber immer, wenn Arthouse und Kommerz zusammenkommen, siehe Parasite, der auch erst langsam anlief, durch die Oscars aber wahnsinnig viel Aufmerksamkeit bekommen hat.

Nachdem ich letztens Be Natural über die mutige Filmpionierin Alice Guy-Blaché geschaut habe, interessiere ich mich für Filme, die ihrer Zeit voraus sind und sich etwas trauen. Auf welchen Film warst du zuletzt froh oder stolz, dass man sich mal etwas Waghalsiges getraut hat?

Malcolm & Marie. Das ist vielleicht nicht die offensichtlichste Antwort, aber wir sind durch Corona in den letzten anderthalb Jahren in einer besonderen Situation, auch was Filmproduktionen betrifft. Bei dem Film hat man deshalb einen sehr minimalistischen Ansatz gewählt. Das ist nichts großartig Neues oder Waghalsiges, aber man hat dadurch einen Weg gefunden, den Film Corona-konform zu produzieren. Aber warum gerade der? Das ist ein Kammerspiel in schwarz-weiß mit zwei Schauspielern, mehr nicht. Der Mut besteht also meiner Ansicht nach in der Reduktion und darin, das Ganze mal nicht ausufernd groß anzulegen.

Für Leute, die schon mehrere tausend Filme gesehen haben und das Beste vom Besten kennen, was sind deiner Meinung nach gute Orientierungspunkte, um auf gute Filme zu stoßen?

Letterboxd ist ein gutes Tool dafür. Das ist ja so gesehen eine Mischung aus IMDB und Twitter, wenn man so will. Einerseits hat man da diese große Filmdatenbank, andererseits aber auch die Möglichkeit, Leuten zu folgen. Wenn man sich da ein paar Leute raussucht, die eine gewisse Expertise mitbringen, zum Beispiel Daniel Schröckert oder David Hain, dann stößt man da immer regelmäßig auf tolle Sachen. Ansonsten kino-zeit, einerseits weil ich da arbeite (lacht), andererseits weil sich da sehr viel Arthouse-Kritik findet. Nach längerer Zeit habe ich mich letztens auch wieder auf MUBI angemeldet. Die Seite ist zwar speziell, aber da kann man seinen Filmgeschmack mal etwas auf die Probe stellen und fantastisch erweitern.

Was ist das Schlimmste im Kino für dich – Trashfilme, die nächste deutsche Durchschnittskomödie oder doch etwas ganz anderes? Und sind alle gleichermaßen schlimm oder wie differenzierst du in der Hinsicht?

Spontan würde ich sagen: die deutschen Durchschnittsfilme. Streng genommen kann ich es ehrlich gesagt aber gar nicht sagen, weil ich die schon gar nicht mehr schaue. Ich habe da nur sehr wenige gesehen. Viele Filme etwa von und mit Matthias Schweighöfer oder Til Schweiger bringen mir einfach absolut nichts und sie sprechen mich auch nicht an. Das ist daher auch etwas, das ich bewusst umgehe, obwohl ich eigentlich sage, dass ich mir grundsätzlich alles anschauen würde. Aber für dieses „alles“ gibt es dann doch eine Grenze. Siehe zum Beispiel Fack ju Göhte 2, da bin ich mit großem Kopfschütteln aus dem Kino raus, obwohl ich den ersten sogar noch als relativ brauchbar empfand. Man muss dann aber auch sagen, dass deutsche Genrebeiträge wiederum ganz anders können, Der Nachtmahr zum Beispiel oder Der Hauptmann.

Wie siehst du dich und Die Kinotagestätte in zehn Jahren?

Ich würde gern an einen Punkt kommen, an dem sich meine privaten Projekte refinanzieren. Aber selbst wenn nicht, möchte ich mir zum Beispiel meinen Blog einfach dafür bewahren, meine Meinungen konservieren zu können. Bei mittelmäßigen Produktionen vergesse ich nämlich ab und zu, wie ich den Film fand. Da ist es einfach schön, die eigene Meinung noch einmal nachschlagen zu können. Mit unserem Podcast, den es jetzt schon zweieinhalb Jahre gibt, würden wir gern wachsen und ein größeres Publikum ansprechen. Das ist und bleibt aber ein Freizeitprojekt aus Leidenschaft, weswegen wir zum Thema Werbung kritisch gegenüberstehen. Es wird aber immer mal kleine Änderungen geben, zum Beispiel in der Laufzeit und dem Rhythmus, bis zu einem Punkt, wo wir dann damit zufrieden sind. Das ist einfach unsere kleine Spielwiese, wo wir jede Folge ein anderes Thema angehen und auch immer wieder neue Sachen ausprobieren. Hauptsache wir haben dabei Spaß.

Bei so vielen Durchschnittsfilmen, die jedes Jahr neu herauskommen, reicht das aus, um „am Ball zu bleiben“? Anders gefragt: wie wird sich die Beziehung zum Kino für deine Person ändern?

Ich hoffe, meine Liebe zum Kino bleibt unverändert bestehen. Ich werde vermutlich auch nach wie vor in jeden Marvel-Film rennen, weil ich das cinematische Universum, so banal es auch ist, begleiten möchte. Natürlich auch kritisch, wenn es nötig ist. Ansonsten schaue ich regelmäßig bei den Neuerscheinungen rein, schaue oft bei meinem Kino um die Ecke, was da anläuft, und bin immer gespannt, was da noch alles kommen wird. Ich kann nur hoffen, es bleibt hoffentlich eine Liebe auf Dauer.

Vielen Dank für deine Zeit und das tolle Gespräch!



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