Der Passagierschein laissez-passer arte
© Eric Caro

Der Passagierschein

Inhalt / Kritik

Der Passagierschein laissez-passer arte
„Laissez-passer“ // Deutschland-Start: 3. Januar 2022 (arte)

Paris im Jahr 1942: Die Deutschen haben die französische Hauptstadt besetzt und bestimmen zu weiten Teilen das Geschehen. Das bekommen auch die Menschen in künstlerischen Berufen zu spüren, die sich immer wieder der Zensur der Besatzer stellen müssen. Jean Devaivre (Jacques Gamblin), der bei der deutsch-französischen Produktionsfirma Continental arbeitet, hat sich damit nach außen hin arrangiert, während er insgeheim für die Résistance tätig ist. Jean Aurenche (Denis Podalydes) wiederum hat nicht vor, sich der Kooperation zu ergeben. Er will bei seinen Drehbüchern keine Kompromisse eingehen, sich vom Feind nicht diktieren lassen, was er sagen darf und was nicht. Im Gegenteil: Er sieht in seinem künstlerischen Schaffen die Chance des Widerstands und des Protests gegen das Regime …

Kunst oder Kommerz?

Filme, wie die meisten anderen künstlerischen Tätigen, provozieren immer auch die Frage nach dem eigenen Sinn und Zweck. Dienen sie lediglich der Unterhaltung? Etwas, das man abends einschaltet, um sich einfach ein bisschen die Zeit zu vertreiben? Oder sind sie doch mit einem größeren Anspruch verbunden, einer Aussage zum Beispiel? Damit verbunden ist auch das Selbstbild der Filmschaffenden. Während manche in der Produktion solcher Geschichten einen Beruf sehen, der eben mit kommerziellen Anforderungen verbunden ist, wollen andere sich in erster Linie selbst ausdrücken. Die meisten sind ihr Leben lang damit beschäftigt, beides miteinander in Einklang bringen zu müssen, eine Brücke zwischen den äußeren Zwängen und den inneren Bedürfnissen zu schaffen.

Der Passagierschein erinnert an einen Spezialfall dieses Zweikampfes: die Produktion von Filmen während eines Krieges. Diese Zeiten sind immer eine besondere Herausforderung für Kunstschaffende, da sie gerne mal für propagandistische oder nationalistische Zwecke missbraucht werden. Da werden Karrieren geschaffen oder auch vernichtet. Der französische Regisseur und Co-Autor Bertrand Tavernier (Der Saustall) erinnert in dem Film an seine Landsleute, die während der deutschen Besatzung zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges um ihr künstlerisches sowie wirtschaftliches Überleben kämpfen mussten und dabei mit sich rangen. Das Schicksal eines Propagandawerkes war vielen zwar erspart. Vielmehr sollten sie dazu beitragen, dass das Publikum durch Filme die Illusion erhält, dass alles ganz normal weitergeht. In einer Situation wird beispielsweise gewünscht, dass der Krimiheld Maigret vom bisherigen Schauspieler verkörpert wird. Dumm nur: Der war zu dem Zeitpunkt tot.

Ruhige Zeitreise

Diese fast schon komische Szene zeigt, wie zynisch die Kunstvorstellung der deutschen Besatzer war, die Filme letztendlich als reines Mittel zum Zweck ansahen. Der Passagierschein, auf arte unter dem Originaltitel Laissez-passer bekannt, ist aber weder Komödie noch großes Drama, welches auf reißerische Weise Spannung zu erzeugen versucht. Tavernier lässt sich viel Zeit, immerhin rund 160 Minuten, erzählt sehr ruhig, was es damals bedeutete, Kunst schaffen zu wollen. Es wäre leicht, sich auf den Standpunkt moralischer Überlegenheit zurückzuziehen und jegliche Zusammenarbeit mit den Besatzern zu verweigern. Doch dafür alles aufgeben, wofür man lebt? Das ist dann doch nicht so einfach, zumal es auch bedeuten würde, dem Publikum etwas vorzuenthalten.

Der Passagierschein veranschaulicht dies anhand von Jean Devaivre und Jean Aurenche (Hôtel du Nord), zwei tatsächlichen Filmschaffenden, die seinerzeit tätig waren und jeweils auf ihre Weise versuchten, mit der Situation klarzukommen. Einfache Antworten gibt es dabei nicht, weder für ihre Lage noch ganz allgemein. Denn auch wenn sich Tavernier auf eine reale, zeitlich klar definierte Lage bezieht, so sind die damit verbundenen Fragen doch deutlich größer und universeller. Die Reaktionen der beiden Hauptfiguren sind dabei lediglich zwei Annäherungen an ein Problem, das sich nicht so ohne Weiteres lösen lässt. Das sich vielleicht überhaupt nicht wirklich lösen lässt, da es komplexer ist, als das gern mit Kriegsszenarien verbundene Schwarz-Weiß-Schema zulässt.

Die Suche nach eigenen Antworten

Der Film richtet sich daher an ein Publikum, das gern selbst über solche Szenarien nachdenkt und das im Idealfall auch ein Interesse für die damalige Zeit mitbringt. Brenzlige Situationen, wie man sie bei einem Kriegsfilm vermuten könnte, sind da Mangelware. Es geht nicht um das vordergründige Erzeugen von Spannung. Und doch ist Laissez-passer ein spannender Rückblick auf eine Zeit, in der Filmschaffende zwischen alten Überzeugungen und neuen Realitäten eigene Antworten finden mussten. Die Arbeit der beiden rückt dabei leider ziemlich in den Hintergrund. Man erfährt relativ wenig darüber, wer die beiden als Künstler waren, da sich Tavernier mehr mit der Situation befasst als dem eigentlichen künstlerischen Aspekt. Sehenswert ist das Drama aber ohne jeden Zweifel, selbst für Zuschauer und Zuschauerinnen, die bislang keinen Bezug zu den Geschichten hatten.

Credits

OT: „Laissez-passer“
Land: Frankreich
Jahr: 2002
Regie: Bertrand Tavernier
Drehbuch: Jean Cosmos, Bertrand Tavernier
Musik: Antoine Duhamel
Kamera: Alain Choquart
Besetzung: Jacques Gamblin, Denis Podalydes, Marie Desgranges, Charlotte Kady, Marie Gillain, Ged Marlon, Philippe Morier-Genoud

Bilder

Trailer

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„Der Passagierschein“ nimmt uns mit in das Paris der 1940er, wo zwei Filmemacher mit der Situation der deutschen Besatzung hadern. Das Drama erinnert dabei an die konkrete Lage der beiden und unzähliger anderer, stellt aber auch ganz allgemeine Fragen rund um die Kunst und die Aufgabe des Künstlers. Spannend ist der recht lange Film daher in erster Linie für ein Publikum, das selbst über solche Punkte nachdenken möchte.
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