Barakamon

(„Barakamon“ directed by Masaki Tachibana, 2014)

Zuletzt ging es in unserem fortlaufenden Animationsspecial ja überaus düster zu (Texhnolyze, Aufstand der Tiere – Animal Farm). Deswegen ist es im 136. Teil mal wieder an der Zeit für gute alte Comedy. Zumindest zum Teil, denn unser heutiger Beitrag kombiniert bekannte Situationen mit unbekannten Szenarien, zeigt uns einen Teil der japanischen Gesellschaft, mit dem hierzulande kaum einer bislang in Verbindung getreten sein dürfte.

Es war so ziemlich das Schlimmste, was man Seishū Handa hätte sagen können. Sein ganzes Leben lang – in seinem Fall immerhin 23 Jahre – hat er damit verbracht, die Kunst der Kalligraphie zu lernen. Das hat ihm durchaus auch Anerkennung gebracht, sogar den einen oder anderen Preis. Und dann das: Seine Bilder wären langweilig, muss er sich von dem Kurator einer Ausstellung anhören, zu formelhaft. Also tut Handa, was jeder in seiner Situation tun würde: Er verpasst dem alten Mann einen Kinnhaken. Sein Vater, selbst ein anerkannter Kalligraphie-Künstler, ist wenig begeistert über diesen Ausbruch seines Sohnes und schickt ihn deshalb auf die kleine Insel Gotō, wo er etwas über sich und das Leben lernen soll.

Das Schöne an Animes ist, dass man mit etwas Stöberwillen immer wieder welche findet, die einem tatsächlich etwas Neues zeigen können. Dabei muss es sich nicht einmal um einen Vertreter des notorisch abgedrehten Humors handeln, mindestens ebenso reizvoll sind welche, die tief mit der japanischen Kultur verknüpft sind. Leider schaffen es jedoch nur relativ wenige davon hierher, weder der Klassiker Hikaru no Go über einen Go-Spieler, noch der Animeindustrie-Anime Shirobako wurden hierzulande veröffentlicht. Barakamon, das uns die Kunst der Kalligraphie näherbringt, erging es da ein wenig besser, immerhin ein kostenloser wie legaler Stream auf Crunchyroll war uns 2014 vergönnt. Wer physische Medien vorzieht, hat seit August mit dem US-Release die Möglichkeit dazu.

Unabhängig von der Quelle, die Serie, welche auf dem gleichnamigen Manga von Satsuki Yoshino basiert, gehört sicherlich zu den empfehlenswertesten, die in den letzten Jahren aus den japanischen Zeichentrickstudios gekommen sind. Dabei ist das grundsätzliche Szenario eigentlich recht gewöhnlich: Ein junger Stadtmensch zieht zwangsweise in die Provinz, reibt sich mit deren Eigenheiten und muss dabei erkennen, worauf es im Leben ankommt. Das hat es schon oft genug gegeben, sei es als Realvariante (Willkommen bei den Sch’tis) oder in animierter Form (Cars). Und doch ist Barakamon ein klein wenig anders.

Zunächst einmal basiert der Humor hier eher selten auf den üblichen Culture-Clash-Elementen. Die eine oder andere Schrulle haben sie natürlich auf der Insel, Handa bringt auch die typische großstädtische Arroganz mit. Anders als bei vielen ähnlichen Geschichten, in denen erst nach und nach die Leute zusammenfinden und viele Konflikte auszutragen haben, hat der junge Künstler recht schnell Anschluss gefunden – wenn auch widerwillig. Im Mittelpunkt des Geschehens steht meist die 6-jährige Naru, die sofort einen Narren an dem Neuankömmling gefressen hat und mit ihren Freunden ständig bei ihm auftaucht. Wenn die Einwohner ihn kontinuierlich von seinen Übungen abhalten, er regelmäßig daran verzweifelt, dass ihn hier keiner so richtig ernst nimmt, dann ist das einer verlässliche Quelle der Erheiterung.

Manche der Einlagen sind übertrieben, etwa der Running Gag eines Mädchens, das heimlich homoerotische Mangas liest. Ansonsten ist es aber gerade die Natürlichkeit in Verbindung mit der entspannten Atmosphäre, welche Barakamon auszeichnet. Hier dürfen Kinder noch Kinder sein, sich chaotisch, nervtötend und zugleich liebenswert verhalten. Dass es zum Ende hin ein wenig sentimental wird, ist zu verschmerzen, da die Serie sowohl auf in Animes des Öfteren anzutreffende melodramatische Exzesse wie auch übergroßen Kitsch verzichtet. Handa hat dazugelernt, keine Frage, hat mehr über sich und auch das Leben erfahren. Ist ein besserer Mensch und damit ein besserer Künstler geworden, wenngleich seine experimentelle Selbstentdeckungsphase – und das ist das Schöne – noch keine Preise hervorbringt, die Reise hier noch eine spannende Reise in unbekannte Gebiete ist. Und eine sympathische Auseinandersetzung mit kreativen Schaffungsprozessen und der Frage, was Kunst eigentlich ausmacht.

Dennoch ist das Ende der vielleicht größte Schwachpunkt der ansonsten auch visuell überzeugenden Mangaadaption von Kinema Citrus (Tokyo Magnitude 8.0, Black Bullet): Nicht nur dass es Abschied nehmen heißt von den liebgewonnenen, etwas skurrilen Figuren, es wurde außerdem etwas forciert ein Abschluss gesucht, der in der noch immer laufenden Mangareihe nicht vorgesehen war. Eine zweite Staffel ist derzeit leider nicht vorgesehen, dafür wurde unlängst ein Spin-off namens Handa-Kun ausgestrahlt, das bislang aber nicht einmal als Stream in Deutschland erhältlich ist und auch von einem anderen Team produziert wurde.



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Trotz seines etwas sentimentalen, überstürzten Endes ist „Barakamon“ eine gelungene, oft komische Animeserie über einen Kalligraphie-Künstler in der Sinnkrise, die zwar viele bekannte Elemente enthält, aber auch einen eigenen Weg geht – nicht zuletzt durch die sympathisch-skurrilen Figuren und die entspannte Inselatmosphäre.
8
von 10