Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Max Frisch erzählt Stiller von James Larkin White (Albrecht Schuch), der bei der Einreise in die Schweiz aufgehalten wird. Der Grund: Man vermutet, er sei in Wahrheit der Schweizer Bildhauer Anatol Stiller, der vor Jahren spurlos verschwunden ist. White bestreitet das, besteht darauf, mit dem anderen nichts zu tun zu haben. Doch es bleiben Zweifel, auch weil selbst das nächste Umfeld des Verschwundenen sich nicht sicher ist. Handelt es sich um eine Verwechslung? Oder will da jemand seine Vergangenheit hinter sich lassen, um jemand Neues zu werden? Nachdem das Drama beim Filmfest München 2025 Weltpremiere hatte, kommt es am 30. Oktober 2025 regulär in die deutschen Kinos. Das haben wir zum Anlass genommen, uns mit Schuch zu unterhalten. Im Interview spricht er über Identität, Fremdbestimmung und die Frage, ob wir andere Menschen jemals kennen können.
Warum hast du Stiller gedreht? Was hat dich an dem Projekt gereizt?
Der große Konflikt des Protagonisten, der sich nicht mehr aushält und jemand anderes sein möchte. Er wählt den drastischsten Schritt, den man als Lebender tun kann, und reißt von einem Tag zum nächsten alles ab. Dafür nimmt er alles in Kauf, auch die Trauer der Zurückgebliebenen. Das ist der Höhepunkt seines egozentrischen, vielleicht sogar narzisstischen Handelns. Aber es ist vielleicht die einzige Möglichkeit für ihn, dieses Ich, das er so sehr verabscheut, hinter sich zu lassen und zu einem Ich zu werden, das mehr in eine Gemeinsamkeit gehen kann.
Hattest du vorher einen Bezug zu dem Roman von Max Frisch?
Nein, gar nicht. Ich dachte immer, ich hätte ihn im letzten Jahr meiner Schauspielschule gelesen, witzigerweise sogar in Zürich, als wir das große Treffen der deutschsprachigen Schauspielschulen hatten. Stattdessen habe ich damals Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ gelesen und habe es geliebt. Als ich dann noch einmal in dem vermeintlich gelesenen „Stiller“ blättern wollte, habe ich gemerkt, dass ich ihn nie gelesen hatte. Ich mochte ihn auch überhaupt nicht bei der Vorbereitung für unseren Film. Es waren mir drei Kurven zu viel, die Frisch da gedreht hat. Ich wusste auch ein bisschen zu viel über Frisch und konnte es deshalb nicht wirklich frei als Roman lesen. Wahrscheinlich hätte er mir damals während der Schauspielschule aber total gefallen. Vielleicht ändert sich meine Einstellung auch noch. Aber ich konnte mit unserem Drehbuch und dem zentralen Konflikt mehr anfangen.
Hat der Roman bei der Vorbereitung dann überhaupt noch eine Reihe gespielt?
Doch, auf jeden Fall. Da waren schon noch ein paar Momente und Hintergrundinformationen, die ich miteinfließen lassen konnte.
Dann kommen wir zum Protagonisten. Wie würdest du ihn beschreiben?
Er ist ein Mensch, der sich ganz schön um sich selbst kreist. Er hat es vielleicht verpasst, mit anderen Menschen darüber zu sprechen, was ihn bewegt. Das hat er alles mit sich selbst ausgemacht, vermutlich auch, weil er aus einer Generation stammt, bei der es nicht en vogue ist, über bestimmte Sachen zu sprechen. Er ist so besessen von sich selbst und davon, dass alles richtig sein muss, dass man ihm sagen möchte: Hey, schau doch mal um dich. Bewerte dich selbst nicht andauernd über, das kann ja nur nach hinten losgehen, dieser überfordernde Selbstanspruch. Dieses Verlinken eines beruflichen Scheiterns mit einem eigenen Scheitern. Julika ist genauso, wenn sie ihr Selbstwertgefühl an den Erfolg hängt. Am Ende bleibt da nur der Bruch mit allem, mit jedem und vor allem mit sich. Anders findet er nicht mehr aus dieser Misere hinaus.
Da du selbst Künstler bist: Kannst du dich damit identifizieren? Was hätte es mit dir gemacht, wenn du als Schauspieler gescheitert wärst?
Dafür müssten wir erst einmal klären, was Scheitern in dem Zusammenhang heißt. Heißt Scheitern, dass ich keinen Job finde? Das würde heißen, dass ein Großteil meiner Kollegen und Kolleginnen gescheitert ist. Und es würde heißen, dass es an ihnen liegen würde. Aber das stimmt einfach nicht. Das hat so viel mit Glück zu tun und damit, die richtigen Leute zu treffen, die etwas in dir sehen. Die erkennen, was in dir schlummert, wenn du selbst gerade unsicher bist und das zu überspielen versuchst. Das viele Vorsprechen in unserem Beruf hat viel mit Unsicherheit zu tun. Wir alle sind manchmal unsicher und spielen eine Rolle, selbst wenn wir keine Schauspieler und Schauspielerinnen sind. Mir persönlich hat geholfen, als meine Agentin mir mal gesagt hat, dass es beim Vorsprechen nicht nur darum geht, ob sie mit dir zusammenarbeiten können, sondern auch, ob du mit ihnen zusammenarbeiten kannst. Denn das hilft dir, anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Deswegen ist für mich schon der Begriff des Scheiterns völlig fehl am Platz. In Amerika ist es normal, wenn du zwei, drei Jobs hast. In Deutschland bist du gescheitert, wenn du als Schauspieler einen anderen Job annimmst. Ich sehe das nicht so. Ich finde es auch grundsätzlich fragwürdig, wenn der Wert eines Menschen an einen vermeintlichen Erfolg gebunden ist. Daran wurde ich durch den Film auch wieder erinnert: Was bedeutet es eigentlich, Erfolg zu haben? Erfolg ist für mich dann am schönsten, wenn er andere Menschen nicht ausschließt, sondern sie miteinbezieht.
Du hast bereits gesagt, dass deine Figur ihr altes Ich hinter sich lassen will. Können wir überhaupt festlegen, wer wir sind und was unsere Identität ist? Oder sind wir da immer durch andere bestimmt? Denn die anderen lassen Stiller ja nicht.
Er lässt sie aber auch nicht lassen. Er sieht in allem nur die Gegenwehr. Seine Ansprüche sind so hoch gesteckt, so unerreichbar, dass er am Ende vor allem an sich scheitert. Und da sind wir noch nicht einmal beim Thema Männlichkeit. Du hast Menschen, die im Krieg nicht geschossen haben und sich dafür selbst Vorwürfe machen. Sie werden als Menschen dargestellt, die Angst haben. Sie meinen dann, nicht richtig zu sein und versagt zu haben. Dieses Gefühl versagt zu haben kommt bei Stiller noch zu der Ichbezogenheit hinzu.
Das Thema, dass wir von außen beurteilt werden, ist eines, das uns natürlich alle betrifft. Wir alle haben mit anderen Menschen zu tun, die etwas in uns sehen oder sehen wollen, was dann wieder Auswirkungen auf uns hat. In deinem Fall ist es so, dass du in der Öffentlichkeit stehst und damit sehr viel mehr Leute eine Meinung zu dir haben. Ist dieses Echo von außen, was bei dir viel größer ist als bei den meisten Menschen, etwas, das dich in deiner Selbstwahrnehmung beeinflusst?
Das kann mich schon beeinflussen, ja. Es ist immer die Frage: Was mache ich daraus? Wie ordne ich das ein? Wenn jemand schreibt, dass ich total übertrieben gespielt habe, muss ich das ebenso einordnen wie die Aussage, dass ich grandios war. Beides ist erst einmal die Aussage eines Individuums. Eines Individuums, das mich als Mensch gar nicht kennt. Deswegen darf ich beides nicht überbewerten, weil ich mich sonst abhängig mache von einer Stimme, die von außen kommt. Das gehört zu den Aufgaben des Berufs dazu, dass man sowohl beim positiven Feedback wie auch dem negativen Feedback seinen Weg findet und auf dem Boden bleibt.
Wir haben darüber gesprochen, wie es ist, von außen beurteilt zu werden. Wir beurteilen ebenso aber andere von außen. Ist es dabei überhaupt möglich, einen anderen Menschen jemals wirklich zu kennen, oder bleiben wir immer bei der Außenperspektive?
Ich glaube schon, dass das möglich ist. Es kommt natürlich auf das Verhältnis an. Es kommt auf die beiden Menschen an und wie die sich begegnen. Wenn sie sich begegnen, dabei aber gar nichts miteinander teilen, sondern sich nur ausweichen, wird es natürlich schwierig. Wenn man aber bereit ist neugierig zu bleiben und anderen zugesteht, dass sie sich verändern, dann ist das etwas Wertvolles. Es darf glaube ich bei jeder Form von Beziehung nicht um den Anspruch gehen, den anderen oder die andere zu kennen, sondern darum, sie immer wieder auf Neue kennenlernen zu wollen.
Vielen Dank für das Interview!
(Anzeige)

