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© ZDF/Oliver Feist

Wir – Staffel 1

Inhalt / Kritik

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„Wir – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 15. Oktober 2021 (ZDFneo)

Wenn Maik (Lorris Andre Blazejewski) eine seiner Geburtstagspartys schmeißt, dann geht es oft hoch her. Dieses Mal wurde beispielsweise beschlossen, dass sich die Clique gegenseitig Texte vorliest, die sie vor zwölf geschrieben haben und auf denen festgehalten wurde, wie sie sich die Zukunft vorstellen. Für Helena (Katharina Nesytowa) ist das jedoch nicht ganz einfach, vor allem als auch noch Maiks Schwester Annika (Eva Maria Jost) auftaucht. Denn die beiden waren damals ein Paar, wovon aber niemand etwas wusste. Und wenn es nach Helena geht, wird es dabei auch bleiben, ist sie doch gerade erst mit ihrem Freund Tayo (Malick Bauer) in ihr neues Haus gezogen. Da kann sie dieses Gefühlschaos nicht gebrauchen, zumal die Beziehung seinerzeit nicht sehr glücklich endete …

Verfolgt von der Vergangenheit

Wenn in Filmen der verlorene Sohn oder die verlorene Tochter heimkehrt, dann bedeutet das meistens, dass 1. irgendein größeres Ereignis die Heimkehr erzwungen hat und 2. die Aufarbeitung alter Geschichten ansteht. Vor allem der Tod irgendwelcher Familienangehörigen steht dann oft auf dem Programm, siehe etwa Manchester by the Sea oder Mein Bruder, meine Schwester. Bei der ZDFneo Serie Wir ist das ein wenig anders. Es fehlt der eine große Grund, warum Annika in die alte Heimat zurückkehren sollte. Entsprechend groß ist die Überraschung, dass sie dennoch da ist. Und es ist keine eindeutig freudige Überraschung, so viel steht schnell fest. Sowohl Helena wie auch Maik hätten da irgendwie drauf verzichten können.

So etwas weckt natürlich die Neugierde des Publikums, das sich hier zurecht fragt: Wo liegt denn da eigentlich das Problem? Allzu lange wird es aber nicht auf die Folter gespannt. Im Gegensatz zu so mancher Seifenoper, die künstlich die Spannung hochhalten will, geht das hier deutlich schneller. Das liegt auch an der angenehm kurzen Laufzeit. Die zwölf Folgen von Wir dauern jeweils nur rund zwanzig Minuten. Innerhalb von vier Stunden ist man deshalb mit der ersten Staffel durch, die wesentlichen Punkte sind geklärt, ohne dass es zu einem endgültigen Abschluss kommt. Schließlich will man sich noch ein wenig für die zweite Staffel aufheben, welche bereits in Planung ist.

Verloren im Leben

Doch bevor es so weit ist, heißt es erst einmal, die nicht ganz einfachen Beziehungen zwischen den Figuren näher zu beleuchten. Vor allem die von Annika zu ihrer Ex-Freundin Helena und zu ihrem Bruder Maik stehen dabei im Mittelpunkt. Beide sind nicht einfach. Zwar kommt es im Laufe von Wir zu Annäherungen, doch die deutsche Serie macht dabei deutlich, wie schwierig so etwas sein kann – vor allem wenn es Defizite bei der Kommunikationsfähigkeit gibt. Das ist hier oft der Fall. Immer wieder machen es sich die Männer und Frauen Anfang dreißig unnötig schwer, indem sie nicht einfach mal offen über das reden, was in ihnen vorgeht. Stattdessen entlädt sich der Streit an Bauplänen, wenn die Architektin Annika ihrem Bruder dessen Fehler vorführt und es beiden Seiten eindeutig an Einfühlungsvermögen mangelt.

Das ist beim Zusehen manchmal ein wenig frustrierend. Aber es gelingt dem Ensemble, das Ganze so darzustellen, dass man es ihm abkauft. Wir handelt davon, wie man mit Anfang 30 zwar eigentlich mehr oder weniger mitten im Leben steht und dennoch nicht wirklich angekommen ist. Sie alle haben ihre Schwierigkeiten, haben Selbstzweifel, ob das alles so richtig ist, wie es ist. Mal überwiegt das Private, mal das Berufliche, ganz glücklich sind die wenigsten. Während traditionell Coming of Age und Midlife Crisis als Aufhänger für solche Selbstsuchen dienen, zeigt die Serie, dass man diese Fragen ganz unabhängig vom Alter stellen kann. Auch wenn der gesellschaftliche Aspekt in der Geschichte kaum eine Rolle spielt, wird doch auf diese Weise eine Art Lebensgefühl verdeutlicht, wie es heute nicht gerade selten ist: Irgendwie bietet diese Welt immer weniger Halt. Beziehungen zerbrechen, der familiäre Zusammenhalt verschwindet, die Arbeit fordert mehr, als ihr zusteht. Bei der Frage, wer man ist und sein möchte, ging ausgerechnet das Verbindende verloren, welches die Serie im Titel formuliert. Wenn man ein Satzzeichen hinter diesem platzieren würde, wäre es eben nicht das implizierte Ausrufezeichen, sondern das Fragezeichen.

Credits

OT: „Wir“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Ester Amrami, Kerstin Polte, Chris Miera
Drehbuch: Silvia Overath, Mo Jäger, Melissa Jäger, Jasmina Wesolowski
Musik: Can Erdogan-Sus
Kamera: Omri Aloni
Besetzung: Katharina Nesytowa, Eva Maria Jost, Malick Bauer, Erol Afsin, Natalia Rudziewicz, Lorris Andre Blazejewski, Le-Thanh Ho

Bilder



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„Wir“ erzählt von einem Freundeskreis, bei dem mehr im Argen liegt, als man es sich anfangs eingestehen will. Zum Teil stehen sich die Figuren auf frustrierende Weise selbst im Weg. Aber es gelingt der Serie doch gut auszudrücken, wie eine Gruppe von Menschen Anfang 30 immer noch zweifelt und sucht, sie nie so wirklich angekommen sind.
Leserwertung33 Bewertungen
6.9
7
von 10