VIP Mein Bruder der Supermann
© Koch Films

VIP – Mein Bruder der Supermann

Die Welt des Bruno Bozzetto
„VIP – Mein Bruder der Supermann“ // Deutschland-Start: 3. November 1972 (Kino) // 7. November 2019 (DVD/Blu-ray)

Mini-VIP kommt aus einer ruhmreichen Superheldenfamilie, deren Stammbaum bis in die Zeit der Dinosaurier zurückreicht. Während sein großer Bruder Super-VIP diese Tradition erfolgreich fortsetzt, über riesige Kräfte verfügt und nahezu unbesiegbar ist, kommt Mini-VIP mehr nach seiner Mutter, die einfache Kassiererin in einem Supermarkt war. Er ist klein, schwächlich, kurzsichtig, kann kaum fliegen und fühlt sich deshalb wie ein kompletter Versager. Um auf andere Gedanken zu kommen, schicken ihn seine Therapeuten auf eine große Kreuzfahrt. Tatsächlich tut ihm diese Abwechslung gut, endlich kann er einmal ein ganz normales Leben führen, ohne ständig riesige Erwartungen erfüllen zu müssen! Dummerweise kommt es während einer Feier auf dem Schiff aber zu einem kleinen Zwischenfall, der den Anfang eines großen Abenteuers für den kleinen Nicht-Helden bedeutet …

Hierzulande ist Bruno Bozzetto in erster Linie für seine Kultfigur Signor Rossi bekannt, ein kleiner, untersetzter Fabrikangestellter, der mit seinem Hund Gaston immer wieder absurde Abenteuer erlebt. Dabei hat der italienische Regisseur von Animationstiteln auch drei Langfilme gedreht. Die Musikanthologie Allegro non troppo war bislang der einzige der drei Filme, die in Deutschland erhältlich waren. Nun folgen auch die beiden anderen Werke Der wildeste Westen und VIP – Mein Bruder der Supermann, die zusammen mit diversen Kurzfilmen in einer eigenen Box veröffentlicht wurden und damit eine wichtige Lücke der europäischen Zeichentrickgeschichte schließen.

Einfach verrückt
Grundsätzlich richten sich derartige Retroboxen natürlich an Zuschauer und Zuschauerinnen, die mit den Filmen aufgewachsen sind und entsprechend nostalgische Gefühle damit verbinden. Wer das nicht von sich behaupten kann, dürfte zumindest mit der Optik so seine Schwierigkeiten haben. Rein technisch gesehen ist VIP – Mein Bruder der Supermann meilenweit von dem entfernt, was Disney zu der gleichen Zeit auf die Leinwand zauberte. Die Hintergründe sind schlicht, die Animation ebenso. Das sieht oft mehr nach einer Kinderzeichnung aus, die Eltern stolz an den Kühlschrank heften, weniger nach einem Werk, das ein zahlendes Publikum anziehen will.

Gleichzeitig haben die Bilder aber einen eigenen Charme, nicht zuletzt weil vieles hier übertrieben, wenn nicht gar völlig verrückt ist. Das betrifft einerseits die kuriosen Figuren, die eindeutig die Handschrift Bozzettos tragen, sowohl auf der menschlichen wie auf der nicht-menschlichen Seite. Und auch die Settings, so einfach sie gestaltet sein mögen, wirken immer etwas fremd, so als würde der Film gar nicht auf der Erde spielen. Das gilt natürlich vor allem während der psychedelischen Sequenzen, für die der Italiener bekannt ist. Hat erst einmal das eigentliche Abenteuer begonnen, gibt es für ihn keine Grenzen, die ihn einschränken würden. Der Animator lässt dann ungehemmt seinem Faible fürs Surreale freien Lauf.

Unterhaltsame Parodie und böse Satire
Der Reiz von VIP – Mein Bruder der Supermann beschränkt sich aber nicht allein auf die eigenwillige Gestaltung. Inhaltlich hat der Film von den drei Hauptwerken Bozzettos sogar am meisten zu bieten. Die Parodie auf Superhelden hat dabei nichts von ihrem Witz eingebüßt. In einer Zeit, in der Comic-Adaptionen die Kinoleinwände dominieren, ist die Geschichte der Superheldenfamilie sogar ausgesprochen zeitgemäß. Überraschend ist zudem die Satire auf Konsumwahn und Käufermanipulation, welche in der zweiten Hälfte des Films nach und nach in den Vordergrund rückt. An der Stelle mag man kaum glauben, dass das hier tatsächlich schon über 50 Jahre alt ist, die absurde Kritik an Unternehmen, die für Profite wirklich alles tun würden, die funktioniert heute genauso gut wie damals, vielleicht sogar noch ein bisschen besser.

Ganz ohne Schwächen ist VIP – Mein Bruder der Supermann dabei nicht. Da wären die diversen Musikeinlagen, die nur selten die Klasse der entsprechenden Szenen von Signor Rossi erreichen, weder so eingängig noch so witzig sind. Außerdem fehlt dem Film so etwas wie ein roter Faden. Im Laufe der gut 80 Minuten wird Mini-VIP zwar eine Wandlung zu einem echten Helden mitmachen. Die wird aber nur streckenweise thematisiert, zwischendurch läuft der Film in alle erdenklichen Richtungen, was oft unterhaltsam ist, manchmal auch nicht. Doch auch wenn ohne den Nostalgiebonus nicht alles heldenhaft ist, das italienische Zeichentrickabenteuer ist so ungewöhnlich, auch wegen der vereinzelt morbiden Tendenzen, dass die Veröffentlichung nicht nur willkommen, sondern überfällig war.



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In „VIP – Mein Bruder der Supermann“ lernen wir den Bruder eines Superhelden kennen, der unter seinen mangelnden Kräften leidet und später ein großes Abenteuer erleben wird. Das ist oft verrückt, verbindet surreal-psychedelische Momente mit parodistischen Elementen und einer erstaunlich zeitgemäßen Satire auf Unternehmen, die ohne Skrupel Menschen manipulieren. Ein Tipp nicht nur für Nostalgiker!
7
von 10